Ernteplanet. Rolf-Dieter Meier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rolf-Dieter Meier
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738089011
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bei Kirstin, wie es ihr denn während seiner Abwesenheit ergangen sei. Sie war Juristin in einer Anwaltskanzlei und hier vor allem für den paritätischen Wohlfahrtsverband und dessen Organisationen tätig. Eine Arbeit, die sie mit den Schattenseiten der menschlichen Existenz vertraut gemacht hatte und zu dem, womit Erik sein Geld verdiente, nicht hätte gegensätzlicher sein können. Der Umgang mit so manchem Elend hatte Kirstins Sinn für Gerechtigkeit stärker geprägt, als sie selbst wahrhaben wollte. „Du weiblicher Robin Hood“, beliebte Erik zu sagen, wenn sie sich wieder einmal über die Ungerechtigkeiten dieser Welt erregte. Der Ärger hielt jedoch nie lange an, da sie nicht unerheblich pragmatisch veranlagt war und es für sinnvoll erachtete, bei anstehenden Entscheidungen einen kühlen Kopf zu bewahren. Letztendlich hatten beide das Gefühl, von den Erfahrungen des Anderen zu profitieren und damit den eigenen Horizont zu erweitern. Während sie gerade wieder einmal mit einem Stück Weißbrot ein Teil des Dressings aufnahm, sah sie die Zeit gekommen, Eriks Frage zu beantworten:

      „Während du im warmen Spanien warst, musste ich hier frieren. Es war teilweise lausig kalt und zu allem Überfluss hat es auch noch andauernd geregnet. Gestern auch. Heute hat sich endlich mal wieder die Sonne sehen lassen.“

      Kirstin schob sich das Weißbrot in den Mund und begann genüsslich zu kauen.

      „Kein Wunder“, nutzte Erik die Pause, „ich bin ja auch wieder da!“

      „Ja, du mein Sonnenschein. Ansonsten ist während deiner Abwesenheit …“

      Kirstin brach ihre Rede unvermittelt ab, da hinter ihrem Rücken, zwei Tische weiter, ein lautes Lachen aufbrandete, dem Erik mehr Interesse zukommen ließ, als ihren Ausführungen.

      „Entschuldigung, ich war einen Moment abgelenkt.“

      „Das habe ich gemerkt.“ Sie schob den letzten Rest des Lachscarpaccio auf ihre Gabel und betrachtete es eine Weile, so, als würde sie es bedauern, dass dies tatsächlich der letzte Happen war.

      „Möchtest du noch ein Carpaccio?“, fragte Erik.

      „Ich würd‘ ja schon gern, aber dann schaffe ich das Hauptgericht nicht mehr und das ist bestimmt genauso schmackhaft.“

      Wieder ertönte von einem der Tische her ein lautes Kichern.

      „Die Gäste sind heute aber fröhlich,“ stellte Kirstin fest und zeigte dabei ein Lächeln, das eine Reihe strahlend weißer Zähne freilegte.

      Das entlockte Erik ein: „Du siehst bezaubernd aus. Ich könnte mich glatt in dich verlieben.“

      „Du Schmeichler“, entgegnete Kirstin und stimmte, als hätte sie nur darauf gewartet, in das Kichern ein, das an einem der Tische wieder aufgeflammt war.

      Erik war etwas irritiert ob der Heiterkeit, die ihm schon seit dem frühen Morgen ein ständiger Begleiter war und brachte nur noch ein „Du bist albern“ heraus, was sie mit einem erneuten Kichern beantwortete. Gottseidank brachte Emilio das Hauptgericht, über das sie sich sogleich hermachten und das ihre Erwartungen voll erfüllte.

      Während des Essens hatten sie ihre Unterhaltung weitestgehend eingeschränkt. Dafür wurde es an den Nebentischen immer ausgelassener. Nun, sie waren so ziemlich die Letzten, die noch etwas aßen, während an den anderen Tischen nur noch das Klirren von Wein- und Biergläsern zu hören war. Selbst die Ober ließen sich von der Fröhlichkeit anstecken, beteiligten sich vergnügt an den Witzeleien und trugen mit herzhaften Lachsalven zur ausgelassenen Stimmung bei. Auch Kirstin und Erik konnten nun nicht mehr an sich halten und reihten sich in das Gelächter ein. Beide waren froh, ihre Teller zügig geleert zu haben, nachdem es immer schwieriger wurde, die Contenance zu wahren. Selbst belanglose Aussprüche wurden mit Heiterkeit quittiert. Die sonst übliche gedämpfte Atmosphäre war einer ausgelassenen Partystimmung gewichen, der sich keiner entziehen konnte. Nur kurz flackerte bei Erik in diesem allgemeinen Tohuwabohu so etwas wie Widerstand auf.

      „Was ist bloß los?“, dachte er, um sich gleich wieder angesichts einer völlig aufgelösten Kirstin, die damit zu tun hatte, sich die Lachtränen von den Wangen zu wischen, von dieser Stimmung mitreißen zu lassen.

