Aber das ging immer von mir aus, nie von ihm. Unsere Geschlechtsorgane haben wir erstaunlich lange Zeit völlig außer Acht gelassen, was meine Mutter offensichtlich für unmöglich hielt. Ich bekam jedes Mal Krach, wenn ich später als vereinbart am Abend nach Hause kam. Wie gesagt, hockten Wolfgang und ich auf Parkbänken und sprachen über Gott und die Welt, das heißt über den Sozialismus und die Welt, wie Wolfgang sie sah. Wir blickten in die Sterne und beredeten die große Politik oder was auch immer, indem Wolfgang sprach und ich nickte.
Was den Sex angeht, so hat er ihn vermutlich als notwendiges Befruchtungszeremoniell gesehen, wenn man eine Familie haben möchte. Seine Wurzeln sind ja katholisch, aber auch als guter Sozialist, der er sein wollte, sah er Sex als notwendig, als zum Leben gehörig an, aber mehr war da für ihn wohl nicht. Anfangs in der Sportschule sah er sich zudem als Kader für den Leistungssport und wollte seinen Körper – wie von den Trainern strengstens empfohlen . nicht schwächen.
Er hat nie versucht, mich zu verführen, mich so gut wie nie vorbereitend gestreichelt. Er spielte immer den schweigsamen Helden. Dieses Schweigen habe ich anfangs als In-sich-ruhend beziehungsweise Mit-sich-im-Reinen-Sein interpretiert. Dabei ging es, wie ich später herausfand, von einer großen Unsicherheit aus. In seiner Fantasie lief er oft in merkwürdige Richtungen und ließ keinen daran teilnehmen.
Die Familie, vor allem meine Mutter, malte sich unterdessen aus, was wir Schlimmes taten. Der Großvater beharrte darauf, dass ich als Lehrerin arbeiten und alles andere bleiben lassen müsste, vor allem Männer und Kinder. Ich habe diese Vorhaltungen nicht an mich herankommen lassen, weil ich auf die schönen Gefühle nie im Leben hätte verzichten wollen. Zudem war ich der Meinung, dass ich selbst bestimmen kann, wie weit ich gehen will. Da wird keiner irgendetwas mit mir anstellen, das lasse ich nicht zu. Die Sorgen und Ängste der Mutter und des Großvaters gingen letztlich zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder heraus, vor allem weil sie viel zu oft wiederholt wurden.
Während des Studiums habe ich mir mein zukünftiges Leben völlig normal vorgestellt, Heirat mit Wolfgang, Kinder, ein oder zwei sollten sein, also alles ganz normal. Abwarten, und sehen, was kommt und wie es geht.
Als ich das erste Mal mit dem Zukünftigen zusammen war, damals im kalten Ostseesand, und er anscheinend nur enttäuscht und voller Sand war, innen und außen, da hatte es mir trotz aller Schwierigkeiten doch irgendwie Spaß gemacht. Zwar dachte ich: „Ach du liebes bisschen!“, aber wir lagen noch eine Weile beieinander, und ich fragte ihn, ob wir das alles nicht gleich noch einmal probieren wollten. Auch in den folgenden zehn oder vierzehn Tagen habe immer ich als treibende Kraft gesagt: „Ach, lass uns doch noch mal zusammen ins Bett gehen!“ Das hat ihn jedoch, glaube ich, eher befremdet als erfreut. Mit dieser Anforderung hatte er nicht gerechnet und hat sich nicht besonders toll dabei gefühlt. Offenbar konnte er die Zärtlichkeiten nicht richtig genießen. Ich bin sicher, dass ich dabei nie einen Orgasmus bekam. Das habe ich irgendwie auch gar nicht erwartet. Ich wünschte mir Körperkontakt und Sex. Vielleicht hat er sich gedacht, dass ich eine geile Ziege bin, doch er hat mir den Wunsch erfüllt.
Ich wollte gern wissen, ob der Verkehr nicht noch größeres Vergnügen machen könnte – und es wurde im Laufe der Zeit genussvoller für mich, zwar hatte ich keinen Orgasmus, aber es war zumindest sehr wohltuend. Wolfgang schien allerdings nicht gelöster zu werden. Vermutlich hat ihn das Kondom gestört. Aber ich erinnere mich nicht einmal genau, ob er es regelmäßig benutzt hat.
Nach dem Studium besuchte er mich, wenn die Armee auf ihn verzichten konnte, in der Kleinstadt, in der ich als Lehrerin zu arbeiten angefangen und ein möbliertes Zimmer bekommen hatte. Wir versuchten bei diesen seltenen Gelegenheiten, mit der Verhütung nach Gnaus-Ogino über die Runden zu kommen, wobei die Frau morgens beim Aufstehen ihre Temperatur misst, um die fruchtbaren Tage herauszufinden. Ich musste jedoch feststellen, dass bei mir sowohl die Periode unregelmäßig kam, als auch die Körpertemperatur machte, was sie wollte. Und die Pille gab es noch nicht!
Über Verhütung hatten wir die ganze Zeit sehr wenig gesprochen. Das war sowieso die Krux unserer Beziehung, dass wir mit langen Briefen und wunderbaren Liebeserklärungen kommunizierten und auch lange Gespräche führten, die sich jedoch selten um uns selbst drehten.
