Doppelspitze. Gerhard Weis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Weis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847691327
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auch Moritz Möchtegern wollte wie die feinen Pinkel fein pinkeln. Die sanitären Einrichtungen einer Golfanlage waren nicht mit denen des Turn- und Sportvereins Hintertupfingen zu vergleichen. Nach dem Geschäft regelten im Clubhaus Lichtschranken die nötigen Prozesse der Hygiene. Da machte sich keiner mehr die Hände an siffigen Armaturen schmutzig. Gleichermaßen dachte auch Gerda Gernegroß. Als Dame von Welt griff sie neuerdings zu Eisen 4, statt wie bislang zum faserverstärkten Kunststoff-Racket. Tennis war nur noch bedingt prestigeträchtig. Wer besonders dick auftragen wollte, hatte seinen Caddy dabei. Ein Butler aus Fleisch und Blut. Kein billiges Mamamobil, welches die Mutti lahmarschig hinter sich herzog. Beim Tennis machte der Einsatz eines Caddys keinen Sinn. Es hätte nichts gebracht, seinem Büttel den Schläger zwischendurch in die Hand zu drücken. Der gelbe Tennisball wurde vom Gegner einfach zu schnell retourniert. Selbst bei einem extrem hohen Lob. Und nur für den Seitenwechsel jemanden zu engagieren, hätte sich kaum rentiert. Für Gerda Gernegroß kam ohnehin höchstens ein Trolley in Frage. Aber in der Regel trug Gerda ihre Ausrüstung tapfer selbst. Auf dem Buckel, wie ein schneidiges Mannsbild. Ich wurde in Ausübung meiner beruflichen Pflichten schon häufiger von der ein oder anderen Golfgranate über die unglaubliche Härte ihres Sports aufgeklärt. Im Vergleich zu deren Strapazen war eine schweißtreibende Spinningstunde, das tonnenweise Stemmen von Gewichten oder ein Halbmarathon bestenfalls ein Aufwärmtraining. Dass die Damen recht hatten, erfuhr ich auf eben diesem Grün. Dort war ich schon nach wenigen Minuten hart am Limit. Wenn ich damals gewusst hätte, dass ich schon bald Chipper und Putter zeitgleich ins Spiel würde bringen können, hätte ich vielleicht durchgehalten und noch fester auf die Zähne gebissen. So aber war die Belastung zu groß für mich. Mein Allerwertester flehte nach einer Pause. Also marschierten meine Kumpels ohne mich weiter. Ich zog es vor, Richtung Pension zu watscheln.

      »Arsch huh, Zäng ussenander, jetz, nit nähxte Woch!« Hoss' scharfe Ansprache half. Er wusste, dass er seinen BAP affinen Zimmerkollegen damit bei der Ehre packte. Drei Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer hatten sich auf dem Kölner Chlodwigplatz etwa einhunderttausend Menschen versammelt, um friedlich mit einem von der Kölner Musikszene initiierten Konzert gegen Rassismus und Neonazis in Deutschland zu demonstrieren. Wolfgang Niedecken schrieb den Text für den von Nick Nikitakis komponierten Titelsong der Veranstaltung. Die hatte sich bei ihrer Wiederauflage an der Deutzer Werft, zwanzig Jahre später, das Thema Soziale Gerechtigkeit auf ihre Fahnen geschrieben. »Wenn mir dä Arsch nit huhkrieje, ess et eines Daachs zo spät!«, so das Motto. Was hatte ich mich im August 1992 für das Verhalten meiner Landsleute geschämt. Während eines Italienurlaubs wurde ich an einem öffentlich aufgestellten Fernseher Zeuge des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen. »Wenn mir dä Arsch nit huhkrieje, ess et eines Daachs zo spät!«, pflegte auch ich bei passender Gelegenheit zu betonen.

      Auf Hoss' Geheiß kehrten die Lebensgeister zu mir zurück. Mein Arsch war huh und sein Besitzer, ohne an diesem Scheißtag auch nur in der Nähe einer »Wand« gewesen zu sein, übern Berg. Nach unserer Tour am Wilden Kaiser sollte mein hausgemachtes Problem nurmehr ein Problemchen sein. Irgendwann verabschiedete es sich endgültig. Ich konnte von Glück sagen, dass ich nicht das Schicksal süddeutscher oder österreichischer Knechte vergangener Zeiten zu teilen hatte. Bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert bekamen diese armen Teufel unbezahlte Arbeitstage aufgebrummt. Sie mussten die Zeit wieder ausgleichen, die sie während der Maloche für die Erledigung großer Geschäfte benötigten. »Scheißtage« lautete die offizielle Bezeichnung für ihre unfreiwilligen Arbeitseinsätze.

