Naja, der liebe Gott fand einen Weg.
Wolfgang hatte aus der Schulzeit einen sehr guten Freund, der in allem und jedem ganz ganz anders als er war, was der Freundschaft keinen Abbruch getan hatte. Dieser Fritz war offen und unverkrampft, nicht so zielgerichtet und auf Karriere bedacht wie mein Mann. Er hatte Schlosser gelernt, arbeitete aber als Fahrer für den Chef eines Großbetriebs. Ich kannte ihn seit Jahren und hatte manchmal gewünscht, Wolfgang könnte etwas von Fritz‘ Lockerheit lernen.
Ja, und es geschah nun also, dass mein Mann mit dem Sohn einige Tage weggefahren war. Wohin, erinnere ich nicht mehr. Fritz hatte dienstlich in der Nähe zu tun und kam am Wochenende überraschend zu Besuch, er stand einfach vor der Tür: Hier bin ich. Das war ganz normal, denn man besaß ja in der DDR als Normalbürger kein Telefon. Obwohl mich Wolfgang zu diesem Zeitpunkt schon zum Fremdgehen aufgefordert hatte, planten wir beide keineswegs, miteinander zu schlafen. Wir haben ein bisschen was unternommen, aber wie ein altes Ehepaar zu Hause gegessen, denn man fand auch nicht einfach so freie Plätze in einem netten Restaurant. Wir hatten eine angenehme Zeit miteinander, haben viel gelacht, und als Fritz fragte, ob er auf dem Sofa schlafen solle, meinte ich, das sei nicht nötig. So kam er ins Ehebett – ohne arge Absicht, dessen bin ich mir sicher.
Es lag dann an mir, dass ich ihm Gute Nacht wünschte, aber auch meinte, er habe mich noch nie richtig geküsst. Und so kam dann eins zum anderen. Es war zwar wunderbar, aber vor Schreck und Angst habe ich beim ersten Mal keinen Orgasmus bekommen. Im Gegensatz zu Wolfgang wiederholte er immer wieder, wie schön das gewesen sei. Am nächsten Tag wollte ich mit ihm noch einen Mittagsschlaf machen. Und wir lagen auf dem Sofa, gekuschelt als Löffelchen, und ich merkte plötzlich an seinem Herzschlag, dass er erregt war. Das hatte ich noch nie so gespürt und bekam plötzlich selbst einen Orgasmus wider Willen. Auch das war ein wunderbares Erlebnis. Bevor der Freund wegfuhr, gab es noch ein drittes Mal. Es war großartig, aber wir haben nicht darüber gesprochen. Wir haben es hingenommen als einen Sonnenstrahl im Leben, der sich manchmal ergibt.
Die Geschichte hat leider ein anderes Ende gefunden, als ich hätte annehmen dürfen: wir haben es, ohne dass wir das abgesprochen hatten, beide Wolfgang erzählt. Nun wollte er Genaueres nicht mehr wissen, nun reichte ihm der Schmerz, dass ich mich mit seinem besten Freund, den ich immer schon möchte, eingelassen hatte. Hatte mich mein Mann nicht aufgefordert zum Seitensprung?
Irgendwann – ich weiß den Zeitpunkt nicht mehr genau – fiel das utopische Bild von meiner Ehe, an dem ich lange festgehalten und es anderen gegenüber stets verteidigt hatte, in sich zusammen. Als wäre ein Fenster geputzt worden, sah ich plötzlich die Realität: Da war einer, der irrte durch seine wechselnden Vorstellungen vom Leben und bestimmte darüber, was Frau und Sohn zu tun hatten.
Als ich ihm schließlich sagte: „Schluss, aus und vorbei!“, da verlangte er ein halbes Jahr Aufschub und Bedenkzeit. Ich hatte nichts dagegen, weil ja auch alles organisiert werden musste, sagte ihm aber gleich, dass ich ein Mensch sei, der sich entscheide und dann bei der Entscheidung bleibe, er solle und dürfe sich keine Hoffnung machen.
Danach hat er sofort angefangen, junge Lehrerinnen aus dem Kollegium auszuprobieren, zum Beispiel eine Sportlehrerin, unverheiratet, die mit ihrer alten Mutter zusammen lebte. Insgeheim wurde sie von vielen Männern in der Schule angehimmelt. Viel später hat er mir erzählt, die alte Mutter habe ihn gefragt, was er denn eigentlich wolle, als er um die Hand ihrer Tochter angehalten habe.
Er hat auch auf Annoncen reagiert. Als ob er nun endlich mal erfahren wollte, wie das mit anderen Frauen geht. Er war ja ganz auf mich orientiert und hat wohl gedacht, alle Frauen seien so fügsam, wie ich es viel zu lange gewesen war. So geriet er an eine Zahnärztin, die ganz viele sexuelle Kontakte hatte. Sie konnte immer, sie konnte mit jedem, und er musste sich sehr anstrengen, erklärte er später seinen Grund für die Trennung. Als sie ihn Abend für Abend mit steifem Gesicht am Schreibtisch sitzen sah, ist sie gekommen und hat gefragt, was er da mache. Er erklärte, es handele sich um Geografie, um eine Vorbereitung für den Unterricht, Erzvorkommen der Sowjetunion, 5. Klasse. Sie hat ihn gefragt, wie viele Jahre er das Thema schon behandele. Er antwortete, es sei das dritte oder vierte Mal. Sie wunderte sich daraufhin nur, warum er immer noch Vorbereitungen machen müsse.
Mir hat er nie erzählt, es sei mit anderen Frauen schöner gewesen als mit mir, das hat er nie getan. Bei seinem 70. Geburtstag vergaß er allerdings in der Rede völlig, die erste Ehe und den Sohn zu erwähnen, um dann beim Abschied entschuldigend zu ihm zu sagen: „Naja, wenn deine Mutter damals bei mir geblieben wäre, hätte ich sie wohl immer noch zur Frau.“
Mein Kommentar dazu lautet, er habe es eben nie wieder so bequem gehabt wie mit mir. Ich war viel zu jung und voll auf ihn abgefahren.
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