Doppelspitze. Gerhard Weis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Weis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847691327
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galt. Der Leser sollte sich diesen Umstand immer vor Augen halten!

      Donnerlittchen, dachte ich mir, das war aber jetzt mal ein geiler Traum – und so realistisch! Ich nahm mir vor, bei Gelegenheit am anderen Ufer nachzufragen, ob solche Trips dort üblich sind. Nicht, dass mir jetzt jemand auf falsche Gedanken kommt! Ich wollte mich keinesfalls über Schwule lustig machen. Aber alleine schon die Vorstellung, Part – womöglich noch der weibliche! – einer solchen Amour fou zu sein, löste bei mir in jener Zeit ein nachdrückliches Unbehagen aus. Man sollte nicht meinen, wie fürsorglich man nach meinem Kollaps mit mir umging. Unmittelbar nach jeder Behandlung durfte ich mich, ohne dass man mir diese Prozedur berechnet hätte, sogar ein Weilchen bequem hinlegen. Manchmal hielt mir dabei eine Arzthelferin die linke Hand – was damals noch gänzlich unkompliziert möglich war.

      Ellmau, Teil eins

      Am Morgen des 30. Mai 2002 ging es mir bestens. Also gab es keinen Grund für mich, meine Freunde an Fronleichnam nicht nach Ellmau zu begleiten. Tags zuvor hatte ich angesichts meines scheußlichen Befindens nicht mehr mit dieser freudigen Wendung gerechnet und Ronny meine Unpässlichkeit am Telefon offenbart.

      »Ich fahr morgen nicht mit … bin malade!«

      »Wie … fahr nicht mit … bin malade? Was soll das heißen? Was hast du denn?«

      »Mir schwillt der Arsch nicht ab … hab mordsmäßig Probleme mit den Hämorrhoiden … muss ständig aufs Klo.«

      »Seit wann denn das? Giselher Finger und Hämorrhoiden, das ist ja mal was ganz Neues.«

      »Das geht schon geraume Zeit so, Ronny. Wird immer schlimmer statt besser. Glaub mir, ich leide wie ein rumänischer Straßenköter. Der Doktor hat gemeint: ›Wenn wir Pech haben, muss ich Sie operieren, Herr Finger!‹ Aber das kann er sich abschminken, kommt nicht in Frage. Niemand schneidet mir am Hintern rum. Schon gar nicht dieser Rohling. Lieber sterbe ich. Ich bin der Giselher, nicht irgendwer!«

      »Das kannst du uns nicht antun, Finger! Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«

      »Doch, ist es, nur nicht das mit dem Sterben … aber ansonsten schon. Ich will euch nicht die Tour vermasseln. Nicht mit meinem Arsch, Ronny!«

      »Dann schmier halt was drauf!«

      »Was meinst du, was ich seit Wochen tue? Tut mir leid, das ist echt kein Spaß. Wie's ausschaut, wird das morgen nix mit mir.«

      Gott sei Dank hatte ich mich getäuscht. Vielleicht hatten sie ja nach der schockierenden Neuigkeit auf ihre Art für mich gebetet: Sich auf ein Stubbi getroffen und Wenn et Bedde sich lohne däät krakeelt. Dabei brauchte sich keiner genieren. Oder sie hatten, verwegen statt verlegen, in der Blieskasteler Klosterkapelle eine Kerze für ihren schwer kranken Freund angezündet. Zuzutrauen wäre es ihnen gewesen. Ich selbst bedurfte keiner Rituale, um zu wissen, dass ein Gebet sich immer lohnt. Auch dann, wenn das Leben nicht gerade im Arsch zu sein scheint. Dazu brauchte ich weder BAP noch Kerzenlicht.

      Wir brachen zeitig auf. Die fünfhundert Autobahnkilometer Richtung Kufstein konnten sich ziehen. Es war klar, dass an diesem verlängerten Wochenende noch jede Menge weiterer Luftverpester die Alpen ansteuerten. Da Hoss partout nicht in Ronnys roten Z1 passen wollte, war unser Jüngster gezwungen, mit dem hausbackenen VW Passat seines alles andere als hausbackenen Eheweibs Ulla für einen einigermaßen bequemen Transfer nach Tirol zu sorgen. Das protzige BMW-Cabriolet blieb in der Garage. Wenn die mit Petticoat, Stöckelschuhen, Kopftuch und Sonnenbrille aufgebrezelte Ulla Regen ihre Beinchen beim Ein- oder Aussteigen kokett über die türschluckenden Seitenschweller schwang, genoss sie die Blicke auf ihre wohlgeformten Fesseln. Bei dem ein oder anderen dieser selbstbewussten Manöver war angeblich sogar die Farbe ihres Schlüpfers auszumachen gewesen. Diesbezüglich traute ich den Behauptungen meiner Kumpels allerdings nicht über den Weg!

