Aber wenn ich an meinen Fingern gerochen habe, fand ich nicht, sie würden stinken, sondern irgendwie spannend riechen. Jedenfalls nicht unangenehm, mehr so, dass man sie nur an die Nase hält, wenn man ganz allein ist. Zum Beispiel im Bett.
Damals habe ich nicht darauf geachtet, doch im Nachhinein denke ich, dass ich als Kind schon alle paar Wochen so etwas wie Hormonschübe hatte. Jedenfalls hatte ich dann immer Lust darauf, das schöne Gefühl zu wiederholen. Anfangs las ich die Stellen in „Clochemerle“, wo die Seiten dunkler auszusehen begannen. Später brauchte ich nur daran zu denken. Es war so eine Art intuitiver Vorbereitung. Ich habe das Buch genommen, es mir gemütlich gemacht und mich mit dem Spiegel angeguckt. Da erwachte sofort ein schönes Gefühl.
In der Kindheit habe ich immer gut funktioniert und Anweisungen meistens befolgt. Zu Hause war alles in der Schwebe. Meine Mutter war stark unter Druck. Sie musste Kindererziehung und Haushalt allein bewältigen. Und arbeiten gehen musste sie auch. Der Vater war nie da. Während des Krieges und danach verfiel er mehr und mehr dem Alkohol und wurde zu einer Randerscheinung in der Familie.
Mit acht Jahren habe ich meine Mutter am Heiligabend ernsthaft gefragt, wie lange wir uns die Eskapaden meines Vaters noch gefallen lassen würden. (Vermutlich hatte ich ein deftigeres Wort gewählt!) Er hatte, während wir in die Christmette gegangen waren, den Baum schmücken, die Kerzen anzünden und bei unserem Heimkommen Weihnachtslieder am Klavier spielen sollen. Stattdessen hing er volltrunken auf dem Sofa. Nach diesem Eklat reichte meine Mutter die Scheidung ein, allerdings schweren Herzens. Es hat mich immer bedrückt, dass meine Frage der letzte Anstoß zu diesem Schritt gewesen war.
Das Klavier, das mein Vater als einziges Stück aus der Wohnung hatte mitnehmen wollen, ertrotzte Mutter für uns und unseren künftigen Klavierunterricht. „Das Klavier bleibt da.“ verlangte sie. „Haben die Kinder denn schon Unterricht?“ fragte der Scheidungsrichter. Sie musste zugeben, das sei nicht der Fall. Dennoch ging sie nicht auf den Vorschlag des Gerichts ein, sich mit dem Vater zu einigen.
Was meine Aufklärung betrifft, so gab es einen eher lächerlichen Versuch meiner Mutter, indem sie mir das entsprechende DDR-Buch in die Hand drückte, geschrieben von einem Professor Siegfried Schnabl mit dem zugkräftigen Titel „Die Geschlechterfrage“. Zu jenem Zeitpunkt meinte ich schon allerhand zu wissen und sah gelassen und ein bisschen neugierig auf das Kommende.
Während der Pubertät haben wir uns in unserer reinen Mädchenklasse gegenseitig beobachte und belauert. Leider gehörte ich nicht zu denjenigen, denen sichtbar der Busen wuchs. Die haben wir aus Neid geärgert: sie zögen sich einen Büstenhalter an, um Busen vorzutäuschen. Eine Mitschülerin zerrte schließlich mit Tränen in den Augen ihren Pullover hoch, um uns die Echtheit zu beweisen. In der Turnhalle betrachteten wir uns gegenseitig, meist etwas verstohlen. Dort redeten wir auch über die Periode. Es war üblich, dass die Betroffenen auf der Bank sitzen blieben und nicht mitturnten. Wenn man seine Tage bekommt, meinten die Weisen unter uns, wird man eine richtige Frau. Von den Klassenkameradinnen erfuhr ich, dass man dann blutet und dass das ganz normal ist. Es ginge allen Mädchen so.
Ich fand das Ganze höchst eigenartig und hatte keine Ahnung, was man gegen das Bluten tut. Die anderen erzählten von Binden, mit denen man gar nicht richtig gehen könne. Sie berichteten auch, wie vorsichtig man sein müsse, um nicht alles schmutzig zu machen. Ich erinnere mich, dass ich mir versuchsweise ein zusammen gerolltes Taschentuch in den Schlüpfer gesteckt habe und steifbeinig herumstolziert bin. Ich habe darauf gewartet, gefragt zu werden, warum ich so komisch gehe, und dann hätte ich geantwortet, weil ich meine Tage habe.
Als es dann wirklich passierte, bekam ich heftige Bauchschmerzen und dachte, das sei Durchfall. Auf der Toilette habe ich das Blut gesehen und meine Mutter gerufen. Sie hat mir diesen entsetzlichen Gürtel aus Gummiband gegeben, an den man eine Stoffbinde knöpfen musste. Damals gab es nichts Besseres.
