Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, tätschelte er Eriks linken Arm, der sich wie gelähmt ob der vielen positiven Nachrichten nicht vom Fleck gerührt hatte.
„Was stehen wir hier rum“, fuhr Dr. Konzalik fort und schob Erik in Richtung zu der kleinen Besprechungsecke mit einem Tischchen und drei Besuchersesseln.
„Setz dich doch, Erik.“ Erik stellte seinen Aktenkoffer ab und nahm dann ebenfalls Platz.
„Das Beste kommt ja noch.“ Dr. Konzalik machte eine bedeutungsvolle Pause, erhob sich wieder aus seinem Sessel, um zu der immer noch geöffneten Tür zu gehen.
„Frau Brenner, es kann los gehen.“Im Sekretariat machte sich Frau Berger offensichtlich ans Werk, das von Ihrem Chef gewünschte in die Tat umzusetzen. Man hörte das Klappen der Kühlschranktür, Gläserklirren und kurz danach ein gedämpftes Plopp. Erst jetzt realisierte Erik, dass auf dem Tischchen zwei kleine Teller standen, darauf sorgfältig gefaltete Servietten.
„Was geht hier vor?“, dachte Erik, als Frau Berger auch schon mit einem Tablett erschien, das sie routiniert schwungvoll auf dem Tischchen abstellte.
„Wie gewünscht, Champagner und Häppchen! Dann lassen sie es sich mal schmecken!“
Auch sie schien sich an der Verblüffung von Erik zu ergötzen, was allerdings kein Wunder war, da sie selbst von dem, was hier geschah, überrascht war. An solch ein Ereignis konnte sie sich bei bestem Willen nicht erinnern.
„Ich weiß, Champagner zu so früher Stunde ist ungewöhnlich, aber ..“ wieder eine kleine bedeutsame Pause, „ … der Anlass ist ja auch ungewöhnlich.“
Obwohl augenscheinlich alles in bester Ordnung war, rutschte Erik unruhig auf seinem Sessel hin und her.
„Du wirst es nicht glauben, aber Cortez war so überzeugt von deiner Arbeit, dass er uns bei dem Telefonat am Freitag einen weiteren großen Auftrag in Aussicht gestellt hat. Aber schon am Sonntag habe ich eine Mail von ihm mit den Auftragsunterlagen bekommen. Das ging, sage ich mal, alles blitzschnell.“
Eine Welle der Begeisterung schien Dr. Konzalik erfasst zu haben, denn er schlug sich mit der rechten Hand auf den Oberschenkel, dass es nur so knallte. Erik, völlig überrascht von diesem plötzlichen Gefühlsausbruch, zuckte erschrocken zusammen.
„Auf diesen Anschlussauftrag hatten wir ja gehofft, obwohl wir uns keine großen Chancen ausgerechnet haben. Die Konkurrenz war hart, aber dank deiner hervorragenden Arbeit haben wir uns durchgesetzt. Aber es kommt noch besser.“
„Noch besser?“, warf Erik fast verschüchtert ein.
„Sicher ! Und das ist wirklich unglaublich! Cortez hat mir dabei mitgeteilt, dass die Familie Martinez beabsichtigt, uns zu beauftragen, ihr Firmenimperium zu durchleuchten. Wir sollen Ertragspotenziale lokalisieren und entwickeln, allerdings immer unter der Prämisse, dass Mitarbeiterinteressen gewahrt bleiben und jetzt kommt es: dass du das Projekt leitest. Louis Cortez kommt diesen Donnerstag als Abgesandter der Familie Martinez nach Berlin und will die Einzelheiten mit uns abklären. Das Ganze ist einfach unglaublich! Darauf wollen wir trinken!“
Völlig benommen von den Ereignissen, fast abwesend, hob Erik mechanisch sein Glas. Die ganze Geschichte nahm eine Entwicklung, die seine Erwartungen bei weitem übertraf. Während er noch nach Worten suchte, die diesem Augenblick angemessen waren, setzte Dr. Konzalik noch eins drauf: „Wenn dieser Auftrag kommt, dann wirst du dieses Projekt als Partner leiten, darauf kannst du Gift nehmen. Auch der Partnerrat wird nichts dagegen einzuwenden haben. Alles Weitere besprechen wir dann morgen. Heute nimmst du dir frei und genießt den Tag. Prost!“
„Danke!“ Zu mehr war Erik im Augenblick nicht fähig und war froh, dass Dr. Konzalik keine weiteren Überraschungen parat hatte und sich stattdessen über die leckeren Häppchen hermachte. Nach diesem Gespräch hatte er das Gefühl, dass einer glänzenden Karriere nichts mehr im Wege stand.