      »Auf nach Kitz, Saardéros!« Eine knappe Stunde nach Hoss' Weckruf testete Ronny den Kickdown des Passats. Alle waren erleichtert, dass ich dabei war. Frisch rasiert und nach Davidoff duftend kamen wir am Abend meines persönlichen Day After in Kitzbühel an. Als wir durch die gepflegten Gassen dieses noblen Städtchens schlenderten und nach einem passenden Restaurant Ausschau hielten, kam uns durch das offen stehende Fenster einer Dachgeschoßwohnung ein lange nicht mehr gespielter Song zu Ohren:

      … I'm so dizzy my head is spinning, like a whirlpool it never ends …

      Zufälle gibts! Erst wenige Minuten zuvor hatte ich, mein Kopf war weder dizzy noch spinning, im Auto von Tommy Roes altem Nummer-eins-Hit gesprochen. Nachdem wir schick gegessen hatten, machten wir uns auf zur Schickeria. Anfang der Neunzigerjahre war ich mit Hagen Blaumann, Spitzname Broker, schon einmal in Kitz gewesen. Für 'nen Appel und 'n Ei. Die BÖRSE-ONLINE war großzügig, wenn jemand einen neuen Abonnenten warb. Broker war ein Kumpel aus meiner Zeit bei der Polente. Er war ein begeisterter Glücksspieler, der Pechsträhnen ohne groß Aufhebens akzeptierte. Mit ihm konnte man Pferde stehlen. Den Zutritt ins Casino hatte man uns wegen unserer Turnschuhe verweigert. Die sollten erst später salonfähig werden. Also wurden wir unsere an der Börse mit Optionsscheinen auf japanische Aktien waghalsig erzockten Schilling in den Kneipen los. Die meisten davon im »Fünferl«. Diese Pinte war angesagt. Im Fünferl musste man gewesen sein, wollte man ernsthaft von sich behaupten, die Kitzbüheler Kneipenszene zu kennen. Folgerichtig lotste ich meine Kameraden dorthin. Unter lauter schicken Menschen stellten wir uns auf der Terrasse an einen frei gewordenen Stehtisch. Heizpilze sorgten für einen angenehmen Aufenthalt.

      »Vier Pils und ein Kamillentee bitte!«

      Dass die Bestellung meinem vorlauten Mundwerk diesmal im Flüsterton entwich, war verständlich. Kamillentee? So ein exotisches Anliegen hörte man hier bestimmt selten.

      »Vier Pils, ein Kamillentee, richtig?«

      Die sommersprossige Bedienung vergewisserte sich lautstark, ob sie den schnatzen Gast auch richtig verstanden hatte.

      »Ganz genau, vier Pils und ein Kamillentee!« Das mir auf der Zunge liegende: »Gehts noch lauter, du Tussi?«, verschluckte ich. Ein geschniegelter Best Ager im feinen Zwirn drehte sich postwendend zu mir um, das Wohlstandsbäuchlein mit einem Tuchrock Marke Wichtigtuer kaschiert. Der glatzköpfige Krawattenträger meinte belustigt aber treffend:

      »Kamillentee? Da hat wohl jemand Probleme mit dem Darm, was?« Der Kerl kannte sich aus. Dem Bleaching und seiner facegelifteten Visage nach zu urteilen, war er bestimmt ein Fachmann in Sachen Brazilian Waxing.

      »Ob dieser vorlaute Protz auch im Schritt kahlgeschoren ist?«

      »Eher wohl nicht, Bodo!« Ich vermutete gestenreich, dass oberhalb seines Bonsaidings ein Iro stünde. »Ein Irokesenschnitt kommt bei den Rehkitzen bestimmt mordsmäßig an!«

      Heiner war, wie ich fand, am kreativsten: »Ich tippe auf einen Freestyle. Etwas in der Art eines ›Furor-Schnurrers‹. Wir sind hier schließlich in der Nähe von Braunau am Inn.«

      Unseren Lästermäulern entflohen die abfälligen Sprüche tontechnisch fein justiert: In einer Lautstärke, dass sie von dem Mann mit den spitzen Ohren gehört werden konnten, das restliche Publikum aber – so gut es halt ging – verschont blieb. Der nicht einmal unsympathische Herr Neunmalklug bewies Nehmerqualitäten:

      »Bei uns an der Streif trägt man zwar Hahnenkamm, aber Fu-Manchu oder Chin-Puff wär mal was anderes. Originell, danke für die Tipps! Mareike, der Tee geht auf mich!«

      Die burschikose Bedienung reagierte mit einem verschmitzten Grinsen. Sie hatte die mit feinem Spott überzogenen Anspielungen ganz gewiss mitbekommen. Im Laufe des lustigen Abends erlaubte ich mir dann noch zwei Pils, zum Finale sogar eine Zigarette. Fräulein Mareike spendierte dem wieder Genesenen die Mentholkippe gern. Entsprechend großzügig fiel ihr Trinkgeld aus.

      Mit dem Blick Richtung Streif neigte sich unser Streifzug dem Ende zu. Jahre später hatte dann wohl jemand anderes einen im Tee, als man auf die Idee kam, das legendäre Hahnenkammrennen verkehrt herum anzugehen. Mausefalle, Karussell, Hausbergkante, Traverse – von unten nach oben: Vertical-up! 3312 Längen- und 860 Höhenmeter, im Dunkeln, mit Spikes, Skistöcken und Grubenlampe. In gut einer halben Stunde die glatte Wand hoch, Respekt!

      Donnerklitchen, Teil drei

      Entsetzen, Bewunderung, ungläubiges Staunen! Wie war so etwas möglich? Donnerwetter, ein Prachtstück, absolut ladylike, mehr noch: king-size!

      Was bei genauerer Überlegung wenig verwunderlich