Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera. Andreas Loos Hermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Loos Hermann
Издательство: Bookwire
Серия: Das Seelenkarussell
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742778994
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willst?“, fragte Vera. Christian dachte längere Zeit angestrengt nach. „Mich haben doch schon alle längst vergessen. Die haben doch alle ihr Leben, nur ich habe meines kaputtgemacht.“ Bei diesen Worten sah er wieder ganz traurig drein.

      „Doch einen gibt es, den könnte ich besuchen“, meinte er schließlich ganz leise. „Mein Religionsprofessor aus der siebenten Klasse am Gymnasium, der wollte nicht, dass ich alles hinschmeiße, der hat sich mit mir einen ganzen Nachmittag lang unterhalten, damit ich die Klasse noch einmal wiederhole und nicht aufgebe. Leider hat es nichts genützt“, fügte er traurig hinzu. „Ich weiß auch gar nicht, wo der wohnt.“

      „Das macht nichts, denk einfach an ihn und wünsch dich in seine Nähe“, munterte Vera ihn auf. „Denk dran, du wirst jemanden treffen, der dir weiterhelfen kann, und wir sehen uns wieder, das ist sicher.“

      Christian sah sie groß an. „Wenn du meinst, mein Engel.“ Vera sah, wie sich seine Augen verengten, als er sich auf den Religionslehrer konzentrierte. In der nächsten Sekunde stand sie allein am Bahnsteig. Christian war verschwunden.

      Kapitel 19

      Vera fühlte sich auf einmal allein und einsam. Ein Gefühl, das sie bisher im Jenseits, oder wie immer man diese Gegend oder diesen Zustand nennen wollte, nicht gehabt hatte. Sollte sie die U-Bahn nehmen oder den direkten Weg in die Grinzinger Allee.

      Dann stieg sie ganz normal in den nächsten Zug nach Heiligenstadt ein. Sie wollte es noch einmal so richtig auskosten, auf einem Platz sitzen und so zu tun, als ob alles so wäre wie früher oder wie bis heute morgen.

      Dann kam es ihr aber so vor, als ob der Zug unendlich langsam fahren würde. Die Garnitur kam überhaupt nicht voran. Die Leute im Zug bemerkten das nicht, für sie fuhr die U-Bahn so rasch, wie immer. Sie merkte, dass sie sich einfach nicht so fühlte, wie wenn sie noch leben würde. Ihre Wahrnehmung hatte sich schon zu sehr verändert. Die Gedanken der Fahrgäste im Waggon gingen ihr richtig auf die Nerven, da sie nichts als Banalitäten und Dummheiten enthielten. Sie wollte diese Gedanken gar nicht kennen.

      Als sie schließlich endlich in Heiligenstadt angelangt war, hatte sie von irdischen U-Bahnen genug. Sie brauchte keine irdischen Verkehrsmittel mehr.

      Mit dieser neuen Erkenntnis stand sie unvermittelt im Arbeitszimmer ihres Vaters. Das Zimmer lag im gedämpften Licht einer Stehlampe. Alle anderen Beleuchtungskörper waren ausgeschaltet. Die schweren antiken Schränke, die Vater so liebte, sowie sein Schreibtisch waren im Dunkeln. Veras Vater saß im grünen Ohrensessel, in dem er immer dann saß, wenn es galt, wichtige Entscheidungen zu treffen. Der Sessel war Teil der kleinen grünen Sitzgarnitur, die für die privaten Besprechungen vorbehalten war. Herbert, ihr Bruder saß ihm gegenüber auf dem Sofa. Die beiden unterhielten sich leise, aber sehr intensiv.

      „Mutter soll davon aber nichts erfahren“, meinte Herbert gerade mit Verschwörermiene, als Vera sich für die beiden unsichtbar auf die Arbeitplatte des Schreibtisches setzte, wie sie es als Kind so gerne getan hatte.

      „Du machst es mir nicht leicht“, Vater stöhnte leise auf, „was ist, wenn Vera doch dahinterkommt, weil sie auch einmal etwas braucht, was sage ich ihr dann. Sie ist ja ohnehin schon so weit weg von unserer Familie, und wenn sie das erführe, würden wir sie nie wieder sehen, fürchte ich.“

      „Mach´ dir doch bitte um Vera keine Sorgen,“ beschwichtigte Herbert, “die kann auf sich selbst schauen, die ist doch auf dein Geld gar nicht angewiesen, die kommt sicher nicht zu dir und bittet dich um Geld.“ Vera fand, dass es so aussah, als ob Herbert sich gerade ihr Erbteil unter den Nagel reißen wollte, dabei wusste doch hier noch gar niemand von ihrem Tod.

      „Dafür kommst du umso öfter“, entgegnete der Vater bitter. Vera fand, dass er sehr alt aussah, wie er so in seinem Sessel saß. „Ständig muss man dir aushelfen, du darfst doch nicht glauben, dass die Konten unerschöpflich sind, das geht doch schon längst an die Substanz der Familienfinanzen.“

      „Was soll ich denn machen, dass das Geschäft in die Hose gegangen ist, das war doch nicht meine Schuld“, verteidigte sich Herbert verärgert.

