Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera. Andreas Loos Hermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Loos Hermann
Издательство: Bookwire
Серия: Das Seelenkarussell
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742778994
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Sekunde vergangen.

      Ihre Oma tröstete sie. Sie streichelte ihr Haar und meinte schuldbewusst: „Wie hat mir das nur passieren können, dass du in deine Hölle geraten bist. Das war doch meine Aufgabe, dich genau davor zu bewahren, und was mache ich, ich stehe daneben und vergesse die Hälfte von dem, was ich dir unbedingt hätte sagen sollen.“

      „Das verstehe ich nicht, was solltest du mir sagen, wieso kannst du die Hölle verhindern?“ Vera blickte ihre Oma entgeistert an.

      „Kind, es gibt keine Hölle, das waren nur deine eigenen Ängste und Phantasien. Du hast begonnen an die Hölle zu denken und hast genau das erlebt, was du dir als Hölle vorgestellt hast. Deine Phantasie und dein Unterbewusstes haben dich da hineingeritten, aber du warst phantastisch, dein Verstand hat die Unlogik und den Unsinn deines Unterbewussten richtig erkannt. So konntest du trotz deiner schrecklichen Ängste rasch wieder zurückfinden. Glaub´ aber nicht, dass allen Leuten das so rasch gelingt, manche bleiben halbe Ewigkeiten dort, wenn sie ihren Zustand nicht begreifen können. Dein Wille war so stark, dass du den Teufel besiegen wolltest, aber stell´ dir einmal vor, du hättest fest geglaubt, jetzt sei alles aus und du würdest keine Chance auf Entkommen haben. Du würdest noch immer am Pfahl stecken und Ewigkeiten dort verbringen.“

      Vera schauderte: „Aber wie kann ich verhindern, wieder dort zu landen, wenn mir mein Unterbewusstes wieder ein Höllenbild vorspielen will.“

      „Jetzt weißt du es ja, du brauchst nur zu denken, es soll verschwinden, und du bist dort, wo du sein möchtest.“

      „Aber wieso hast du gewusst, was ich gerade erlebe“, fragte Vera dann.

      „Weil Gedanken leicht erkennbar sind. Deine Gedanken sind aus dem gleichen Stoff, wie die Energie, aus der du selbst bist. Aber diese Dinge wirst du alle noch besser erkennen, wenn du ein Stückchen weiter bist als jetzt. Dann kannst du über die Bilder von Hieronymus Bosch, in die du geraten bist, herzlich lachen.“

      „Aber dann hat die Kirche ja irgendwie mit der Hölle doch recht, wenn man sie erleben kann.“

      „Papperlapap“, rief die Oma, „die Kirche wollte in der Vergangenheit die Leute mit ihren perversen Höllenphantasien unterwerfen, damit sich alle ganz schrecklich vorm Jenseits fürchten und alles tun, was die Kirche ihnen vorschreibt. Das war reine Machtausübung, die allerdings manche Leute in der Kirche auch heute noch gerne ausüben möchten, denk nur an deinen alten Religionslehrer, dieses Ekel, der euch so viel Unsinn erzählt hat.“

      „Der müsste ja schon längst tot sein“, entfuhr es Vera.

      „Ist er auch, er hängt noch immer in der Hölle herum und wird sie auch nicht so schnell verlassen.“

      „Warum ist er selbst drin?“, fragte Vera.

      „Er glaubt, er habe die Kinder zu wenig streng erzogen, weil sich alle aus seinen Stunden abgemeldet haben und dafür habe ihn Gott in die ewige Verdammnis geworfen. Du siehst, es gibt nichts, was es nicht gibt“, meinte Oma lächelnd.

      „Da hätte ich ihn ja treffen können“, meinte Vera, „ein schrecklicher Gedanke.“

      „Hättest du nicht, denn seine Hölle ist ja nicht deine Hölle. Er hat doch andere Ängste und Vorstellungen von der Hölle als du. Jeder schafft sich seine eigene Hölle, wenn er sich unbedingt eine schaffen muss.“

      „Ich muss mir keine Hölle mehr schaffen“, meinte Vera erleichtert.

      „Sei dir da nicht so sicher, du hast noch lange nicht alle deine Probleme gelöst, Vera. Aber das Wichtigste haben wir jetzt zusammen erledigt, denn mich strengt die Sache hier herunten langsam an, ich werde mich jetzt verabschieden.“

      „Leb wohl Vera, denk immer daran, du kannst gehen, wohin immer du willst, es hält dich nichts auf. Verpass´ nur bloß nicht den Übergang ins Licht, sonst sehen wir uns so schnell nicht wieder.“

      „Welchen Übergang, was soll ich nicht verpassen?“ Vera erschrak. „Ich kenne doch hier sonst niemanden, wo soll ich denn hingehen, wo ist hier irgendein Übergang, den ich verpassen könnte?“

      Aber die Oma lächelte nur freundlich und wurde langsam durchsichtig und schließlich war sie ganz verschwunden.

