Als die Stadt hier ihre Anker auswarf, da hatte der alte Birunt Hammerschlag sich höchstpersönlich ins Wasser begeben. Er hatte seinen Körper in einen Tauchanzug gequält, um mit seinen untrüglichen Instinkten festzustellen, ob sich hier der Abbau lohnte. Er war der älteste und erfahrenste Schürfer des Clans und trug den Ehrentitel des Schlagführers. Zusammen mit dem Ältesten und dem Axtführer, dem bedeutendsten Kämpfer, bildete Hammerschlag das Triumvirat, welches den Clan führte.
Birunt Hammerschlag hatte sich schließlich wieder aus seinem Anzug helfen lassen, einen Blick ins Wasser geworfen und ein leises „Kein goldener Grund, aber eine akzeptable Stelle“, gemurmelt. Wenn seine Instinkte nicht trogen, was sie sehr, sehr selten taten, versprach das einen guten Ertrag für den Clan. Ertrag, der sich in kostbare Handelsgüter umsetzen ließ.
Die Zwerge der Meere handelten mit den Zwergenstädten auf dem Land und mit den Reichen der Menschen. Das Menschenreich Telan war für den Clan der Eldont´runod der wertvollste Handelspartner, da es reichlich Gelbfrüchte besaß. Während die Zwerge der Lande über keine nennenswerten Schiffe verfügten und aufgesucht werden mussten, kamen die großen Handelsschiffe des Reiches Telan immer wieder zur schwimmenden Stadt, um Gold, Erze und Kristalle gegen Gelbfrucht, Gummi und andere Waren zu tauschen. Ein für beide Seiten gewinnbringendes Geschäft und auch hier achtete Birunt Hammerschlag mit Argusaugen darauf, dass der Clan nicht übervorteilt wurde.
Der alte Schlagführer hatte behauptet, an dieser Stelle gäbe es „akzeptable“ Eisenerzvorkommen und die Schürftaucher hatten nun schon etliche Tage geschlagen und gegraben, aber nur wenige Erzbrocken hervor geholt. Die Ausbeute wurde in Körbe gelegt, die man rasch zu den Booten an der Oberfläche zog und zur Schmelzerei brachte.
Varnum federte leicht in den Knien, als seine Füße den Boden berührten. Etwas Sand wirbelte auf, nahm kurz seine Sicht, um sich dann rasch wieder zu legen. Er schüttelte sich heftig, um festzustellen, ob sich an Helm, Schlauch oder Anzug etwas lockerte. Jetzt konnte er sich darauf konzentrieren, nachher, wenn er arbeitete, achtete er auf seine Hände und bemerkte einen Schaden vielleicht erst verspätet. Alles war in Ordnung. Ein wenig Sickerwasser im Helm, nicht einmal genug, um sich mit dem Schwamm vor seinem Kinn abzumühen.
Er sah sich um. Vor seinem Gesicht war der gläserne Helm abgeflacht und erlaubte eine passable Sicht. Zu den Seiten hingegen verzerrte die Rundung die Perspektive. Man musste sich daran gewöhnen und lernen, Entfernungen und Bewegungen richtig einzuschätzen.
Die anderen Schürfer waren längst auf dem Weg zur Schürfstelle und Varnum setzte nun einen der metallbeschwerten Füße vor den anderen. Langsam und stetig näherte er sich dem Arbeitsplatz.
Er blickte nach oben. Die Wachen schwammen noch immer dicht unter der Oberfläche und es würden immer einige von ihnen im Wasser sein, um die Schürfer vor Gefahr zu warnen oder sie, so gut es ging, zu verteidigen. Die Schürftaucher waren unbewaffnet, von dem obligatorischen Messer am rechten Bein abgesehen, auch wenn sich Beil und Meißel notfalls verwenden ließen. Aber kein vernünftiger Zwerg hatte das Verlangen, einem Dornfisch auf solch kurze Distanz zu begegnen. Speere wären hingegen zu hinderlich gewesen. Die Räuber der Meere waren so schnell, dass man sich kaum nach der Waffe bücken konnte, bevor der Jäger heran war.
Staub schien über dem Schürfgrund aufzuwirbeln. Die ersten Männer waren bereits an der Arbeit. Varnum beeilte sich, zu ihnen aufzuschließen. Erneut musterte er die Umgebung. Ein kleiner Schwarm Silberlinge teilte sich hastig, um sich hinter ihm wieder neu zu gruppieren. Keine Gefahr in Sicht. Kein Dornfisch und kein Beilkopf und auch keiner der seltenen Riesenkrebse, gegen die auch ein Speer nicht half, es sei denn, er traf durch das Maul ins Gehirn der Bestie.
In den letzten Tagen hatten die Schürftaucher eine beachtliche Grube ausgehoben und sie hofften, an diesem Tag endlich auf eine gewinnbringende Ader zu stoßen. Das Pochen ihrer Meißel drang durch das Wasser und sie ignorierten die Gefahr, dass dieses Geräusch die Dornfische anlocken könnte. Stetig fraßen sich die Werkzeuge in das Gestein, drangen immer tiefer.
