Ernteplanet. Rolf-Dieter Meier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rolf-Dieter Meier
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738089011
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meines Vaters deutlich weniger, dafür die Geschichte von Igor weitaus mehr. Meine Mutter hatte sie mir eines Abends als Gutenachtgeschichte vorgetragen und sie hatte mich so fasziniert, dass sie mir dieses „Märchen“ jeden Abend von neuem erzählen musste. Als geübte Rednerin verstand sie es, der Handlung den letzten Schliff zu geben und als aufmerksamer Zuhörer war ich bald in der Lage, jedes Wort in Gedanken auszusprechen, bevor es meine Mutter tat. Noch heute sehe ich das Bild vor mir, als ob es erst gestern war; wie sie auf meinem Bett sitzt, mit ihrer modischen Kurzhaarfrisur, nur eine längere Strähne ihres dunklen Haares fiel über ihre rechte Wange herab, ihren dunklen Augen, die in diesen Momenten voller, ja Zärtlichkeit waren und einem spitzbübischen Lächeln. Und ich war stolz auf meine Mutter, die den unglücklichen Igor wieder, und das war meine feste Überzeugung, auf den Pfad der Tugend zurückgebracht hatte.

      Wie gesagt, am Abend des 1. April herrschte bei meinen Eltern die reine Glückseligkeit. Sie malten sich die Zukunft in rosaroten Farben aus, würde doch die Partnerschaft meines Vaters den finanziellen Spielraum und damit die persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten deutlich erhöhen. Sie gehörten zwar schon bisher zu den Menschen, die sich glücklich schätzen konnten, über ein angemessenes Einkommen zu verfügen, dass es ihnen erlaubte, sich doch den einen oder anderen kleinen Wunsch zu erfüllen. Große Sprünge waren damit allerdings nicht zu machen. Das würde nun doch, wenn nichts dazwischen kam, etwas anders werden. Das meinem Vater so plötzlich die Partnerschaft angeboten wurde, war eben glücklichen Umständen zu verdanken. Erst ein paar Tage später setzte bei Erik so etwas wie ein kritisches Hinterfragen ein.

      Donnerstag, 04.04.2047

      Am Donnerstag traf Louis Cortez wie angekündigt in Berlin ein und hatte am Mittag der T. Summerset Consulting AG seine Aufwartung gemacht. Dr. Konzalik nutzte die Gelegenheit, dem CEO von Global Mecánica SA die soziale Errungenschaft des Unternehmens vorzuführen und lud deshalb zunächst in ein separates Gästezimmer der Kantine zu einem Drei-Gänge-Menu ein. Der Küchenchef und sein Team hatten ihrem ohnehin vorhandenem Können noch eins drauf gesetzt und ein bestechendes Werk von Köstlichkeiten serviert. Dies gab der sowieso schon vorhandenen guten Stimmung noch einen zusätzlichen Schub und schaffte ein ausgesprochen angenehmes Gesprächsklima. Bereits während des Essens kam das Gespräch auf den Auftrag, zu dem Dr. Konzalik die Unterlagen bereits am vergangenen Sonntag erhalten hatte. Erik hatte diese in den vergangenen Tagen gesichtet und anhand der Aufgabenstellung seine Vorgehensweise festgelegt. Er war also bestens präpariert und konnte Louis Cortez auf jede seiner Frage eine fachlich fundierte Antwort geben. Der CEO von Global Mecánica SA war sichtlich begeistert, was wiederum Dr. Konzalik in eine geradezu euphorische Stimmung versetzte. Erik konnte seine Verwunderung über die seltsame Wandlung seines früher so gestrengen Vorgesetzten in einen charmanten Gesprächspartner nur mühsam verbergen. Es blieb ihm allerdings nicht viel Zeit ins Grübeln zu geraten, da ihm Louis Cortez, der ihm gegenüber saß, vertraulich die Hand tätschelte.

      „Herr Stendahl, es steht ja nun eine längere Zeit der Zusammenarbeit an und ich kann sagen, ich freue mich schon darauf, sie wieder in Madrid begrüßen zu dürfen. Aber ganz sicher werden sie auch noch einige andere Städte unseres schönen Landes kennen lernen, da die Unternehmen der Global Mecánica SA in vielen Landesteilen vertreten sind. Auf jeden Fall werden wir für einen angenehmen Aufenthalt sorgen und ich hoffe, dass wir die Gelegenheit finden werden, auch mal gemeinsam einen guten Wein zu genießen. Vielleicht können sie ja auch ihre Frau überzeugen, sie einmal zu begleiten. Meine Frau würde sich sicher freuen, ihr ein paar exquisite Sehenswürdigkeiten zeigen zu können. Ich meine …“ Er machte eine kleine bedeutsame Pause, um dann fortzufahren: „… Schuhgeschäfte!“

      Louis Cortez begann lauthals zu lachen. Dr. Konzalik, der zwar keinen Grund für solche ausgelassene Heiterkeit erkennen konnte, schloss sich dennoch aus taktischen Gründen dem Gefühlsausbruch seines Mandanten an. Merkwürdigerweise wirkte sein Lachen dabei völlig unverkrampft, geradezu gelöst. Erik war verblüfft, ließ doch das Wort Schuhgeschäft unvermittelt die Szene am Flughafen mit dem lustigen Frauentrio und den herabgefallenen Schuhen vor seinem geistigen Auge entstehen und konnte dann zu seiner eigenen Verwunderung nicht umhin, ebenfalls in das Gelächter einzufallen. Die Lautstärke musste beträchtlich und trotz der gut gedämmten Wände und der schweren Tür außerhalb des Gästezimmers vernehmbar gewesen sein, denn ein besorgter Küchenchef trat ein.

