Herios-Lar liebte seine Beovanaal. Lange vor seiner Geburt hatte ihr Kiel zum ersten Mal Salzwasser gekostet und viele Jahre hatte sie zu den modernsten und schnellsten Schiffen der königlichen Marine gehört. Sie war der erste Kreuzer gewesen, den man mit Segeln und einer zusätzlichen Dampfmaschine versehen hatte. Damals hatten die Brennsteinkessel und das mächtige Schaufelrad am Heck ihr die enorme Geschwindigkeit von 25 Kilometern in der Stunde verliehen und sie war unabhängig von der Kraft des Windes gewesen.
Als Herios sie zum ersten Mal erblickte, hatte er sich auf Anhieb in sie verliebt, obwohl sie da schon fast 110 Jahre alt gewesen war und längst nicht mehr in der Flotte Telans diente. Die Konstruktion des Rumpfes, ihre Maschinen und ihre Waffen waren längst veraltet und hielten einem Vergleich mit den Flottenneubauten nicht stand. Nur ihr Name erinnerte noch an die ruhmreiche Vergangenheit, denn nur die Kriegsschiffe des Königs durften das doppelte „a“ in der Namensendung führen. Sie war in Privatbesitz übergegangen und diente einem neuen Herren, dem Handelshaus Tar. Eigentlich hieß sie nun Tar-Beovanaal, aber niemand, nicht einmal der Handelsherr selbst, nannte sie so. Trotz ihres langen Lebens war sie robust und zuverlässig. Jetzt befuhr sie seit 150 Jahren die Meere der Welt, hatte viele Kapitäne kommen und gehen sehen und vielleicht würde auch Herios-Lar nicht der letzte Kommandant auf ihrer Brücke sein.
„Mit allem gebührenden Respekt, Kapitän“, rief Pernat gegen den Lärm der schweren See an, „Sie ist alt, robust, schwerfällig und...“
„Ja, ja, ich weiß. Sie ist das älteste noch schwimmende Schiff im Reich Telan.“ Herios-Lar beugte sich weit vor, als die Beovanaal sich den nächsten Wellenkamm empor arbeitete, lachte erneut auf, als sie auf dem Kamm abkippte, lehnte sich weit zurück und jauchzte vergnügt, als der runde Bug ins Wasser zurück klatschte. Die See ergoss sich in mächtigem Schwall über das einsame Buggeschütz vor der Brücke, letztes Zeugnis einer glorreichen Vergangenheit. „Und sie wird noch lange schwimmen, Pernat, noch sehr lange.“
Der hölzerne Rumpf ächzte in seinen Verbänden und vom Heck war das Rauschen des Schaufelrades zu vernehmen, das einen Moment leer drehte, bevor es wieder in sein Element griff.
Pernat hatte seinen Entschluss, zur See zu fahren, nie bereut. Er liebte sie, wie sein Kapitän sie liebte. Nur die innige Verbindung von Herios-Lar mit dem alten Schiff konnte er nicht nachvollziehen. Es war nicht nur das älteste Schiff Telans sondern auch, nach seiner festen Überzeugung, das unbedeutendste des Handelshauses Tar.
Rund sechzig Meter lang, eine maximale Breite von zwölf Metern am Heck, dazu der hölzerne Rumpf, der nur unterhalb der Wasserlinie mit Kupfer beschlagen war, um dem Bewuchs mit Algen und Muscheln entgegen zu wirken. Ein runder, bauchig wirkender Bug, wo die neuen Schiffe eine schnittige Form aufwiesen, die das Wasser zu zerteilen schien. Nein, Pernat träumte von einer Position auf einem der modernen Handelsschiffe, wenn er schon nicht auf einem der Flottenkreuzer dienen konnte.
Die Brücke der Beovanaal befand sich am Ende des vorderen Drittels auf dem Oberdeck, dahinter folgten die beiden Ladeluken mit ihren Kränen. Am Heck ragte der dünne, pfeifenartige Schornstein der Dampfmaschine auf, deren ewig hungriger Kessel mit Brennstein und Wasser gefüttert werden musste. Hinter dem Heck wirbelte ein steter Vorhang von Spritzwasser auf, begleitet vom Klatschen des Schaufelrades. Die modernen Schiffe verfügten über Propeller, die sich rasch und effektiv unter Wasser drehten.
Nein, die Beovanaal war nicht Pernats Traum aber ihr Kapitän Herios-Lar gehörte unbestritten zu den erfahrensten Seefahrern des Reiches und wenn Pernat sich einem Mann in Freundschaft verbunden fühlte, dann diesem schlanken und kauzigen Seeoffizier, der in diesem Augenblick seiner Freude freien Lauf ließ und nur wenig Würde zeigte. Das Schiff hätte Pernat jederzeit gegen ein anderes getauscht, nicht jedoch seinen Kommandanten und solange Herios-Lar auf der Brücke der Beovanaal stand, würde Pernat ihm und dem Schiff gleichermaßen dienen.
