Doppelspitze. Gerhard Weis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Weis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847691327
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hatten wir uns geschworen, das sechste und zehnte Gebot stets zu achten. Wo der gewöhnliche Kegelclubbruder schmählich versagte, sich als Spielball von Unzucht und sittlichem Verfall entpuppte, konterten wir auch die raffiniertesten Offerten der durchtriebensten Luder gnadenlos aus. Mit dem Schutzschild der Tugendhaftigkeit gerüstet, gingen wir mit gutem Beispiel voran. Wir waren standhaft. Wie Leuchttürme in schwerer See. An uns konnte sich der Nachwuchs in rechter Weise orientieren. Wir bewiesen jedes Jahr aufs Neue, dass es auch ohne geht. Ohne die Begehr nach seines Nächsten Weib, ohne den Ehebruch. Ein derart verwerfliches Tun war uns nicht vorzuwerfen. Das Frevelschutzprogramm »Herrnhut-Antisünd« funktionierte einwandfrei. Ein Team, dessen Spielführer täglich mit den Losungen der Herrnhuter Gemeine konfrontiert war, hatte seinen Vorwärtsdrang im Griff. »Bis hierher und nicht weiter, Baby! Wir hatten Spaß miteinander, aber an meinen Lenden hört der auf!« In diesem Ton hatte schon so manches Sündenkind eines Saardéro Klartext vernehmen müssen. Da bedurfte es keiner Moralpredigt mehr! Oder etwa doch? Hatte einer von uns Fleischliches im Sinn? Hoss vielleicht, aber hoffentlich kein Schweinefleisch, oder? Wer überhaupt war der Schneekönig? Und wieso hieß die Fee Donnerklitchen und nicht Donnerlittchen oder wenigstens Donnerwittchen? Fragen über Fragen für die wir keine Erklärung fanden.

      Mit zwei, drei Bierchen zu einem halben Goggelar mit Fritten kamen wir zügig auf Betriebstemperatur. Die Waden wohltemperiert und den ärgsten Hunger gestillt, gab es zur Feier des Tages jetzt auch Hochprozentiges. Die Stimmung in der Bude stieg von Minute zu Minute. Am Nachbartisch gab sich eine Gruppe aus dem Irakkrieg zurückgekehrter Schotten voll die Kanne. Die jugendlich wirkenden Soldaten sollten im Allgäu ihr seelisches Gleichgewicht wiederfinden. Saddam war besiegt und die riesige Statue auf Bagdads Firdos-Platz unter dem Befehl von Lieutenant Colonel Bryan McCoy vom 3rd Battalion 4th Marines vom Sockel gerissen. Unter Freudengeschrei fiel, was ein Jahr zuvor zum fünfundsechzigsten Geburtstag des Diktators aufgestellt wurde. Zwölf Jahre nach Desert Storm ersäuften junge Warriors ihre schrecklichen Erlebnisse im beschaulichen Wertach.

      »Slàinte mhath!«

      Zu jeder neuen Runde wurde dieser wohlklingende Trinkspruch ausgebracht.

      »Slàinte mhath!«

      Es war schier unglaublich, was diese sympathischen Kerle in sich hineinkippten. Die flotte Bedienung servierte ihnen eine Runde nach der andern. Und mit der gleichen Schlagzahl wie beim Bier ziemlich alle Spirituosen im Angebot. Da Saardéros und Bravehearts auf Anhieb miteinander konnten, tranken sie die ein oder andere Lage zusammen. Meist auf Ronny. Die Vokabeln »Prost« und »Ronny« hatten die Kampftrinker von der Insel schnell drauf. Vermutlich waren sie an jenem Abend dem Tode näher, als zuvor in ihren Kriegseinsätzen. Den Verzehr einer ihrer alkoholgeschwängerten Lebern hätte auch Dr. Lecter kaum überlebt.

      »Es gibt Reis, Baby!« In dem allgemeinen Tohuwabohu flüsterte Bodo dem DJ freundlich was ins Ohr. Der hatte ein Herz für Helge-Fans und servierte wunschgemäß:

      … Hey Baby komm zu mir und schüttel dein Haar für mich …

      Während das tapfere Schneiderlein seine Verfügungen unverwechselbar anmutig vortrug, eiferten wir den ausgelassenen Weibsbildern im Gastraum nach. Das ließ mich ganz doll im Kopf werden. Die Manier, in welcher auch wir uns einen schüttelten, muss mächtig Eindruck gemacht haben. Nach der anschließenden Polonäse Blankenese (Hoss schritt begeistert voran – wie peinlich!) leisteten uns ein paar nassforsche Exemplare unaufgefordert Gesellschaft.