Erik hatte das Angebot von Dr. Konzalik angenommen und sich auf den Heimweg begeben. Unterwegs kam ihm der Gedanke, dass es angesichts des schönen Wetters keine schlechte Idee wäre, nach dem so frühen Champagner einen Kaffee zu trinken. Also steuerte er das nächste ihm bekannte Café an, um die Idee auch in die Tat umzusetzen. Es würde ihm gut tun, in der Sonne zu sitzen und die letzte Stunde noch einmal Revue passieren zu lassen. Eines aber stand schon fest: er würde heute Abend Kirstin mit einem Essen überraschen. Schließlich gab es ja einen Anlass für eine kleine Feier zu Zweit.
Kirstin fühlte sich ausgesprochen beschwingt, als sie nach der kurzen Busfahrt und dem kleinen Fußmarsch von der Haltestelle bis zur Kanzlei schließlich ihr Büro betrat. Sie war sich nicht ganz schlüssig, ob die Rückkehr von Erik oder die ausgelassene Schülerschar im Bus Ursache für ihre gute Laune war. Auf jeden Fall hatten die Kinder, sie nahm an, dass es Grundschüler waren, die sich, nach ihrer Kleidung zu urteilen, auf einem Ausflug befanden, viel Fröhlichkeit verbreitet. Die Worte waren hin und her geflogen und das Gekicher und Gelächter wollte einfach kein Ende nehmen. Auch die anderen Fahrgäste hatten sich am fröhlichen Inferno eher erfreut, was Seltenheitswert hatte. Normalerweise gab es immer jemanden, der sich über den sogenannten Lärm beschwerte. Heute war es anders gewesen und hatte sie in ihrem Kinderwunsch bestärkt. Ja, sie wollten Kinder, mindestens zwei. Wirtschaftlich ging es ihnen gut und sollte Erik tatsächlich, wie erhofft, die Partnerschaft angeboten werden, wären sie finanziell mehr als abgesichert. Vorausgesetzt, es käme nicht zu einer weiteren Finanz- und damit Weltwirtschaftskrise wie vor neunzehn Jahren. Diese war noch heftiger ausgefallen, als die der Jahre 2008 bis 2012. Man hatte zwar einige Regularien entwickelt, um solch eine Katastrophe für die Zukunft zu verhindern, sie hatten jedoch, wie die Entwicklung zeigte, nicht ausgereicht, eben diese Katastrophe zu vermeiden. Aber wie gesagt, das Tal der Tränen war durchschritten und seit vier, fünf Jahren ging es wieder richtig aufwärts, so auch die einhellige Meinung der Wirtschaftsforschungsinstitute; alle relevanten Indices wiesen auf einen stetigen Aufwärtstrend hin. So hatten sie beschlossen, den Kinderwunsch Realität werden zu lassen. Vielleicht würden sie dann auch ein Haus am Rande der Stadt beziehen, mit einem Garten, der Platz zum Spielen und für gemütliche Grillfeste bot. Sie konnte es sich gut vorstellen, ihre Tätigkeit für mindestens ein Jahr aufzugeben, um sich voll und ganz dem Nachwuchs zu widmen. Vielleicht hatte es ja schon an diesem Wochenende geklappt und sie war schwanger. Schließlich hatte sie ja bereits vor fünf Wochen die Schwangerschaftsverhütung eingestellt.
Zügig hatte Kirstin die vorbereiteten Unterlagen für ihren Gerichtstermin zusammengestellt und in den kleinen Aktenkoffer gelegt. Igor Ibramowitsch, so hieß der Mann, den sie heute verteidigen sollte, gehörte zu der Klientel, der ihr keine große Freude bereitete. Er war der einzige Sohn einer aus Russland eingewanderten Familie, in Deutschland geboren und zweiunddreißig Jahre alt. Eigentlich ein intelligenter Bursche, hatte keine Sprachdefizite und das Abitur gemacht. Sein Vater war Arzt und so hatte es die Familie zu einigem Wohlstand gebracht; also eigentlich beste Voraussetzungen für einen ordentlichen Lebenslauf. Nach dem Abitur zeigte Igor, trotz der Mahnungen seines Vaters, kein Interesse an einem weiterführenden Studium. Er wollte Geld verdienen und dies bald. Da sich zu diesem Zeitpunkt erste Anzeichen der Wirtschaftskrise zeigten, waren Ausbildungsplätze rar und trotz der relativ guten Zeugnisse gelang es ihm nicht, einen dieser Plätze zu erhalten. Damit begann sein Abstieg. Er hielt sich zunächst mit Gelegenheitsarbeiten und finanziellen Zuwendungen seines Vaters über Wasser, in der Hoffnung etwas später eine Ausbildung beginnen zu können. Doch die Hoffnung war trügerisch. Überall wurde gespart, auch sein Vater, der mittlerweile in den Ruhestand gegangen war, konnte ihn nicht mehr in dem Maße unterstützen, wie er es gern getan hätte, da auch er ein Opfer der Finanzkrise geworden war und erhebliche Teile des Vermögens verloren hatte. Also verdiente sich Igor, der schließlich von Sozialleistungen des Staates lebte, etwas dazu, indem er das kapitalistische Ausbeuterpack, wie er