Die drei Männer mit ausländischem Aussehen, die sich jetzt vor dem Obststand aufbauen und die ausgelegte Ware mit bloßen Fingern betasten, sehen das möglicherweise anders. Oder wollen sie den Türken nur mal so richtig provozieren? Das Aussehen, Vollbart, Sonnenbrillen Blick, täuscht übrigens. Die drei sind deutschstämmig, sogenannte Biodeutsche.
Kozak, ein äußerlich brutaler Typ, ledergewandet und mit Tattoos bestückt, scheint der Anführer des Trios zu sein. Fehrmann, der zweite im Bunde, wirkt eitel, ist geradezu geckenhaft gekleidet, trotzdem nicht schwul, was angebliche Kenner der Homo-Szene gerne vorschnell behaupten. Der Nummer drei heißt Blumenauer, ist das genaue Gegenteil seiner Kollegen. Rundlich, schlampig, ewig hungrig und insofern nicht immer Herr der jeweiligen Geistes-Lage. Gemeinsam eint die Mini-Gang ein T-Shirt mit einem Zähne fletschenden Pitbull, darunter ein in krassem Silber gehaltener Schriftzug: ´Underdogs`.
Immer wieder greifen die Männer ungeniert bei Äpfeln und Pfirsichen zu, beißen hinein und werfen das angebissene Stück wieder zurück. Yüksel hat das böse Treiben eine Zeitlang aus dem Laden beobachtet, jetzt kommt er heraus, man sieht ihm an, er hat Angst. Ängstlich ist auch Frau Schlatholt, eine treue Stammkundin, die mit äußerst kritischen Blicken von der anderen Straßenseite herüberstarrt. Was auch immer passieren wird, sie kann nicht eingreifen, denn erstens geht die alte Frau am Stock und zweitens, wer, wenn nicht sie, könnte den Menschen in und um Tölz berichten, was in und um den Feinkostladen vom Türken passiert, dafür, und allein dafür fühlt sie sich zuständig, genau daran hat sie unermüdlich gearbeitet, sich über Jahre hin einen Namen gemacht: als zweibeinige Tageszeitung. Für Nachrichten, auch wenn sie noch so aktuell sind und mündlich überbracht werden, interessiert sich Yüksel im Augenblick nicht, auch wenn die Überbringerin einen Teil ihrer monatlichen Rente bei ihm im Geschäft lässt. Sein Zorn gilt diesen Typen mit ihrem unverantwortlichen, geradezu saumäßigen Benehmen.
„Was soll das, Sie können sich gerne bedienen, Herrschaften, aber bitte nicht wieder zurücklegen!“
Wortlos nimmt Kozak Yüksel am Arm und zieht den widerstrebenden Mann in den Laden hinein. Fehrmann und Blumenauer bleiben vor der Tür stehen und sehen sich aufmerksam um. In der Sprache von gestern nennt man das schlicht und einfach ´Schmiere stehen`.
Im Laden wartet bereits ein Älterer Herr. Ihm geht es wie der Frau Schlatholt, auch er empfindet die Situation eher als ungewöhnlich, versteckt sich vorsichtshalber hinter einem Regal mit feinen, orientalisch fantasievollen Gewürzen. Von dort lauscht er dem in hohen bayerischen Tönen vor sich hin jammernden Yüksel.
„Sie san vui z´früh, Herr Kozak. Mehmet noch bei Bank Euro holen...“
Der Mann mit den Tattoos antwortet nicht. Lässig, so wie Clint Eastwood im Film ´Für eine Handvoll Dollar`, geht er um die Ladentheke herum und öffnet die Kasse. Der Ältere Herr sieht aus seinem Versteck ängstlich und zugleich neugierig zu.
„Nichts drin“, jammert Yüksel, „gar nixn, keine Wechselgeld...“
Clint Eastwood alias Kozak bückt sich, holt unter dem Ladentisch eine alte Plastiktüte hervor. Inhalt: eine Menge kleinerer Geldscheine, die er trotz des Gejammers von Yüksel ungerührt an sich nimmt. Clint Kozak spricht leise, überaus freundlich und zündet sich dabei einen Zigarillo an. Obwohl das Rauchen in Deutschland so ziemlich überall verboten ist, besonders und ohne Ausnahmeregelung in einem Lebensmittelladen wie dem von Yüksel.
„Morgen, spätestens morgen zahlst du!“, quetscht Clint zwischen Zähnen und Zigarillo heraus. „Alles klar? Sonst muss ich deinem Sohn eine kleine Story, eine nette Geschichte von seiner lieben Mutter erzählen“.
Und ohne sich noch einmal umzudrehen, aber mit ansprechendem Hüftknick, verlässt er den Laden. Yüksel schaut ihm nach, innerlich zitternd vor Wut. Durch die Schaufensterscheibe muss er zusehen, wie Fehrmann und Blumenauer sich dem Hüfte schwingenden Kozak anschließen um kurz darauf mit ihren schweren Motorrädern weg zu ´reiten`, wie Motorrad fahren in der Harley-Davidson Fachsprache heißt.
