Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben, wenn Sie mit diesem Buch lernen, gegen Ihr eigenes Kind in den Krieg zu ziehen. Schauen Sie sich doch um, das machen die anderen Eltern auch. Überall leben Eltern so weiter, als hätten sie nie ein Kind bekommen. Überall werden Kinder zu Sündenböcken für das Versagen der Gesellschaft abgestempelt und die neueste Mode unserer Zeit ist es, Kinder mit Hilfe von Psychopharmaka für neu erfundene Krankheiten kaltzustellen. Überall treffen Sie auf Eltern, die sich ihr Leben nicht von ihren Kindern versauen lassen – nur Sie hier haben mal wieder keine Ahnung. Aber dafür gibt es ja nun dieses Buch. Die seriösen Erziehungsratgeber helfen Ihnen nicht weiter, die sind wie Kochbücher. Man bekommt nie alle nötigen Zutaten zusammen, die Beschreibungen sind in einem seltsamen Fachchinesisch gehalten und zum Schluss haben die hübschen Hochglanzfotos im Kochbuch nicht die geringste Ähnlichkeit mit der verhunzten Pampe in ihrem Topf.
Im Ratgeber Erziehung ist Krieg erfahren Sie dagegen, wie Sie Ihrem Nachwuchs den Stempel „Problemkind“ auf die Stirn drücken und damit von Ihren eigenen erfolglosen Erziehungsversuchen ablenken. Sie erfahren, wie Sie sich professionelle Helfer im Kampf gegen Ihr Kind holen und welchen dubiosen Stellenwert die körperliche Bestrafung in unserer Gesellschaft einnimmt. Sie lernen, Ihr Kind so mit Förderprogrammen zuzuscheißen, dass Sie wieder Zeit für Ihr eigenes Leben haben, und Sie bekommen ein Nahkampftraining für Konflikte. Ausgerüstet mit einer Sammlung der wichtigsten Erziehungsstile können Sie auf Partys selbst den größten erzieherischen Murks schönreden und im Kapitel über Aufklärung erfahren Sie schließlich, wie Sie in fünfzehn Jahren nicht auch noch zu Großeltern werden.
Versuchen Sie also gar nicht erst, zu dieser weltfremden Minderheit zu gehören, die ihre Kinder in einem harmonischen Klima zu liebevollen, eigenständigen Persönlichkeiten erziehen will. Sie werden mit diesem Anspruch scheitern. Egal wie sehr Sie sich engagieren, in ein paar Jahren kennt Ihr Kind Sie nicht mehr. Nachdem Sie Ihr eigenes Leben die Toilette hinunter gespült haben, erhalten Sie von Ihrem erwachsenen Kind die Antwort, die Sie bereits vom Ausloggen aus dem Internet kennen: „Sie wurden erfolgreich abgemeldet.“
Machen Sie sich also nichts vor. Sie brauchen kein intelligentes, durchsetzungsstarkes Kind, das Ihnen auf der Nase herumtanzt. Sie wollen doch keinen selbstbewussten Neunmalklugen zuhause, der ständig neue Impulse von Ihnen benötigt, Sie kritisiert und seine Rechte kennt. Sie brauchen in ihrer schwierigen Lage ein Kind, das nicht stört. Sie brauchen ein Kind mit den Bedürfnissen eines Bandwurmes, den man, wenn die Zeit gekommen ist, nur über einen Weg wieder loswird. Und hierbei hilft ihnen dieser Ratgeber.
Sie sind noch immer nicht überzeugt? Sie glauben, sie hätten das Zeug dazu, aus Ihrem Kind doch noch einen überragenden Wissenschaftler oder den Bewahrer des Weltfriedens zu machen? Vielleicht glauben Sie ja, Sie gehören zur intellektuellen Oberschicht, nur weil Sie einmal besoffen auf ein Lexikon gekotzt haben. Sie meinen, Sie hätten diesen Ratgeber nicht nötig, weil Sie mit Ihrem humanistischen Halbwissen Ihr Kind schon auf den richtigen Weg bringen werden. Dann sei Ihnen eines gesagt: Seneca, einer der klügsten Köpfe seiner Zeit, ein Philosoph aus der ersten Reihe, war der Erzieher von Nero. Nun streiten sich die Wissenschaftler noch heute, ob Nero tatsächlich Rom angezündet hat oder nur vergaß, die Herdplatte auszuschalten. Fest steht jedoch, dass Nero einer der größten Flachpfosten des römischen Imperiums war - ein Massenmörder und größenwahnsinniger Musiker, der sich zwischen seinen Metzeleien gerne mal auf Sängerwettbewerben zum Sieger wählen ließ. Man stelle sich eine heutige Casting Show mit einem singenden Terrorchef vor. Nero ließ schließlich seine eigene Mutter umbringen und trieb Seneca, seinen Erzieher, in den Selbstmord. Wenn also selbst ein derart brillanter Denker wie Seneca nur einen meuchelnden und brandschatzenden Hilfspoeten hervorbringen konnte, dann malen Sie sich doch bitte aus, um wie viel schlimmer Ihr eigener Nachwuchs geraten muss. Verstecken Sie also besser jetzt schon einmal Küchenmesser, Streichhölzer und Blockflöte.