Als ich schließlich, nachdem ich ein halbes Jahr gearbeitet hatte, meiner Mutter in den Westen schrieb, ich sei schwanger, antwortete sie, bei einer so großen Liebe sei das kein Wunder. Das war eine tolle Antwort, der allerdings ein Familiendrama vorausgegangen war, denn meine Mutter wollte mit Torsten die DDR verlassen. Die Mauer war noch nicht gebaut, und die Flucht zwar ein organisatorischen, aber kein lebensgefährliches Problem. Das Problem war jedoch, dass ich mich weigerte mitzukommen, und als knapp 18-jährige bei Wolfgang in der DDR bleiben wollte. Was ich auch tat!
Wir haben im Dezember geheiratet. Seit Oktober/November wusste ich von meiner Schwangerschaft. Im Dezember wurde ich 19 Jahre alt, arbeitete aber schon als Lehrerin. Im Zimmer zur Untermiete, das ganze 14 Quadratmeter groß war, hatte ich meinen Hausstand eingerichtet – aus dem Besitz meiner Mutter, die alles in der DDR zurücklassen musste, was sie nicht in Koffer packen oder in den Westen schicken konnte. Und das war nicht viel, denn sie durfte ja den DDR-Behörden nicht auffallen. Das Zimmer war bis obenhin voll geräumt. Das Klavier hatte ich in der Schule abgestellt, weil es wirklich an keine Wand mehr passte. 14 Quadratmeter ohne fließendes Wasser, bei einer 80-jährigen Wirtin. Auf dem kleinen Ofen in der Ecke stand eine Elektroplatte. Entweder wurden Nudeln gekocht oder Tomatensauce!
Wolfgang habe ich von der Schwangerschaft erst etwas gesagt, nachdem der Arzt sie mir bestätigt hatte. Er hat gemeint, dass wir dann eben heiraten sollten. So schnell wie möglich. Ich sei ja schon in die Nähe seines künftigen Studienortes gezogen. So stehe einer Heirat nichts im Wege. Ich hatte von ihm verlangt, dass wir nur aufs Standesamt gehen und nicht im Kreis seiner ziemlich großen Familie heiraten. Das wollte ich vor allem deswegen nicht, weil meine Mutter und mein Bruder nicht dabei sein konnten, da sie die DDR illegal verlassen hatten. Ob ich gesagt habe, wir sollten wegen des Geldes und der Umstände nicht groß feiern, oder den Wunsch geäußert habe, mit ihm allein sein zu wollen, weiß ich nicht mehr.
Ich hatte die Formalitäten für die Heirat bewerkstelligt und eine Unterkunft in einem kleinen Gasthaus in der Nähe besorgt – als Hochzeitsreise quasi. Das Gasthaus war über die Weihnachtsfeiertage eigentlich geschlossen, aber die Wirtsleute sagten, da wir heiraten wollten, machten sie eine Ausnahme und wir durften als einzige Gäste bleiben und das bei ihnen essen, was sie sich über die Feiertage kochten.
Als wir vom Standesamt kamen, hatten sie in der Ecke am Kamin einen schönen Blumenstrauß hingestellt und gratulierten uns, und es war sehr nett so. Noch nie wären Jungvermählte bei ihnen gewesen, betonten sie. Dann rief meine Mutter an und gratulierte, Allerdings kam die Telefonverbindung erst nach Mitternacht zustande.
Wir waren ganz allein in dem Gasthaus, es war Schnee, und wir hatten Skier, und alles hätte traumhaft sein können, aber ich kriegte diesen Menschen, meinen Mann, nicht ins Bett. Ich kriegte ihn nicht zum Sex, die ganze Woche nicht! Er hat sich regelrecht verweigert. Den Grund dafür weiß ich bis heute nicht. Ob seine Kumpel bei der Armee schon zuvor wegen der Heirat gespottet hatten, er werde wahrscheinlich klapperdürr zu ihnen zurückkehren, weil er nicht aus dem Bett herauskäme, oder ob er mich sofort bremsen wollte, nicht zu viel zu erwarten, ich hatte damals keine Ahnung und auch bis heute nicht. Wenn es wegen der Schwangerschaft war, hätte er das doch wenigstens erklären können. Vielleicht hatte er auch nur verinnerlicht, dass zu viel Sex nicht gut sei.
Jedenfalls hat er versucht, so einen familiären Rhythmus einzuführen, also ganz früh aufzustehen, Frühsport, Frühstück, alles nach irgendwelchen Regeln, was weiß ich. Ich hatte gesagt, lass uns doch wieder ins Bett gehen, das ist doch so gemütlich. Aber er wollte partout nicht, und es war für mich sexuell wirklich enttäuschend. Er war eben ein Anfänger durch und durch, und ich weiß nicht, ob er begriffen hatte, dass man auch zärtlich miteinander schmusen kann, ohne dass es im Verkehr endet und man zum Orgasmus kommen muss. Zum Genießen war er offensichtlich zu verklemmt.
Wolfgang