      »Ihr seids mol a paar fesche Buan, wo kommtsn ihr her?«

      »Oskar die Fontäne, ein Urururururenkel Napoleons, schickt uns. Im Hinblick auf die geplanten Änderungen im Länderfinanzausgleich sollen wir mit eurem Edmund stoibern.«

      »A, so a gschwollanes Gschwätz.«

      »Stimmt genau, ihr Schwabenbräute, gleich wird Gschwollanes verglichen!«

      »Wenn des stimmt, dann friss i an Beasa.«

      »Friss, Baby!«

      »Wia dr Herr so's Gscherr!«

      »De Esel kennt ma an de Ohre, de Ronny an seim Dings.«

      »An a scheane Kuha ghert ou a schene Glocke.«

      »Stahlglocke, was?«

      Es war wie so oft. Der Alkohol hatte seine enthemmende Wirkung gehörig entfaltet, der Weingeist in den Köpfen Einzug gehalten. Während die Ereignisse des Nachmittags in den Hintergrund rückten, wurden die Inhalte unseres verbalen Gedankenaustauschs zunehmend spitzbübischer. Längst besiegt geglaubte Instinkte meinten die Lage nutzen und einen Vorstoß wagen zu können. Bis ich, zornig wie das Rotköpfchen, vom Klo zurückkam.

      »Ob die werte Frauenschaft denn annimmt, die Oberstuben der feschen Buben seien spärlich möbliert?«, wollte ich, mich der Warnung des Schneekönigs erinnernd, auf der Stelle wissen. Mein Tonfall verriet Ärger. Ich hatte beim Pipi machen entdeckt, dass die von Melanie spendierten »Eselstreiber« kein gewöhnlicher Obstbrand, sondern regelrechtes Teufelszeug waren. Eine laminierte Getränkekarte klebte strategisch günstig über dem Pissbecken. Mit Klose in der Hand erfuhr ich, dass dieser wenig edle Tropfen sture Esel gefügig und müde munter machen sollte. Kraulen würde die Wirkung verstärken. Was Hoss, der mit der dicken Emma schon reichlich poussierte, hinterher auch bestätigte. Aber eine kombinierte Anlasser-Zündkerzen-Vergaserfunktion (wie früher mit Okasa-Brutal) wusste ich bei diesem Elixier zu verhindern.

      »Keine Frau macht uns gefügig, MELA - NIE!!!«, explodierte ich und bestellte für die Schlampen eine Runde »Zickentöter«. Dann zeigte ich denen meine Linke, wie Effenberg in Dallas den deutschen Fans seine Rechte. Melanie konterte:

       Man nennt uns Donnerflittchen,

       wir saßen lang im Kittchen.

       Wir kommen wie der Blitz

       und sind schon ganz schön spitz.

       Uns ist gelegen euch zu sagen,

       was euch gelüstet, sollt ihr wagen!

       Damit nach unsrer Dingsvergleiche

       die Schwellung nie mehr von euch weiche!

      »Ne touchez pas, Madame!«, keifte ich, als Melanies gleichgesinnte Cousine Vicky ihre schmutzigen Finger so verwegen auf Bodos Oberschenkel platzierte, dass jetzt eindeutig Gefahr im Verzuge war. Diese Schafsnasen glaubten wohl, vier Muskeltiere von der Saar ließen sich von drei mannstollen Schwabenschwalben um den Finger wickeln.

      »SCHLUCKEN, PUPPEN!«

      Meinem zackig herausgeschmetterten Paarreim wurde auf der Stelle Folge geleistet. Ruckzuck übte der Zickentöter seine zungenlähmende Wirkung aus. Schachmatt dem Ehebruch! Der Schneekönig reagierte postwendend. Noch immer voll auf Effe, mutierte ich vor den Augen der sprachlosen Bräute zur Doppelspitze.

      Poldi war nach links gerückt!

      Ellmau, Teil zwei

      Am folgenden Morgen schoss Heiner bei der Wahl seiner Wanderklamotten den Vogel ab. Als wären eine orange Kniehose, ein violettes T-Shirt und eine blutrote Kappe noch nicht schrill genug gewesen, krönte er seinen Auftritt mit karierten Kniestrümpfen zu einem Paar hellgrüner Adidas-Turnschuhe. Man konnte meinen, ein britannischer Schmetterlingsfänger mache einen auf Haute Couture. Ob die Stiere auf den Weiden eine derart farbenprächtige Garderobe tolerieren würden? Die sonstigen – ebenfalls Richtung Hartkaiser unterwegs befindlichen – Wanderer nahmen jedenfalls keinen Anstoß. Das Gegenteil war der Fall. Unser polychrom gekleideter Blickfang erntete ausschließlich Lob, als ich die ein oder andere Meinung einholte. Die Jury war sich einig: Heiners Garderobe war ein einziger Augenschmaus. Als Belohnung für ihre bereitwilligen Auskünfte bekamen die Juroren krachende Kostproben verbaler Motivationskunst zu hören:

      »AB IN DIE WAND, SAARDÉROS!«

      Meine