Schritt 1: Suchen Sie nach Störungen, bevor es ein anderer macht
"Zuerst hatte ich befürchtet, Robin leidet an ADHS. Aber unser Kinderarzt konnte mich beruhigen. Es ist etwas viel Schlimmeres." Nancy P., Bruchköbel
Gemäß der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Gesundheit ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Selbst wenn man also nicht krank ist, dann ist man für die WHO noch lange nicht gesund. Diesen von der WHO beschriebenen Zustand erreicht man quasi nur, wenn man auf einer geselligen Swinger Party Sex im schön dekorierten Da Vinci Zimmer mit anschließender Diskussion hat. Die Definition der WHO ist nicht nur der Grund dafür, warum sich Ärzte trotz aller finanziellen Einbußen zwei Luxusautos und eine Finca auf La Palma leisten können. Die Definition ist auch ein Freischein dafür, Ihr Kind als nicht gesund zu bezeichnen. Störungen bei Kindern sind eine wunderbare Sache für Eltern. War noch vor ein paar Jahrzehnten ein Kind auffällig und hat nicht so gespurt, wie es sollte, dann hieß es gleich: die Eltern haben es verkorkst, die Eltern haben in der Erziehung versagt. Dank der mittlerweile erfolgten Verlagerung auf den Krankheitsbegriff sind auch Eltern mit den erzieherischen Qualitäten eines Plastikbechers auf der sicheren Seite. Nicht die Erziehung ist katastrophal, sondern die Kinder sind krank. Und während man auf Probleme in der Erziehung mit anstrengenden, langwierigen Verhaltensänderungen reagieren muss und dies schnell in Arbeit ausartet, gibt es bei Krankheiten Pillen oder die Kerze in der Wallfahrtskirche. Sie müssen sich als Eltern nicht fürchten, dass Sie Ihre Kinder zu schnell oder zu leichtfertig als krank bezeichnen. Sie haben eine riesige Lobby aus Ärzten hinter sich, die Ihnen den Rücken stärken und die angebliche Krankheit Ihres Kindes in den Vordergrund stellen.
Das Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS):
ADHS Kinder sind wie italienische Sportwagen. Sie können nur schnell und laut. Auf einer leeren, geraden Strecke ist das eine tolle Sache, aber versuchen Sie einmal, mit so einem rot lackierten Boliden durch die Fußgängerzone zu kommen, ohne dass Ihnen danach ein nasses T-Shirt am Rücken klebt. Ständig heult der Motor auf und weil das Geschoss nicht weiß, wohin mit seiner Kraft, legen die durchdrehenden Reifen alle paar Meter schwarze Kreise auf den Asphalt. An die Verkehrsregeln können Sie sich gar nicht halten, Tempo 30 findet in einem Drehzahlbereich statt, bei dem es noch keine Kraftübertragung gibt und die Tachonadel wie festgeklebt stillsteht. So und nicht anders läuft das bei ADHS Kindern ab. Das AD steht für Aufmerksamkeitsdefizit und es ist Ihnen sicher klar, dass Ihrer Aufmerksamkeit der ein oder andere Blumentopf im Fenster entgeht, wenn Ihr Sportwagen mit 240 Sachen durch den verkehrsberuhigten Bereich schießt (womit dann auch das HS im Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätssyndrom beschrieben ist). Jeder Autofahrer würde so ein PS Monster einem langweiligen Kleinwagen mit Einparkhilfe vorziehen, aber bei Kindern bezeichnet man das ADHS als unliebsame Störung. Ohne die Hyperaktivität wird aus dem Krankheitsbild ein ADS, Typ Träumer und aus dem italienischen Sportwagen mit aufheulendem Motor ein sanft dahinschwebender Gleitschirmflieger. Nimmt der hyperaktive Flitzer seine Umgebungen wegen der hohen Geschwindigkeit und dem heißlaufenden Motor nicht wahr, so entgeht dem Gleitschirmflieger der Sinn für Details einfach aufgrund der Höhe, in der er sich befindet. In diesen sphärischen Welten ist die Realität des Alltags ganz klein. Hier oben ist man eins mit sich und der einen umgebenden Ruhe. Den Boden der Tatsachen lernt man erst nach einem schmerzhaften Absturz kennen, rafft seinen Schirm dann schnell zusammen und entschwebt wieder in grenzenlose Freiheiten.
Sportwagen oder Gleitschirm - es dürfte wohl nicht allzu schwer sein, Ihr Kind irgendwo zwischen diesen beiden Extremen unterzubringen. Der Vorteil bislang - Sie mussten nur die Buchstaben der Abkürzung in den Mund nehmen, und schon nickte ihr Umfeld verständnisvoll. Sie haben es halt nicht leicht als Eltern mit so einem Kind. Ach, ADHS? Ja das erklärt alles, die armen Eltern. Unglücklicherweise entwickelt sich gerade ein Trend, der es Eltern immer schwerer macht, ihre verpfuschte Erziehung unter dem Deckmantel der ADHS Diagnose zu verstecken. Ein erster Aufschrei ging vor kurzem durch Elternselbsthilfegruppen, nachdem ein Facharzt allen Ernstes behauptet