      „Ich habe nie solche Verträge abgeschlossen, bei mir gab es immer eine sichere Rendite, aber bei dir ist einfach das Risiko zu hoch und genau das hat jetzt wieder Wirkung gezeigt“, brummte der Vater grantig.

      „Ich verspreche, künftig will ich besser aufpassen“. Herbert versuchte treuherzig dreinzuschauen, als er das sagte, es gelang ihm aber nicht so recht.

      „Das sind die letzten drei Millionen, die ich habe, es sind die Konten, die eigentlich für das Erbe von Vera gedacht waren, wenn du die auch verschleuderst und keine Rendite damit machst, habe ich nichts mehr, was ich dir geben könnte, dann bleibt mir nur mehr meine Pension, für mich und Mutter zum Leben. Mit Finanztransaktionen ist dann endgültig Schluss.“

      Es gab Vera einen Stich als sie das hörte, es war das letzte Kapital, was Vater noch hatte, alles andere hatte Herbert bereits über die Kanzlei in missglückten Spekulationen verloren. Wenn das bekannt wurde, war die Kanzlei erledigt, da die Klienten mit einer solchen Vermögensverwaltung sicher nichts zu tun haben wollten.

      Doch das war sie bereits jetzt. Vera spürte zwar die kleine Erleichterung von Herbert, als Vater nun zusagte und ihm das Geld versprach. Doch auch die übrigen Gedanken von Herbert wurden für sie plötzlich transparent. Herbert musste das Geld in Wirklichkeit bereits Klienten zurückerstatten, deren Geld er in leichtsinniger und unzulässiger Weise in Devisenspekulationen verloren hatte, und die davon gar nichts wussten. Er hatte mit fremdem Geld, mit Geld, das der Kanzlei anvertraut worden war, leichtfertig spekuliert und fast alles verloren. Die drei Millionen von Veras Erbe würden nicht reichen, Herbert hatte geglaubt, dass da noch mehr zu holen wäre, aber er hatte sich geirrt. Die Kanzlei war faktisch bankrott und ihr Bruder ein Krimineller, der seine Klienten bestohlen hatte, da er für die Spekulationen keinen Auftrag gehabt hatte und für die eigene Tasche spekuliert hatte.

      Vera brüllte ihren Bruder vor Wut an, ob er denn komplett den Verstand verloren habe. Die Fensterscheiben hätten geklirrt, wenn sie noch hier gelebt hätte. Herbert hörte zwar nichts, aber ihre emotionale Reaktion war so heftig, dass ihr Bruder ein immer schlechteres Gewissen bekam und ihn ein Gefühl beschlich, sein Geheimnis sei verraten und da wäre noch jemand, der davon wusste. Es war ihm gar nicht wohl in seiner Haut. Verlegen wand er sich auf dem Sofa.

      Vater, dem dies nicht entgangen war, blickte ihn streng an und meinte: „Gibt es da noch etwas, was du mir sagen solltest.“ „Wenn ja, dann sprich, denn wenn du mir noch etwas verheimlichst, wird die Sache vermutlich noch schlimmer, als sie ohnehin schon ist. Eine gut gehende Kanzlei in drei Jahren so herunterzuwirtschaften, und das von meinem eigenen Sohn. Dass ich das noch erleben musste.“

      Veras Wut verblasste, als sie jetzt die Gedanken ihres Vaters fühlte. Ein Kloß stieg in ihrem Hals auf und sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, obwohl sie doch schon tot war. Alte Schuldgefühle begannen in ihr aufzusteigen, denn das was sie mitbekam, erschütterte sie zutiefst.

      Ihr Vater dachte an sie, wie sie sich immer geweigert hatte, in die Kanzlei einzusteigen, weil sie groß Karriere machen wollte und nicht die zweite Hand von Herbert sein wollte. Dabei hatte Vater immer gewusst, dass Herbert die Kanzlei alleine nicht führen konnte, da er viel zu leichtsinnig war und Vera hätte die Kontrolle über die Kanzlei und über die Geschäfte von Herbert bekommen. Herbert wäre die zweite Hand von Vera gewesen, aber sie hatte sich ja so beharrlich geweigert, sich überhaupt mit der Kanzlei zu beschäftigen, obwohl Vater sie doch so gedrängt hatte.

      Das hatte sie nicht gewusst, diese Erkenntnis traf sie wie ein Keulenschlag. Mit einem Mal war alles ganz anders. Sie war schuld am Untergang der Kanzlei und somit am finanziellen Ruin der Familie. Das hatte sie nicht gewollt. Sie hatte doch keine Ahnung gehabt, was ihr Vater damals wirklich dachte. Er hatte sich immer so geschwollen und für sie unverständlich ausgedrückt. Sie hatte nie richtig verstanden, was er ihr eigentlich sagen wollte, oder sie hatte nie richtig zugehört, wie ihre innere Stimme ihr jetzt unmissverständlich zu verstehen gab.

      Sie war schuld und sonst niemand, denn sie hätte