Birgit lag auf ihrem Bett und las einen englischen Roman, als sie in ihr Zimmer schaute.
„Bist du schon zurück?“ fragte sie und setzte sich auf. „Ich habe erst viel später mit dir gerechnet.“
„Lust auf ein Stück Kuchen?“ fragte Steffi anstelle einer Antwort. „Wir können noch gemeinsam Kaffee trinken, ehe ich zu Babs fahre.“
„Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich kann gut eine Pause gebrauchen.“
Während Steffi in ihrem Zimmer den Tisch deckte, Schnellkaffee bereitstellte und den Kuchen aufschnitt, las Birgit ihr Kapitel zu Ende und kam dann gutgelaunt herüber.
„Na, wie war dein Besuch?“ fragte sie und griff gierig nach einem Stück Kuchen. „Vor lauter Büffeln bin ich noch gar nicht zum Essen gekommen. Mmh, die Backkünste deiner Mutter sind einfach genial.“
„Tja, auf den Kuchen werden wir jetzt öfter verzichten müssen“, lachte Steffi, dann erzählte sie kurz von dem, was sie zu Hause erlebt hatte.
„Deine Mutter ist doch immer wieder für eine Überraschung gut“, meinte Birgit. „Aber was ist der Kuchen gegen deine Freiheit?“
Steffi schluckte. „Ich habe noch etwas auf dem Herzen. Es geht um Volker.“
„Ja? Was ist mit ihm, außer dass er über beide Ohren in dich verliebt ist?“
„Nun, er hat gefragt, ob aus uns was werden kann.“
„Und was hast du ihm geantwortet?“
„Dass ich noch ein bisschen Zeit brauche. Weißt du, ich mag ihn wirklich gerne, aber ich …“
„Du bist dir nicht sicher? Mensch, Steffi, wenn du das nicht ausprobierst, wirst du die Sicherheit nie kriegen! Volker ist so ein netter Kerl, ich glaube, er passt gut zu dir.“
„Meinst du wirklich?“
„Natürlich, sonst würde ich es doch nicht sagen! Was hast du denn für Zweifel?“
Steffi zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht ist es die Angst, dass unsere Freundschaft darunter leidet.“
Birgit fing laut an zu lachen. „Was soll das denn? Hat unsere Freundschaft etwa unter meiner Beziehung zu Peter gelitten? Also eines kann ich dir sagen: Wenn ich einen tollen Typen kennen lerne, werde ich mich auf ihn einlassen, ohne um unsere Freundschaft zu bangen. Nur ist im Moment keiner in Sicht, der mich ernsthaft interessiert.“
„Du hast gut reden“, dachte Steffi, „Dir laufen ja eh fast alle hinterher.“
Aber den Gedanken behielt sie für sich. Stattdessen schaute sie auf die Uhr.
„Ich muss los. Konrad und Babs warten auf mich.“
Birgit erhob sich und nahm sie freundschaftlich in den Arm. „Also weg mit dir. Wir können heute Abend noch ein bisschen quatschen, wenn dir danach ist. Jetzt will ich auch noch die Zeit nutzen, um mich auf mein morgiges Englisch-Seminar vorzubereiten.“
Im Nachhinein empfand Steffi den Rest des dritten Semesters als die beste Zeit ihres Lebens. Nachdem sie dank der Gespräche mit Birgit in Bezug auf Volker eine Entscheidung getroffen hatte, verlief alles sehr harmonisch und sie fühlte sich geradezu geborgen. Sie unternahmen nach wie vor viel innerhalb der Clique, manchmal gingen sie auch nur in Begleitung von Birgit in eine Disco, aber da diese sich sehr gut als Single amüsieren konnte, hatte Steffi ihr gegenüber nie ein ungutes Gefühl. Der einzige Unterschied zu vorher war, dass Volker anschließend öfter bei ihr übernachtete.
Ihre Eltern waren ebenfalls sehr angetan von ihm, als sie ihn vorstellte. Wochenendbesuche machte sie nur noch selten. Sie sprach sich immer mit Volker ab, wenn dieser auch nach Hause fuhr, und dann übernachteten sie jeweils bei der eigenen Familie, besuchten sich aber auch gegenseitig. Volker hatte noch drei jüngere Geschwister, was Steffi sehr genoss, war es doch ein ziemlicher Gegensatz zu ihrer Einkindfamilie.
An dieses Semester schloss sich ein vierwöchiges Praktikum an.