„Das Wetter beruhigt sich, Kapitän“, brüllte der Steuermann. Er stand an dem großen Steuerrad auf der Brücke und war ebenso nass, wie die beiden Offiziere. Das Schiff verfügte nicht einmal über ein Brückenhaus, nur über ein kleines Regendach, das von Pfosten gehalten wurde. Direkt hinter der Brücke erhob sich der Vordermast mit den Rahen des Großsegels. Der Hintermast stand vor dem Schornstein und seine Rah und eingeholten Segel waren vom Ruß der alten Maschine geschwärzt.
Die grauen Wolken am Himmel rissen auseinander und das erste, goldgelbe Licht der Sonne warf blitzende Reflexe auf die Wellen, die sich langsam beruhigten und an Kraft verloren. So schnell, wie der Sturm entstanden war, flaute er auch wieder ab und nach wenigen Minuten glitt die Beovanaal, scheinbar bedächtig, über ihrem Spiegelbild dahin.
„Wenigstens konnten wir die Ladeluken rechtzeitig schließen“, brummte Pernat. „Die verdammten Gelbfrüchte sind enorm empfindlich. Ein Spritzer Salzwasser und sie sind verdorben.“
„Das wäre verdammt übel für unsere kleinen Freunde“, seufzte Herios-Lar. Er sah seinen Ersten Offizier lächelnd an. „Das ist übrigens auch einer der Vorteile unseres alten Mädchens. Kein anderes Handelsschiff fährt die schwimmende Stadt der Zwerge an. Du genießt das Privileg, Pernat, als einer der wenigen im Reich, die Herren Zwerge zu kennen.“
„Hm.“ Pernat empfand das als zweifelhaftes Privileg. Zwar fand er die Zwerge durchaus beeindruckend, aber fühlte sich zwischen ihnen eher unwohl. Sie reichten ihm gerade bis zum Bauchnabel, obwohl Pernat kein ungewöhnlich großer Mann war. Sich in ihren Gebäuden zu bewegen, war eine Qual, da sie nicht für die Bedürfnisse eines Menschen eingerichtet waren. Immerhin, die kleinen Herren waren herzliche und liebenswürdige Geschöpfe, wenn man ihnen nicht auf die Füße trat oder sie zu übervorteilen trachtete. Er fand ihre Weise, auf dem Meer zu leben und unter seiner Oberfläche zu arbeiten, höchst bemerkenswert und bewunderte sie für den Mut, den sie dabei unzweifelhaft bewiesen. Er selbst hingegen war froh, immer wieder festen Boden betreten zu können. Die Vorstellung, sein Leben einem gläsernen Helm und einem Schlauch anzuvertrauen, erschreckte ihn zutiefst.
„Nun komm schon, Pernat, alter Freund, gib es zu, die Beovanaal hat auch ihre Vorzüge.“
„Wenigstens sind wir auf See“, grunzte der Erste Offizier und sah seinen Kommandanten dann lächelnd an. „Und das Schiff bewegt sich immerhin.“
Herios-Lar warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Dann schlug er seinem Freund auf die Schulter. „Eines Tages wirst du an Deck eines anderen Schiffes stehen, Pernat, aber ich garantiere, dann wird dir bewusst, dass du die alte Beovanaal vermissen wirst.“ Die See war nun glatt und ruhig und der Kapitän beschattete seine Augen. „Reich mir einmal das Teleskop, Pernat. Ich glaube, wir nähern uns der Zwergenstadt.“
Klickend glitten die Segmente des Teleskops auseinander und Herios-Lar suchte den Horizont ab. Dann verharrte die Linse an einem festen Punkt. „Na also“, brummte der Kapitän zufrieden. „Fast genau über dem Bug. Rudergänger, zwei Strich Rechtsweisend und dann gerade darauf zu.“
„Zwei Strich Rechtsweisend und gerade darauf zu“, bestätigte der stämmige Rudergänger und legte den neuen Kurs durch Drehung am Rad.
„Keine zwei Stunden mehr und wir sind bei unseren kleinen Freunden“, sagte Herios-Lar. „Sie werden sich freuen, uns und unsere Gelbfrüchte zu sehen. Die können sie immer brauchen.“
„Auch der Handelsherr Tar wird sich darüber freuen.“ Pernat stützte sich auf die Reling und registrierte, wie rasch sich das Holz nach dem Regensturm trocken und heiß anfühlte. „Es ist ein gutes Geschäft für den Herrn. Billige Früchte für kostbare Metalle und Kristalle.“
„Ja“, knurrte Herios-Lar unbehaglich. „Wenn ich nicht wüsste, wie notwendig die kleinen Herren die Gelbfrüchte brauchen, würde ich glatt behaupten, der Handelsherr zieht die Zwerge über den Tisch.“
„Angebot