      „Ist alles in Ordnung?“

      Dr. Konzalik beruhigte sich als erster.

      „Alles bestens, mein Lieber. Sie haben sich selber übertroffen!“ Er sprang auf, ging schnellen Schrittes auf den völlig entgeistert wirkenden Küchenchef zu, nahm seine Hand und schüttelte sie kräftig. Auch Louis Cortez fühlte sich verpflichtet, eine Danksagung an den Küchenchef zu richten: „Das Menu war wundervoll! Danke!“

      Erleichtert, dass nicht sein Menu verantwortlich für die Heiterkeit war, zog sich der Küchenchef wieder zurück.

      „Meine Herren“, begann Louis Cortez fast feierlich, “wenden wir uns wieder den Geschäften zu. Ich habe Ihnen für die Untersuchung der Global Mecánica SA die grundlegenden Unterlagen mitgebracht.“ Dabei wies er auf seinen Aktenkoffer, den er auf einem kleinen Beistelltisch abgelegt hatte. „Ich würde sie gerne noch mit ihnen kurz durchsprechen.“

      „Das ist auch in unserem Interesse“, antwortete Dr. Konzalik, „aber wir sollten dazu in mein Besprechungszimmer gehen!“

      Alles Weitere war reine Routine. Erik nahm die Unterlagen entgegen, zu denen der CEO die eine oder andere Erläuterung abgab. Insgesamt wirkte das Zahlenwerk aussagefähig und gut aufbereitet, sodass zumindest zum jetzigen Zeitpunkt für Erik nur wenig Bedarf an weitergehenden Fragen bestand. Auch Dr. Konzalik schien beeindruckt und sah keinen weiteren Klärungsbedarf. So bestand über die Aufgabenstellung bald Einvernehmen und man verabschiedete sich voneinander in der Hoffnung, dass die kommende Auftragsabwicklung zur Zufriedenheit aller Beteiligten ausgehen möge, woran aber auch niemand wirklich zweifelte.

      Nachdem Louis Cortez das Haus verlassen und ihm Dr. Konzalik ausdrücklich jegliche Unterstützung bei der Bewältigung des Auftrags zugesichert hatte, zog sich Erik in sein Büro zurück; er brauchte ein paar Minuten der Ruhe, um die letzten Stunden zu verarbeiten. Doch es hielt ihn nicht lange in seinem Sessel, er musste mit jemandem sprechen. „Mal sehen, ob Marco da ist“, dachte er gerade, als es an der Tür klopfte und sich diese unmittelbar danach öffnete. Ein von der Sonnenbank verwöhntes Gesicht erschien und präsentierte ein Lächeln, dass zwei beneidenswerte weiße Zahnreihen zeigte. Das lange dunkle Haar war im Nacken zu einem kleinen Zopf zusammen gebunden, so, wie es seit kurzem wieder in Mode war. Die Geschäftsleitung hatte gegen solche modischen Äußerlichkeiten nichts einzuwenden, sofern sie den allgemeinen Geschmack nicht allzu sehr strapazierten. Ganz im Gegenteil, demonstrierte man doch damit Fortschrittlichkeit und Modernität.

      „Mensch, Marco, kannst du Gedanken lesen?“

      „Hi, Erik! Noch nicht, aber die Neugierde hat mich hergetrieben. Ich habe Dich in dein Büro gehen sehen und mir gedacht, frag doch mal nach, wie dein Meeting ausgegangen ist.“

      Marco Trebisch hatte im gleichen Jahr wie Erik bei der T. Summerset Consulting AG angefangen. Die berufliche Ausbildung und diverse Projekte hatte sie immer wieder zusammengeführt. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus ein freundschaftliches Verhältnis, was sich in gelegentlichen privaten Zusammenkünften manifestierte. Marco, dessen Mutter Italienerin war, was zu seiner Namensgebung ganz maßgeblich beigetragen hatte, war ein Jahr jünger als Erik. Beide waren gut ins Berufsleben gestartet, ihre Karriereverläufe waren sehr ähnlich und es schien nur eine Frage der Zeit, bis sie ihr Ziel, die Partnerschaft, erreichen würden. Aus für beide unerklärlichen Gründen wurde der zunächst unaufhaltsame Aufstieg vor zwei Jahren gebremst. Trotz der ihrer Ansicht nach hervorragenden Arbeitsergebnisse war Dr. Konzalik nicht bereit, sie dem Partnerrat für die Partnerschaft vorzuschlagen. Sie vermuteten, dass Dr. Konzalik eine Abneigung gegen ihre soziale Einstellung hegte, die sie sich trotz des harten Wettbewerbs bewahrt hatten und die nicht unwesentlich ihre Arbeit beeinflusste. Dies stieß nicht in jedem Fall bei den Mandanten auf Verständnis und führte dann in der Regel zu ausgedehnten Diskussionen, die bei Dr. Konzalik auf wenig Gegenliebe stießen, galt für ihn doch das Motto: „Time is money“. Bisher konnten Erik und Marco ihre Vorstellungen zumindest