Birgit musste sich eine Schule in einem ländlichen Gebiet aussuchen, Steffi eine Realschule. Aus diesem Grunde war es klar, dass sie in unterschiedlichen Gebieten ihre ersten längeren Unterrichtserfahrungen machen würden.
„Kommst du nach deinem Praktikum nach Hause?“ fragte Steffi. „Wenn du Lust hast, können wir eine gemeinsame Kurzreise unternehmen.“
Birgit schüttelte den Kopf.
„Nach dem Zoff beim letzten Besuch habe ich wenig Lust, meinen Vater so bald wiederzusehen. Ich habe bei Wertkauf nachgefragt, ob ich einige Wochen in den Semesterferien einen Job an der Kasse kriegen kann und eine Zusage bekommen. Dann kann ich mir einiges dazuverdienen und mir eventuell noch einen Englandaufenthalt finanzieren.“
„Dann sehen wir uns ja ewig nicht mehr!“
„Ewig ist ganz schön übertrieben! Wenn das Sommersemester beginnt, sind wir alle wieder hier. Außerdem kannst du die Zeit mit Volker so richtig genießen.“
Darauf erwiderte Steffi nichts. Natürlich hatte Birgit Recht, aber für sie war eigentlich die Kombination mit Volker und Birgit ideal. Waren ihre Vorstellungen doch etwas zu egoistisch? Ganz gewiss musste Birgit ihren Weg gehen und konnte nicht immer Rücksicht auf ihre Belange nehmen, und ein Englandaufenthalt war in ihrem Falle unerlässlich, weil sie Englisch neben Sport als Schwerpunktsfach hatte.
An diesem Abend hatten sie sich mit einigen Kommilitonen in der Studiosusklause verabredet. Volker hatte einen Termin an seiner Fakultät, er würde nicht kommen. Da das Hauptthema das bevorstehende Praktikum sein würde, wäre es für ihn auch nicht sehr interessant gewesen.
Als sie eintraten, waren schon eine Menge Bekannte da. Babs saß an der Stirnseite des Tisches und sprühte nur so vor Lebenslust. Als Steffi sie sah, fiel ihr plötzlich wieder der Abend ein, als sie ihr das Herz ausgeschüttet hatte. Offensichtlich hatte sie sich von dem Thema Henno vollständig erholt.
„He!“ rief Petra plötzlich. „Am Samstag ist die Abschlussfete an der Technischen Uni. Hat jemand Lust dorthin zu gehen?“
„Warum nicht?“ meinte Birgit sofort. „Für mich ist das eine schöne Abwechslung nach einem Tag an der Kasse. Was meinst du, Steffi? Volker ist doch sicher auch mit dabei.“
Steffis Blick ruhte noch immer auf Babs, deren gute Laune plötzlich wie weggeblasen war.
„Gehst du mit?“ fragte sie statt einer Antwort.
Wie erwartet schüttelte Babs den Kopf. „Ich bin an diesem Wochenende gar nicht da“, antwortete sie nach einer kurzen Pause.
Natürlich fanden sich eine ganze Menge, die beschlossen, gemeinsam dieses Event zu besuchen. Aber Steffi hielt sich zurück. Irgendwie fühlte sie sich mit Babs solidarisch und
hätte es als Verrat empfunden zum Ball an Hennos Fakultät zu gehen und ihm dabei womöglich über den Weg zu laufen.
Als Babs sich dann nach relativ kurzer Zeit verabschiedete, folgte sie ihr.
„Möchtest du noch mit zu mir kommen? Ich muss nur noch schnell bezahlen.“
Babs nahm sie kurz in den Arm und drückte sie. „Ich weiß deine Freundschaft zu schätzen, Steffi, aber lass mal gut sein. Genieße den Abend noch ein bisschen. Mit der anderen Sache werde ich schon allein fertig.“
Steffi schaute ihr nach, als sie die Tür hinter sich schloss. Dann ging sie zurück zu den anderen. Aber so richtig Lust hatte sie jetzt nicht mehr auf die munteren Gespräche und Freizeitplanungen fürs Wochenende. Deshalb machte sie nach kurzer Zeit auch Anstalten zu gehen. Birgit schaute sie verwundert an.
„Kannst du nicht noch kurz warten? Wir können doch zusammen gehen.“
Bald darauf verließen sie gemeinsam die Studiosusklause.
„Was ist denn los?“ wollte Birgit