      Wieder zu Hause, holten sie das nach, was seiner Ansicht nach, bereits nach seiner Ankunft hätte geschehen sollen.

      Laut seiner Aussage, hatte mein Vater an diesem Abend, trotz der vorgerückten Stunde, alles gegeben, was wohl dem Umstand einer vierwöchigen Enthaltsamkeit geschuldet war. Dies wurde allerdings von meiner Mutter, nachdem sie von der hübschen Spanierin, die Mitglied in seinem Projektteam war, Wind bekommen hatte, gelinde gesagt, bezweifelt. Es blieb ein offenes Geheimnis; allerdings hatte es auch keine weiteren Auswirkungen auf das Zusammenleben meiner Eltern, zumindest ist mir dazu nie etwas zu Ohren gekommen. Aber zurück zu diesem Abend; es war nach den Erzählungen meiner Eltern ein ausgesprochen wildes Liebesspiel gewesen. „Ich war sehr gut in Form“, behauptete mein Vater, was meine Mutter, sofern sie das mitbekam, regelmäßig mit einem „Angeber!“ quittierte, dabei aber vergnügt schmunzelte. Was der ganzen Angelegenheit noch einen besonderen Pfiff gab, waren die Lachanfälle, die sie unverändert auch zu dieser späten Stunde noch durchschüttelten und sie zu mancher Unterbrechung zwangen. Aber sie waren jung und nach vier Wochen ohne Sex konnte selbst diese ungewöhnliche heftige Heiterkeit sie nicht davon abhalten, sich ausdauernd und ungestüm zu lieben.

      Das sich meine Eltern an diesen Tag so gut erinnern konnten, war trotzdem nicht von vornherein zu erwarten. Erst die nachfolgenden Ereignisse verliehen diesem Tag und insbesondere diesem Abend eine ganz neue Bedeutung und rückten ihn damit in den Fokus der Wahrnehmungen, die es zu bewahren galt.

      Montag, 01.04.2047

      Der Radiowecker ließ es sich nicht nehmen, getreu seiner Verpflichtung, zu der voreingestellten Zeit seine Arbeit aufzunehmen. Zunächst kaum wahrnehmbar, dann die Lautstärke von Minute zu Minute steigernd, ertönte Musik, wie sie gerne in Wellness-Oasen gespielt wird. Der Schlaf von Kirstin und Erik wurde zusehends unruhiger, bis es keinen Zweifel mehr gab: das Werk war vollbracht und hatte die Beiden in die Realität des neuen Tages geführt. Während es Erik wie üblich nicht mehr lange auf seiner Schlafstatt hielt, drehte sich Kirstin mit einem Seufzer erst noch einmal auf die andere Seite. Diese softe Musik war Kirstins Wunsch gewesen und so hatten sie den Speicherchip mit entsprechenden aus dem Internet heruntergeladenen MP3-Dateien gefüttert. Nach anfänglicher Skepsis war nun auch Erik ein Fan dieser Weckmusik geworden, was ihn aber nicht davon abhielt, Kirstin, die schon wieder einzuschlafen drohte, in die Realität zu holen.

      „Kirstin, ab ins Bad.“

      Er legte Wert darauf, dass die morgendlichen Abläufe eingehalten wurden, was er mit den Worten: „Ich bin eben ein Gewohnheitstier“ zu erklären versuchte, wenn Kirstin mal wieder genervt von dem Gezurre an der Bettdecke, ein von ihm eingesetztes Mittel, um sie zum Aufstehen zu bewegen, ihm ein noch verschlafenes: „Du immer mit deiner Drängelei“ entgegen schleuderte. Schließlich bequemte sie sich aber doch und schälte sich aus ihrer warmen Decke.

      „Warum hast du es nur so eilig, wir hätten doch noch ein paar Minuten kuscheln können.“

      Dabei hob sie wie zufällig ihr kurzes raffiniertes Hemdchen an und ließ ihn ihr bestes Stück sehen.

      „Verdammt“, dachte er, „warum bin ich nicht auf die Idee gekommen.“

      Er machte einen Schritt auf sie zu, was sie veranlasste, ihm ihre Hände abwehrend entgegen zu strecken.

      „Halt, junger Mann, zu spät! Du hast gesagt, ich soll ins Bad.“

      Mit einem strahlenden Lächeln marschierte sie schnurstracks an ihm vorbei in das ihr zugewiesene Etablissement.

      Für einen Moment stand Erik bewegungslos am Bett und konnte es nicht fassen, dass er sich diese seltene Gelegenheit hatte entgehen lassen. Aber wie hätte er erkennen können, dass … Egal, er hatte es halt vermasselt. Er beendete seine Überlegungen, ging zum Fenster vor dem ein dichter Frühnebel wie eine graue Wand hing und öffnete es weit, um das Zimmer kräftig durchzulüften. Der Nebel war so dicht, dass er die Häuser gegenüber mehr ahnte, als das er sie sah. „Vielleicht wird es ein sonniger Tag“, dachte er und ging in die Küche.

      Während Kirstin im Bad war, bereitete er das Frühstück vor. Sie