      Normalerweise wäre eine Wandertour an Tagen wie diesen, dem vierwöchigen Hochamt des Fußballs, undenkbar gewesen. Aber heuer würden wir ja nichts Wesentliches verpassen. Das Eröffnungsspiel tags darauf und ein, zwei unbedeutende Partien der Vorrunde, mehr nicht. Wie konnte man so bescheuert sein und eine Fußballweltmeisterschaft in Japan und Südkorea stattfinden lassen? »Der Blatter Sepp ist voll der Depp – Paarreim, Männer!« Heiner formulierte es vornehmer: »Ein solches Turnier gehört nach Europa oder Südamerika. In ein Land, wo der Fußball Teil seiner Kultur ist und sich die Massen auch wirklich für ihn begeistern.« Die Erinnerung an die fehlende Atmosphäre in den USA acht Jahre zuvor war noch frisch. Schlimmer gehts nimmer, dachten wir. Selbst meine Phantasie war nicht blumig genug, dass ich mir ernsthaft vorstellen konnte, die FIFA vergäbe eine WM nach Katar. Mannomann, was sollte man dazu noch sagen?

      Nach einer erstaunlich geruhsamen Fahrt aßen wir auf der Terrasse der Klosterbräustuben in Oberelchingen zu Mittag. Auf unseren inneren Autopiloten war Verlass. Vor fast zweihundert Jahren war ein berühmter Landsmann von uns – »le brave des braves« (der Tapferste der Tapferen), wie Napoleon Marschall Ney einst bezeichnete – in diesen Gefilden gegen die Streitkräfte des österreichischen Feldmarschallleutnants Graf Riesch in die Schlacht gezogen. Michel Ney, ein Saarländer wie wir und Ricky, mein Schalke 04-verrückter Schwager. Nur dass wir keine Soldaten, Herzöge von Elchingen, Fürsten von der Moskwa oder Söhne armer Böttcher waren und auch nicht in der Bierstraße in Saarlouis zur Welt gekommen sind. Aber immerhin, das ein oder andere Bierchen pitschten auch wir. Ricky wurde sogar ganz in der Nähe von Saarlouis geboren und hatte, wie der zum »duc d'Elchingen« ernannte Gefolgsmann Bonapartes, seine Ausbildung in der Dillinger Hütte absolviert. Mehr noch: Ricky war, wollte man den Recherchen eines heimischen Ahnenforschers Glauben schenken, über ein paar Ecken mit Michel verwandt.

      Das naturtrübe Kellerbier im Angebot der Schänke diente uns zum Ausbringen des ersten Trinkspruchs unserer diesjährigen Tour.

      »Prost, Saardéros!«

      »Prost, auf Rick und den duc! Paarreim, Männer!«

      »Und auf Giselher, nicht irgendwer! Paarreim, Finger! Möge dir dein Arsch wohlgesonnen sein!«

      »Danke, Hoss!«

      »Liberté, égalité, fraternité!«

      »Jawohl, Heiner, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Und wenn man bedenkt, das wir sogar den doofsten Kratzbürsten tolerant und geflissentlich humanitär begegnen, gingen wir glatt als Freimaurer durch. Ich meine: Auch wenn der Vatikan die Zugehörigkeit zu dieser edlen Handwerkskunst als unvereinbar mit der katholischen Lehre betrachtet, ist solcherlei menschliches Gebaren ethisch ohne Fehl und Tadel. Meint ihr nicht auch, Saardéros?«

      Mein großes Maul funktionierte noch. Für meine Sprüche erntete ich Beifall. Obwohl vermutlich keiner meiner begeistert applaudierenden Freunde verstand, was ich da wieder mal laberte. Egal, Hauptsache mein verlängerter Rücken wurde an dieser historischen Stätte zum Nebenkriegsschauplatz erklärt – trotz meiner unterwegs immer wieder geäußerten Bedenken. Nachdem ich meinen erstaunten Freunden (»Wo haste denn das alles wieder her, Finger?«) abschließend erklärt hatte, dass man den duc in der dreizehnten Spalte des Arc de Triomphe, direkt neben dem schottischstämmigen Étienne Jacques Joseph Alexandre MacDonald, 1. Herzog von Tarent, verewigt hatte, fuhren wir weiter auf der BAB 8 Richtung München. Fürs Erste war der Geschichtsunterricht beendet.

      Unterwegs entschieden wir uns, dem ehemaligen Konzentrationslager Dachau einen Besuch abzustatten. Statt, wie für das deutsche Durchschnittsweib typisch, konzeptlos in den auf unserer Route gemeldeten Stau zu brausen, nutzten wir die Zeit sinnvoll und nahmen zum zweiten Mal an diesem Tag historisch erhellende Nachhilfestunden. Dass wir auf Männertour waren, bedeutete entgegen landläufiger Annahme keineswegs, dass wir uns ausschließlich dem Frohsinn hingaben und die bedeutsamen Dinge des Lebens links liegen ließen. Für Typen wie uns traf das Gegenteil zu. Wir waren auf unseren Streifzügen für derartige Abstecher immer zu begeistern.

      »Geboren in Braunau – eingebürgert in Braunschweig – Braunhemd – braunes Haus – Eva Braun – braun, braun, braun … überall nur braun. Scheiße ist auch braun, meistens jedenfalls, manchmal aber auch braunrot!«