Also wollten wir uns heimlich treffen. Ich habe gesagt, ich sei Sonntag im Hallenbad und schwimme von zehn bis zwölf Uhr. Aber er kam nicht. Als ich ihm nach ein paar Wochen wiederbegegnete und fragte, sagte er, er sei da gewesen und ich hätte ihn sogar angelächelt. Doch ich bin kurzsichtig und schwamm nie mit Brille, so dass ich ihn nicht gesehen habe. Ich hatte prophylaktisch alle angelächelt, und das war's.
Da jede Beziehung verboten war, meinte er schließlich, wir sollten uns ein ganzes Jahr lang weder sehen noch schreiben. Das galt ihm als Beweis von Charakterstärke, die ihm immer wichtig war. Wir haben wirklich durchgehalten, jedenfalls so lange, bis wir uns zufällig bei einem Tanzvergnügen von Mutters Betrieb trafen. Als ich ihn sah, ging es mir durch und durch, und ich bekam einen roten Kopf, ging auf ihn zu, und wir waren uns schnell einig, dass es zu schön sei, sich zu treffen, als dass wir dem Verbot weiterhin Folge leisten wollten. Etwa ein Vierteljahr hatte ich Wolfgangs Vorgabe mitgemacht und hatte auch nicht klein beigegeben, sondern auf den Zufall gewartet.
Mit diesen Vorsätzen wie auch damit, Verbote zu akzeptieren, hat er sich das Leben schwer gemacht und mich enttäuscht. Auch in sexueller Hinsicht verließ er sich nicht einfach auf seine Empfindungen, sondern war traurig, weil er nicht die Gefühle bekam, wie er sie in der Pubertät manchmal gehabt hatte. Ich sollte ihm helfen, eine Liebe zu entwickeln, wie er sie sich vorstellte. So verlangte er mal von mir, dass ich mich vor ihm ausziehe, also mich richtig mit Musik und Tanz entkleide. Das habe ich gemacht, doch er war enttäuscht. Ich solle nun Streichhölzer nehmen und sie immer dann anzünden, wenn ich wieder etwas ausgezogen habe. Alles habe ich gemacht, doch es erregte ihn nicht wie bei der Lektüre früher.
Einmal bekamen wir von einer Kollegin erotische Literatur aus dem Westen geborgt, französische Romane zum Beispiel. Ich erinnere mich an ein Buch, in dem von der Magie der schlechten Worte die Rede war. Dass man erregt werde durch Schimpfworte, den Sex betreffend, wurde da beschrieben. Wolfgang hat das gelesen und fand es ganz toll, während des Beischlafs die Frau, die sich ihm hingibt, heftig zu beschimpfen. Alles hat er ausprobiert. Natürlich dachte ich dann irgendwann, dass ich ihm nicht genüge als Frau. Dass ich persönlich ihn nicht richtig befriedigen und glücklich machen kann. Eigentlich wünscht man sich doch, dass einer mal sagt, wie sehr es ihn errege, die Partnerin nur anzusehen. Doch so etwas kam nie von ihm, nicht mal in Andeutungen.
Dennoch habe ich mich in jener Zeit nicht selbst befriedigt. In der Pubertät kam es ja so alle vier Wochen ein- bis zweimal vor. Aber in der Familiensituation mit einem kleinen Kind und Beruf war ich stark eingespannt und abends natürlich todmüde. Ich habe allerdings nie Nein gesagt, sondern konnte mich schnell darauf einstellen, wenn er wollte.
Ich muss sagen, dass ich auch mit dem Onanieren mehr Erfahrungen hatte als er, weil ich dem Sex gegenüber sehr aufgeschlossen war. Er macht Spaß und schöne Gefühle, da musste ich nicht lange nachdenken und mir womöglich ein schlechtes Gewissen machen, wie das bei ihm der Fall gewesen sein muss. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass ihn sein Vater, falls er ihn beim Onanieren erwischt haben sollte, verprügelt hat. Solche Strafen waren üblich in seiner Familie.
Was mein Vergnügen angeht, so habe ich nur in der allerersten Zeit mit Wolfgang keinen Orgasmus erlebt. Ansonsten habe ich ihn beinahe jedes Mal erreicht, wenn wir zusammen waren, besonders natürlich wenn wir wochenlang getrennt gewesen waren und ich heftige Sehnsucht bekam. Zwar hat er immer sein Ding gemacht, kaum Rücksicht auf meine Gefühle genommen, und ich musste sehen, wie ich mit ihm mitkomme, aber dennoch habe ich fast immer mein eigenes Ziel erreicht. Dabei musste ich jedoch stets darauf achten, auch seinen Wünschen nachzukommen.
Zum Beispiel hat er gern Aktfotos gemacht. Ich erinnere mich an einen Ostseeurlaub auf dem Darß, da lag ich quasi in der Brandung, der Seewind blies kräftig, aber es war dennoch wunderschön, und Wolfgang fotografierte. Solche Fotos brauchte er für seine visuellen Vorstellungen, aber das alles bezog sich nie auf mich als Person.
