„Chef, tut mir echt leid, aber ich hab’s Euch gleich gesagt: Lasst den Kelch an mir vorübergehen. Das ist kein Job für mich. Michael muss da ran oder Raphael. Ich bin doch kein Elementarengel, nur Second Hand, und noch dazu weiblich...“
Auf der Bank, nicht weit entfernt, ruht sich der Ältere Herr aus, der schon, unentschlossen und irgendwie hilflos in Yüksels Feinkost Geschäft stand.
Er sieht dem sportlichen Treiben von Fidelitas zu.
„Das Problem ist: meine Zielperson ist ein Muslim!“ keucht Fidelitas und dreht weitere Runden. „Ganz schön daneben, Eure Auswahl nach dem Zufallsprinzip. Ist echt krass, ich meine, es wird zefix schwierig werden von so einem Typen was über die Emanzipation zu erfahren! Aber wem sag’ ich das, Chef, ist Euch ja sowieso schon bekannt, oder?“
Von den Umrundungen des Marterls ist ihr ganz schwindlig geworden. Erschöpft lässt sie sich ins Gras fallen.
„Wenn ja, dann wisst Ihr sicher auch, dass man einen Muslim nicht einfach verbessern… ich meine umprogrammieren kann, der glaubt doch gar nicht an Euch …ääääh…an …an Gott! Richtig? Wenn ja, dann gebt mir ein Zeichen! Kein Blitz und Donner, was Schriftliches wär‘ mir lieber, okay? Ich meine jep!“
Der Ältere Herr hat sich von der Bank erhoben und sieht auf sie herab. Mit sehr spitzem Finger zeigt er auf den Jesus am Kreuz.
„Der Herrgott sieht alles!“
„Hoffentlich“, antwortet Fidelitas und macht sich eine Gesprächsnotiz.
*
Psalm 2 Kleine Geschäfte erhalten die Freundschaft
Exotischer Duft durchzieht die Wohnung, er kommt aus der kleinen Küche, durchdringt den Vorhang zum Verkaufsraum um sich dort, im Geschäft, mit der urigen, guten bayerischen Voralpenluft zu vermischen. Lange schon vor der brennenden Flüchtlingsfrage eine gelungene, ja perfekte Integration zweier höchst unterschiedlicher Gewürz-und Geruchskulturen.
Yüksel und sein Sohn bereiten Platten mit türkischen Spezialitäten vor.
Beide sind erregt, weshalb der Vater in seiner Muttersprache redet, was an dieser Stelle, wie auch schon vorher, gleich ins Deutsche übertragen wird.
„So viel Geld?!“, schreit Yüksel auf Türkisch. „ Das ist verdächtig für die Sparkasse, Sohn! Ausländer sind immer verdächtig bei Banken, Behörden, Krankenkassen, Jobcentern, der Polizei…“
„Rede deutsch, Papa. Sonst bleibst’ immer ein verdächtiger Ausländer. Beim Erdogan ein verdächtiger Deutscher, und hier ein verdächtiger Türke.“
Mit zunehmender Beruhigung fällt dem Vater nun auch die deutsche Sprache wieder ein. In der Sache aber bleibt Yüksel hart.
„Wir müssen das Geld zurückgeben, sofort. Der Staat kontrolliert alles … man darf nicht auffallen!“
Er garniert flink die klein geschnittenen Weißbrotscheiben mit schwarzen und grünen Oliven. Mehmet ballt die Faust in der Tasche, traut sich aber nicht dem Vater zu widersprechen, ein Rest türkischer Tradition ist ihm erhalten geblieben. Deshalb bleibt er ruhig und gibt sich versöhnlich.
„Auffallen, wieso? Damit können wir Schulden bezahlen, Papa, bei deinem Beschützer aus der Tenne.“
„Wo hast’ unseren neuen Freund verloren?“ Um des Friedens willen versucht Yüksel einen Themenwechsel. Es gelingt nicht.
„Keine Ahnung. - Vor wem sollen diese verfickten ´Underdogs` uns beschützen, he?! Vor wem? Warum hast du Angst?!“
„Sind wir multikulti, bitten wir deinen neuen Freund zu ein´ Festmahl. Traditionell türkisch. Wie heißt er?“
„Fidelitas“.