      Vera stand allein in der Halle des Hilton und sah sich um. Sie glaubte, einsam sein zu müssen, aber sie war nicht einsam oder traurig, sondern eine gewisse Neugier begann sie zu erfüllen. Eine Neugier darauf, was wohl als nächstes kommen würde. Jetzt, da sie die Hölle schon überstanden hatte, konnte sie sich schon einiges zutrauen.

      Die Macht, ihre Gedanken und Vorstellungen sofort umsetzen zu können, war etwas völlig Neues für sie, begann sie aber zu faszinieren, auch wenn es scheinbar manchmal gefährlich werden konnte. Immerhin hatte sie den Tod schon überwunden, dachte sie.

      Vera sah wieder zu Georg hinüber. Dieser hatte sich eben von den Polizisten verabschiedet und ging durch die große Glastür auf die Straße hinaus. Wie gerne wäre Vera ihm gefolgt, aber inzwischen wusste sie, dass das keinen Sinn machte. Georg gehörte zu den Lebenden, sie gehörte nicht mehr dazu. Wehmütig sah sie ihm nach, bis die Drehtür schwang und sie ihn nicht mehr sehen konnte.

      Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass sie Georg schon bald wiedersehen werde. Sie erschrak, würde Georg auch bald sterben. Das wünschte sie ihm nicht, auch wenn sie gerne in seine Arme gesunken wäre. „In diesem Leben nicht“, sagte die Stimme in ihr. Was war das für eine Stimme, spielte ihr das Unterbewusste schon wieder einen Streich, oder war da jemand, den sie nicht kannte.

      Sie war frei, sie konnte gehen wohin sie wollte. Michael fiel ihr ein. Sie könnte sehen, was er jetzt eben machte, dachte sie. Sie wollte dort sein, wo er jetzt war. Ausprobieren, ob das wirklich so einfach ging, wie vorhin, als sie und Oma so plötzlich in der Passage bei ihrem toten Körper gewesen waren.

      Kapitel 16

      Das Vorzimmer, in dem sie unvermittelt stand, kannte sie recht gut. Es war das Vorzimmer von Michaels Wohnung. Michael hatte eine Wohnung in einem dieser ausgebauten Dachböden eines großen Altbaus aus dem neunzehnten Jahrhundert. Darin lebte er zwar etwas über seine Verhältnisse, da die Mieten in der Innenstadt, dem ersten Wiener Bezirk, extrem hoch waren. Er aber hatte sich diese Wohnung eingebildet und gemeint, der Ausblick über die Dächer von Wien sei ihm das viele Geld wert.

      Vera stand im Vorzimmer und sah sich um. Es war dunkel, sie dachte einen Moment daran, Licht aufzudrehen, bis ihr einfiel, dass sie das wohl nicht könne. Sie konnte allerdings im dunklen Vorzimmer genauso gut sehen, wie wenn das Licht gebrannt hätte. Michaels Garderobe war voll geräumt mit seinen Sachen, die er unordentlich über die Haken verteilt hatte. Ordnung halten war nicht seine Stärke. Durch die Tür, die ins Wohnzimmer führte, drang ein schwacher Lichtschein. Die Tür war einen Spalt offen.

      Vera fühlte sich unsicher. Sie wollte Michael sehen, wusste aber, dass er sie nicht sehen würde und außerdem gab es etwas in ihrem Unterbewussten, das sie zurückhielt, sofort ins Wohnzimmer zu gehen. Sie wollte aber doch hineingehen, da hörte sie Stimmen. Sie hörte, wie Michael rief, „Zweite Tür rechts“. Eine weibliche Stimme antwortete, „Danke, ich bin gleich wieder bei dir.“

      Die Tür zum Wohnzimmer ging auf und Angelika, eine Freundin aus Veras großem Bekanntenkreis kam heraus. Vera erschrak, denn Angelika war vollkommen nackt und ging in aller Ruhe an ihr vorbei auf die Toilette. Den Schrei, den Vera ausgestoßen hatte, konnte allerdings niemand hören. Das war es also, das komische Gefühl, das sie gegenüber Michael immer gehabt hatte, und nie so wirklich hatte deuten können. Sie hatte immer gedacht, sie liebe ihn und war sich dabei irgendwie unsicher gewesen. Und jetzt sah sie die andere Wirklichkeit Michaels überdeutlich. Hatte Angelika die Gunst der Stunde genutzt und sich an Michael herangemacht, oder war es Michael gewesen, der ihre erste große Dienstreise sofort zu einem Seitensprung hatte nutzen müssen.

      Vera stürzte ins Wohnzimmer. Der weitläufige Raum war in Dämmerlicht getaucht und es war kein Michael zu sehen. Nur einige Spots beleuchteten die Ecke mit der Stahlrohrcouche, auf der sie mit Michael schon sehr intim gewesen war. Einige