„Dann – auf Wiedersehen, Frau Berber. Wir hoffen bald von Ihnen zu hören.“
Sie verließen das Haus und schauten sich müde an.
„Scheiß-Job!“ brummte der ältere Mann, als sie zurück zum Streifenwagen gingen.
Steffi lief mechanisch die Treppe hoch in das Kinderzimmer, wo die dreijährige Tina fiebernd im Bettchen lag. Sie strich ihr über die heiße Stirn und gab ihr etwas zu trinken. Erschöpft
schloss die Kleine wieder die Augen. Steffi wartete noch eine Weile, bis sie sicher war, dass Tina sich beruhigt hatte. Dann holte sie das Telefon.
Mit zitternden Fingern tippte sie eine Nummer, die sie zwar schon eine ganze Weile im Kopf hatte, aber bisher nie gewagt hatte zu wählen.
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Birgit Werstner wollte gerade die Wohnung verlassen, als das Telefon läutete. Kurz spielte sie mit dem Gedanken einfach zu gehen, doch ein innerer Impuls ließ sie noch einmal umkehren.
Mit einem unguten Gefühl nahm sie ab.
„Ja?“ meldete sie sich unwirsch.
„Birgit?“
Die Stimme war zögerlich, unsicher. Birgit erkannte sie trotzdem.
„Steffi?“ fragte sie vorsichtig.
Die nächsten Worte ließen sie erstarren.
„Henno ist tot.“
„Was ist passiert?“ presste sie schließlich heiser heraus.
Ein trockenes Schluchzen war die Antwort. Endlich kamen undeutlich die Worte:
„Birgit, es tut mir alles so leid. Das wollte ich dir schon so lange sagen. Aber jetzt ist es zu spät!“
Birgit schluckte einmal kurz, dann sagte sie barsch:
„Es ist nie zu spät. Du wohnst noch im Lerchenweg?“
Nach dem zaghaften „Ja“ vom anderen Ende der Leitung atmete sie tief durch.
„Okay. Ich habe jetzt noch einiges zu regeln, aber in etwa zwei Stunden kann ich bei dir sein. Dann können wir uns unterhalten.“
Rasch legte sie den Hörer auf und setzte sich erst einmal hin. So viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf, doch entschlossen stand sie wieder auf.
Es war Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen und sich an eine alte Freundschaft zu erinnern!
Kapitel 2
- Oktober 1978 –
Die Koffer waren schwer – aber selten vorher hatten Steffi Beck und Birgit Werstner eine Last so gerne getragen. In drei Tagen sollte das Studium an der Pädagogischen Hochschule beginnen. Nun waren sie dabei, ihre Studentenbuden zu beziehen. Sie hatten bei der Zimmersuche unglaubliches Glück gehabt und ihre Zimmer im gleichen Haus und auch noch nebeneinander ergattert. Sozusagen das große Los für zwei Freundinnen, die seit der fünften Klasse unzertrennlich waren!
Birgit war die größere der beiden, schlank mit langen blonden Haaren und großen braunen Augen ein echter Blickfang. Sie war kontaktfreudig, strahlte ein ungeheures Selbstvertrauen aus und kam oft auf die verrücktesten Ideen, die sie durchaus auch auszuführen bereit war. Steffi war deutlich kleiner und etwas pummelig. Da sie sehr feines braunes Haar hatte, trug sie dieses kurz geschnitten, obwohl sie immer von einer langen Mähne geträumt hatte.
Aufgewachsen als sehr behütetes Einzelkind hielt sie sich meist zurück, bis sie in einer Gesellschaft auftaute. Doch wurden ihre einfühlsame Art und ihre Fähigkeit zum Zuhören von vielen sehr geschätzt.
Es war wohl auch genau diese Gegensätzlichkeit, die die beiden verband. Steffi war der ruhende Pol, und Birgit mit ihrer spontanen Art sorgte dafür, dass sie sich nicht zu sehr hinter Büchern vergrub.
Für beide war es der erste Schritt weg von zu Hause in die Freiheit – und sie waren entschlossen, diese voll zu nutzen und zu genießen!