„Fidelitas? Da siehst du, ein Ausländer. Ein Flüchtling, von woher? Ist egal, geben wir ihm ein Job. Wer weiß, wofür es gut ist. Allahs Wege sind unergründlich.“
„Ich brauch´ keine Hilfe, Papa. Kostet nur Geld! Für Migranten muss eine Genehmigung her, ein Vertrag, dann zahlen wir Sozialabgaben. Und außerdem geht´s sowieso nicht. Er hat keine Papiere, kein Führerschein, kein gar nix!“
„Hab ich kein Problem, Sohn. Wenn gebraucht wird, Kozak besorgt immer Papiere...“
„Wie viel gibst du denen, Papa?! Du hast Angst, oder?“
„Hab ich Angst?“
„Hast keine Angst, ach ja! Seit ich denken kann, wollen die Geld. Warum?
Wofür?“
„Besorgen wir erst mal ein´ Personalausweis für Fidelitas. Ist ein guter Junge. Fleißig. Hat ein Auge auf dich bei der Arbeit. Kontrolle ist gut ...“
Aber so ganz will sich Mehmet nicht abwimmeln lassen. Er holt tief Luft, will widersprechen. Das ist aus des Vaters Sicht respektlos, weshalb Yüksel erneut der Kamm schwillt wie es so schön auf Deutsch heißt. Er sagt ruhig, aber betont in seiner Heimatsprache, denn da klingt auch ein leise formulierter Satz schnell bedrohlich:
„Öffne deine Lippen nicht, Sohn! Geh zur Sparkasse, das Geld zurückgeben“.
*
Jeder Bayern Fan lernt noch vor Beginn seiner Liebe zum Alpenland, dass es neben dem Münchner Fußball Club noch andere Sehenswürdigkeiten zu bestaunen gibt. Dass zum Beispiel eine Tenne bei den modernen, den heutigen Bajuwaren nicht unbedingt etwas mit der guten alten Tenne zu tun haben muss, in der getrocknetes Gras von alten Holzbalken herunter hängt, in der es heimelig nach Heu duftet über dem Kuhstall, in dem wiederum glückliche Kühe darauf warten von ihrem Bauern mit natürlicher Nahrung versorgt zu werden, die nicht mit Kraftfutter von der in der Landwirtschaft allgegenwärtigen chemischen Industrie verseucht ist.
Fidelitas muss den Unterschied zwischen einer Tenne und d i e s e r Tenne erst noch herausfinden. Dazu ist sie hier, macht sich Notizen und beobachtet mit erstaunten Kinderaugen das gesellige Treiben zu lauter Disco Musik und hektischem, computergesteuertem Lichtgewitter.
Mehmet amüsiert sich über die Naivität des jungen Mannes. Wo auch immer der Fidelitas herkommt, er muss von sehr weit herkommen, scheint es so etwas nicht zu geben. So was wie Lilo zum Beispiel, ein gelangweiltes halbnacktes, nicht mehr ganz junges Mädchen, das sich mit schlangenartigen Bewegungen um eine eiserne Stange windet, wobei sie sich ordentlich zu verrenken scheint, anders ist ihr gequälter Gesichtsausdruck nicht zu deuten, der gelegentlich durch ein Zähnefletschendes Grinsen unterbrochen wird.
Vom seinem Stammplatz am Tresen löst sich Kozak und verschwindet im Gang zum Hinterzimmer. Lilo an der Stange, nutzt die Gelegenheit um den neuen Gast ins Visier zu nehmen. Der junge Mann gefällt ihr offensichtlich, Hüfte schwingend schlängelt sie sich an Fidelitas heran. Mehmet begleitet den professionell eindeutigen Annäherungsversuch mit amüsiertem Grinsen.
„Hast du gute Chancen, bei Lilo. Aber no money, kein Geld für Liebe, okay! Bin gleich wieder da.“
Er verdrückt sich rasch durch den Hintereingang. Lilo schmachtet Fidelitas an.
„Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen, Süßer?“ *
Selbst durch die geschlossene massive Tür aus bestem Holz der deutschen Eiche kann jeder der zur Toilette geht hören, dass im Hinterzimmer der ´Tenne` eine hitzige Debatte im Gange ist, wobei hitzig vielleicht nicht der richtige Ausdruck ist für diesen lautstark geführten Streit. Hier geht es um mehr, auf jeden Fall für den Filialleiter Reuss. Für ihn geht es um seine Zukunft, um seine Existenz, möglicherweise sogar um sein Leben.
Da hat ein kleiner Sparkassen Angestellter einen anderen Kampf zur führen als ein weltweit agierender Banker, der sich gelegentlich für Korruption und fatale Misswirtschaft zu verantworten hat, meist aber nicht angeklagt wird, weil er sich mit einer geringen Abfindung in Millionenhöhe außergerichtlich vergleicht mit der