Der Ältere Herr im Lebensmittelgeschäft dreht sich erschrocken um. Denn jetzt wird ein den Laden von der dahinter liegenden Wohnung trennender Vorhang zur Seite geschoben. Mehmet betritt den Raum. Yüksels Sohn ist ein junger sympathischer Mann, für jeden Spaß zu haben, manchmal geradezu leichtsinnig in seinem jugendlichen Übermut und deshalb eher das Sorgenkind seines seriösen, stets auf äußerste Korrektheit bedachten Vaters. Irgendwas von dem unerwünschten Besuch hat Memet mitbekommen und wie es seine Art ist, kommt er umgehend zur Sache.
„Was ist mit Mama?“
„Nix, gar nichts! Imma wuin die a Spende für ihren Club. Geld, regiert die Welt!“ Und dann schimpft er in türkischer Sprache (was hier der Einfachheit halber gleich übersetzt ist) „Allah möge ihn strafen, den ungläubigen Hund!“
Müde schlurft er hinaus um die Auslagen neu zu ordnen. Der Ältere Herr folgt ihm, offenbar unschlüssig was er hier eigentlich will. Yüksel ignoriert ihn, lässt Ärger und Frust an seinem Sohn aus.
„An die Arbeit, Mehmet. Hat die Sparkasse net scho wieder an bösen Brief geschriebn...?“
Wie viele junge Menschen mit ausländischen Wurzeln die im schönen Bayernland und anderswo geboren werden und aufwachsen, hat auch Mehmet ein ganz persönliches Problem: er findet keine zu ihm passende Frau.
Oder wenigstens eine nette Freundin. In der türkischen Community geht es selbst nach jahrzehntelangen Integrationsversuchen immer noch streng konservativ zu.
Man heiratet traditionell untereinander, die Cousine, die Nichte, manchmal auch, wenn die Not groß ist und der innere Druck steigt, die eigene Tante.
Mehmet leidet unter dieser konservativen Einstellung seiner Landsleute.
Er würde gerne einiges verändern, wenn er nur wüsste wie es anfangen.
Selbst bei der Auslieferung der türkischen Spezialitäten, die sein Vater in aller Herrgottsfrühe mit Allahs Hilfe herrichtet und verkaufsfertig zusammenstellt, denkt er immer wieder darüber nach. Er gibt sich Mühe, will tolerant sein nach allen Seiten, ist dem entsprechend überall beliebt, redet ohne Ende, flirtet ohne Ende, lässig, cool, oberflächlich, manchmal auch etwas großspurig, ein klassischer deutscher Halbstarker – wenn auch mit den sprichwörtlich türkischen Wurzeln.
„Achtung, der Loser kommt!“ schreit er zum offenen Fenster seines Lieferwagens hinaus, um es gleich wieder hochzukurbeln, denn sonst zieht der Fahrtwind herein und das könnte der Ware, den auszuliefernden türkisch / arabischen Spezialitäten und Leckereien, am Ende schaden.
Heute gilt es einen neu eröffneten Supermarkt zu beliefern. Der Laden gehört zu keiner der großen Lebensmittelketten, will trotzdem im stark umkämpften Markt bestehen und bietet deshalb spezielle Ware an: Homemade, wie das in gängigem neudeutsch genannt wird. Altdeutsch und wortreich diskutiert Mehmet mit dem Geschäftsführer, einem Landsmann und Erdogan Verehrer aus dem fernen Anatolien. Wer das Geld für die Neueröffnung gegeben hat, kann er nicht sagen, Betriebsgeheimnis. Mehmet will sich die Ausreden und Sprüche des Kollegen nicht länger anhören. Eine neue Geldwaschanlage, denkt er, wie in den EU Ländern immer häufiger zu finden, zumeist allerdings in Großstadtlagen und dort bevorzugt in Friseur Geschäften oder Spielhallen etabliert. Er muss weiter, sein Business, ruft Mehmet und tauscht geballte ´Five` mit dem Geschäftsführer. Gleich hat er einen treuen Privatkundenhaushalt zu versorgen. Die ´Grüne Witwe` aus Tölz, ein politisch seltenes Exemplar im katholischen Bayern, bestellt immer wieder neu, und viel, aber ansonsten läuft gar nichts. Dabei hat er die Frau immer wieder getröstet, wenn die in Bayern dominierende CSU bei Kommunalwahlen wieder die absolute Mehrheit geschafft hat, ohne Hintergedanken natürlich, unpolitisch, rein platonisch, einfach nur väterlich, sozusagen. An der Tankstelle, der nächsten Lieferstation, gibt es Ärger. Mehmet nennt es ´gamen`, er kennt das, seit er den Außendienst in Yüksels Firma übernommen hat spielt er das Spiel gerne mit.
„Pack das Zeug wieder ein,