Der Großvater hat in unserer Kindheit viel Einfluss auf das Familienleben genommen. Er war blind geworden und hatte genug Zeit, sich über alles Gedanken zu machen. So redete er immer wieder auf uns Enkel ein, ja nicht zu heiraten und sich Kinder anzuschaffen. Für mich war das wie eine Schallplatte, der ich nicht mehr zuhörte. Irgendwie würde sowieso alles auf mich zukommen, dachte ich, ob ich wollte oder nicht.
Wenn ich als Backfisch – so hießen Teenager in jenen Tagen - meinen Großvater durch die Stadt in den Schrebergarten führte und mich im Vorbeigehen in einem Fenster spiegelte, fand ich mich entsetzlich hässlich, geradezu lächerlich: eine Giraffe mit langen Beinen und obendrauf ein kleines Köpfchen. Weil ich groß war, drückte ich die Knie beim Gehen nicht durch und hielt mich nicht gerade, um nicht so lang zu wirken.
In der Familie war ich in dieser Zeit nicht nur die „Transuse“, sondern wurde auch ständig gefragt, wo ich denn noch hinwachsen wolle. So hoch aufgeschossen, würde ich wohl nie einen Mann finden und Jungfer bleiben, lautete der Kommentar, und ich dachte nur: „Ach, du lieber Gott!“ Damals konnte mich wirklich nicht besonders leiden.
Als ich mit vierzehn Jahren an der Jugendweihe teilnahm, änderte sich das zum ersten Mal. Meine Mutter hatte schwarzen Taftstoff aus dem Westen besorgt. Wie sie das geschafft hatte, weiß ich nicht. Aus einer westdeutschen Zeitschrift durfte ich mir bei einer Bekannten ein Modell aussuchen. Und schließlich fand ich das Kleid sehr schick, sogar an mir.
In den ersten Schuljahren war meine Frisur ein Kränzchen gewesen, also ein oben um den Kopf herum geflochtener Zopf. Danach trug ich eine Art Pagenkopf mit Mittelscheitel und Pony. Ich sah aus, als hätte man mir zum Haareschneiden einen Topf aufgesetzt, einfach furchtbar, aber eben auch furchtbar praktisch! Zur Jugendweihe bekam ich eine Lockwelle, wie sie gerade modern geworden war. Mit dieser Frisur habe ich mir gefallen.
Im Betrieb, in dem meine Mutter arbeitete, fand die Jugendweihe, der DDR-Ersatz für die Konfirmation, in einem Saal statt. Da standen wir Vierzehnjährigen alle steif und unbeholfen auf der Bühne herum. Aber Verwandte und Bekannte bewunderten mein Aussehen, und ich habe mich gut gefühlt. Dagestanden habe ich freilich mit eingeknickten Hüften und ständig nach rechts und links gesehen, um mich den anderen anzupassen und optisch zu verkleinern. Das weiß ich noch ganz genau.
Nach der achten Klasse begann ich, da das die Familie, besonders meine Mutter, so entschied, eine Ausbildung zur Grundstufenlehrerin und musste deswegen in ein Internat gehen. Zwar war es nur einige Bahnstationen entfernt, aber wir durften lediglich Sonnabend/Sonntag nach Hause fahren. Das war schon hart.
Für Jungen hatte ich mich bis dahin kaum interessiert. Wie anders sie sind, konnte ich ausreichend an meinem kleinen Bruder Torsten studieren. Er schien nur Freude zu haben, wenn er stänkerte und das letzte Wort hatte.
In den großen Ferien, bevor ich im Institut anfing, lernte ich meinen späteren Mann kennen, der für mich von Anfang an ein Phänomen darstellte, weil er sich als stolzer Schweiger und etwas Besonderes gab und in der Sportschule schon ein Star war. Wir begegneten uns im Betriebsferienlager, in das ich nach dem Schulabschluss noch einmal geschickt wurde, weil ich ein Auge auf meinen Bruder haben sollte. Wolfgang war als Betreuer eingesetzt. Von den Mädchen wurde er angehimmelt, was er scheinbar überhaupt nicht zur Kenntnis nahm. Er müsse sich auf sein Training konzentrieren und habe für nichts anderes Zeit, sagte er immer wieder, auch ungefragt. Er war der Typ „einsamer Indianer“, und ich fand ihn ganz toll. Wenn er vom Sportfeldrand Ratschläge gab, zum Beispiel, wie wir den Volleyball halten müssten, habe ich ihn bewundert und fand sein Wissen enorm. Als ich bemerkte, dass er sich für mich interessierte, fühlte ich mich geschmeichelt. Für mich war er ein Freund, dessen Art mir gefiel. Mehr war da nicht: Bewunderung, zunächst noch ganz ohne Erotik. Also zum Beispiel, wenn ich mit Wolfgang geschmust habe – das war rein geistig-seelisch -, und wenn ich dabei einen feuchten Slip bekam, dachte ich, ich sei blasenkrank, denn ich habe keinen Zusammenhang herstellen können.
Wolfgang war keusch wie eine Jungfer und verklemmt dazu - wie ich später herausfand -, so dass er es vermieden hat, seinen Penis in meine Nähe zu bringen oder ihn gar sehen zu lassen. Im Gegenteil: er versteckte ihn! Wir waren fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, und ich habe mich gewundert, warum er so ein großes Portemonnaie