Gelegentlich klang das Pochen heller und der betreffende Schürfer machte sich hoffnungsvoll daran, den getroffenen Brocken zu untersuchen. Immerhin, den einen oder anderen Erzklumpen fanden sie, aber noch immer nicht die lohnende Ader, die Birunt Hammerschlag hier vermutete.
Sie verständigten sich durch Handzeichen, die seit Generationen überliefert waren, und bemühten sich um den richtigen Rhythmus zwischen körperlicher Arbeit und dem begrenzten Angebot an Atemluft. Hier, zwanzig Meter unter der Oberfläche, konnte man nicht einfach kurz nach Luft schnappen, wenn sie knapp wurde. Jetzt, wo sie in dieser Tiefe waren, arbeiteten oben mehrere Männer an jeder Pumpe, denn es erforderte Kraft, die Luft bis nach unten zu pressen. Die kleinen Ventildeckel an den Halsverschlüssen bewegten sich im Takt und entließen überschüssigen Druck nach außen. Das Perlen aufsteigender Luftbläschen begleitete die Arbeiten ebenso, wie das Pochen der Werkzeuge.
Die Schürfgrube war inmitten eines Korallenfeldes angelegt und Varnum war es, der die Gefahr für einen der Schürftaucher erkannte.
Der Luftschlauch des Mannes war bei der Arbeit zwischen zwei Korallenstöcke gerutscht und rieb nun an einem davon entlang. Es war eine der abgestorbenen Korallen, die hart und scharfkantig waren und einen Schlauch rasch aufschlitzen konnten, wenn man nicht darauf achtete. Der Schürfer sah diese Gefahr nicht und Varnum konnte ihn ja nicht durch einen Zuruf warnen. Auch eine Geste hätte der andere Taucher nicht wahrgenommen, da er ihm den Rücken zuwandte.
In einer fließenden Bewegung warf er seinen Meißel. Der schwere Stahlbolzen glitt durch das Wasser, zielsicher zu dem gefährdeten Mann hinüber und schlug unmittelbar neben ihm in den Grund. Varnum sah, wie der Mann für einen Augenblick erstarrte und dann herumfuhr. Sofort gab er das Zeichen für Gefahr, deutete mit einer Hand auf seinen Atemschlauch und mit der anderen auf die Gefahrenstelle. Die hoch gereckte Faust des Schürfers verriet, dass er verstanden hatte. Mit langsamen Bewegungen ging er zu den Korallenstöcken und befreite seinen Luftschlauch. Als er sich Varnum zuwandte, grinste er unter seinem Kugelhelm und nickte.
Nach zwei Stunden Schürfarbeit waren sie erschöpft und dies traf sicher ebenso auf die Pumper an der Oberfläche zu. Von dort erklang der Rückruf, als man an ein in das Wasser ragendes Eisen hämmerte. Drei langsame Schläge für den Rückruf, schnelle Schläge für den Fall drohender Gefahr. Der Schürfmeister der Gruppe gab ein Handzeichen und sie schoben die Werkzeuge in die Gürtel. Kein Schürfer ließ sein Werkzeug im Wasser zurück. Am Abend würden sie es sorgfältig säubern und ölen, damit ihm kein Rost zusetzte und sie würden die Schneiden der Meißel schleifen, damit sie ihre Schärfe behielten. Die Schürftaucher gingen schwerfällig zu den Netzen hinüber, schnallten die Fußgewichte ab und während die Netze mit den Gewichten nach oben gezogen wurden, machten sich auch die Schürftaucher an den Aufstieg.
Varnums Schürfstelle war nicht die einzige. Um die Stadt herum erhoben sich nun auch andere Gruppen an die Oberfläche.
Fische stoben zur Seite, dann durchbrach Varnums Helm die Oberfläche. Ohne die Fußgewichte trieb er, einem Korken ähnlich, ohne große Kraftanstrengung auf die Stadt zu, gezogen von dem Luftschlauch, der langsam eingeholt wurde. Der junge Zwergenmann hielt den Schlauch fest, denn der war zwar stabil genug, aber er wollte das Anschlussstück entlasten.
Erleichtert erreichte er die Plattform, spürte die Hände, die unter seine Arme griffen und ihn endgültig hinaufzogen. Die Verschlüsse schnappten, der Helm wurde gedreht und Varnum sog gierig die frische Meeresluft in seine Lungen. Er liebte ihren Geruch und den leichten Wind, der über das Wasser strich und er konnte sich nicht vorstellen, an Land zu leben, wo es stets nach irgendwelchen Pflanzen stank.
Sein Freund und Pumper Oldrum war da und beugte sich besorgt zu ihm. „Und, wie war es? Habt ihr etwas gefunden?“