Oft hat er meine Mängel hervorgehoben, jedoch nie gesagt, was ihm an mir gefällt. So war ihm mein Busen zu klein und hing zu sehr. Es war die Zeit von Brigitte Bardot und den hohen Brüsten im spitzen Büstenhalter. Ich konnte wunderbar stillen, und das reichte mir. Für Wolfgang war es jedoch nicht genug. Jedenfalls ist das meine Erinnerung an unsere Ehe.
Meine Mutter fragte mich einmal in einem Brief, ob ich denn nicht einen Wunsch so ganz für mich allein hätte, den sie mir gern erfüllen würde. Da bat Wolfgang, ich solle mir aus dem Westen so richtig tolle Reizwäsche wünschen, einen tollen BH, der alles hochhebt. Das habe ich ihr geschrieben, doch sie erklärte kategorisch, für so einen Quatsch sei ihr das Geld zu schade. „Wem soll denn das nützen?“ fragte sie. Warum wolle sich Wolfgang noch mehr erregen, unsere Kleinfamilie passe gerade so in die kleine, wenig komfortable Wohnung! So deutlich hatte sie es nicht geschrieben, mehr in der Art, dass das kein richtiges Geschenk für mich sei. Und er habe eine schöne Frau, und das sei genug.
Auch an meinem Gewicht und der Figur hat er herumgemeckert. Ich wollte es ihm immer recht machen und bin lange Zeit jedem Streit ausgewichen. Ich habe ihn sogar vor anderen auf ein Podest gehoben. Das hat ihn nur in seiner Rolle bestätigt, in der Rolle als Despot und Egoist.
Doch selbst in der Zeit, als er mein Kollege an der Schule wurde, war ich noch total auf ihn orientiert, für mich kam nur dieser Mann in Frage, auch wenn er unser Familiendiktator war, der sich immer an offiziellen Anforderungen orientierte. So erinnere ich mich, dass die Familie unter seiner Ansicht von gesunder Ernährung litt und wir zum Beispiel feuchtschweres Schwarzbrot essen mussten, anstatt frischer Brötchen.
Besondere Schwierigkeiten gab es, wenn meine Mutter aus dem Westen zu Besuch kam. Ein paar Mal ist sie richtig ausgeflippt und aus der Wohnung gerannt, um tief durchzuatmen und wieder ruhiger zu werden. Sie fragte mich dann, wie ich das denn nur aushielte mit diesem Mann, aber ich protestierte, er liebe mich doch und ich ihn. Ich hätte mich für ihn entschieden, und nun sei es eben richtig so. Das stehen wir durch.
Oft haben wir stundenlange Gespräche bis tief in die Nacht geführt. Sie drehten sich immer um politische Vorgaben für die sozialistische Familie, die wir sein oder werden sollten. Zum Beispiel forderte Wolfgang von mir, dass ich meiner Mutter schreibe, wir wollten absolut keine Westpakete mehr von ihr. Da habe ich mich jedoch glatt geweigert, weil er als Lehrer so wenig verdiente, dass es gut tat, Kaffee und Schokolade, Waschpulver und Seife, aber eben auch mal eine Strickjacke für mich oder Pullis und Hosen für den Sohn zu bekommen. Man sah den Sachen freilich die westliche Herkunft Meilen gegen den Wind an, so dass sich Wolfgangs Genossen beschwerten, ich liefe immer westlich gekleidet herum. Er solle gefälligst auf mich einwirken. Aber ich war in dieser Angelegenheit auf beiden Ohren taub, weil wir die Unterstützung viel zu gut gebrauchen konnten. Und natürlich weil mir die Sachen gefielen.
Ja, aber, das geht doch nicht, denk mal an uns – so lautete seine Argumentation, doch ich erwiderte, gerade daran dächte ich.
Er fing immer wieder damit an. Immer wieder ein Grund zu Auseinandersetzungen!
Und Wolfgang wurde immer knarziger, böser und heftiger und fand dann kein Ende. Streit hat bei uns nie mit Sex geendet, wie vermutlich bei vielen anderen Paaren, sondern eher damit, dass ich mich auf die andere Seite drehte und still vor mich hin weinte. Ich sage heute – und das Gedächtnis verlässt einen ja immer weniger, je weiter die Dinge zurückliegen -, es ist nie passiert, dass er kam und kuscheln und mich trösten wollte in solchen Situationen. Ich habe geweint, und er hat womöglich gedacht: selber schuld!
Stets habe ich mich wieder genähert und versucht, nett und locker zu sein. Ja, er hat es hingenommen, er hat abgesahnt!
Wir waren beim Verkehr auch immer ganz leise, damit unser Vergnügen nicht auffiel. Natürlich muss man dazu sagen, dass die Wohnung klein war und das Kind ganz nah. Rücksicht war