Die ersten zwei Semester vergingen wie im Flug. Die beiden hatten einen großen Bekanntenkreis und wohl auch zuweilen einige heiße Flirts, doch ein „Traummann“ war für beide bisher nicht dabei gewesen. Ihre Freundschaft vertiefte sich noch, es gab kein Thema, das sie nicht gemeinsam erörtern konnten, keine Probleme, die sie nicht gemeinsam lösten und keine Geheimnisse.
In den Semesterferien fuhren sie gewöhnlich nach Hause. Birgit jobbte regelmäßig, da sie von zu Hause aus nur wenig Unterstützung erhielt, während Steffi sich mit Lesestoff aller Art eindeckte und auch noch mit ihren Eltern verreiste. Für letzteres fand sie wenig Verständnis bei Birgit.
Aber eine Woche verreisten sie auch gemeinsam, einmal zum Skifahren in die Alpen und einmal zum Baden nach Rhodos.
Zu Beginn des nächsten Semesters packten sie Steffis kleinen Polo, den ihre Eltern ihr zum 21. Geburtstag geschenkt hatten, und fuhren gemeinsam zu „ihrer“ Universitätsstadt. Birgit räkelte sich auf dem Beifahrersitz.
„Das ist schon sehr viel feudaler als mit dem Zug zu fahren und die ganzen Sachen zu schleppen“, meinte sie lachend. „Mir scheint, jetzt wird das Studentenleben richtig luxuriös.“
„Zumindest sind wir nicht mehr auf die Straßenbahn angewiesen, wenn wir nachts unterwegs sind“, fügte Steffi gutgelaunt hinzu.
„Ach ja, Nachtleben … Ich fürchte, ich muss auch ein bisschen mehr fürs Studium tun. Die haben mir einen Teil meines BAföGs gekürzt. Vielleicht jobbe ich samstags noch zusätzlich im Supermarkt. Die Arbeit an der Kasse wird ganz gut bezahlt.“
„Puh, das wird ja ganz schön hart für dich. Ich muss wohl echt dankbar sein, dass meine Eltern so großzügig sind.“
Birgit zuckte gleichmütig die Schultern.
„Dafür wollen sie dich auch regelmäßig im Kreise der Familie sehen. Ich bin schon ganz zufrieden damit, wie es bei mir läuft. Wir werden in jedem Fall viel Spaß haben.“
Steffi schwieg, denn da hatte Birgit einen wunden Punkt getroffen. Tatsächlich erwarteten ihre Eltern mindestens 14-tägig einen Besuch am Wochenende und bisher hatte sie noch nicht gewagt dagegen aufzumucken.
Birgit tat ihre Bemerkung schon wieder leid. Sie tätschelte den Arm der Freundin.
„Aber mach dir nichts draus. Wenn wir etwas Schönes unternehmen wollen, werden wir deine Eltern in diesem Semester entsprechend bearbeiten. Sie müssen irgendwann ja schon kapieren, dass du volljährig bist und eigene Interessen hast. Und die Semesterarbeiten fordern ja auch einen gewaltigen Arbeitsaufwand, den du zu Hause nicht leisten kannst.“
Inzwischen näherten sie sich ihrer Ausfahrt. Steffi konzentrierte sich verbissen aufs Ausfädeln und war froh, dass sie jetzt nicht antworten konnte. Auch Birgit äußerte sich nicht weiter zu dem Thema, da sie wusste, dass Steffi sich beim Fahren in der Großstadt noch nicht so sicher fühlte.
Zwanzig Minuten später hatten sie ihr Wohnhaus erreicht. In dem dreistöckigen Gebäude wohnten unten die Vermieter, die übrigen Räumlichkeiten, sechs Zimmer mit zwei Duschen,
waren an Studenten unterschiedlicher Fakultäten vermietet. Vor dem Haus war der Parkraum ziemlich begrenzt, aber Steffi hatte Glück und fand einen Platz, der nicht weit vom Eingang entfernt war.
Nachdem sie ihr Gepäck versorgt hatten, machten sie sich erst einmal auf den Weg zum beliebtesten Treffpunkt der Studenten, einer netten Kneipe mit dem treffenden Namen „Studiosusklause“. Hier hatten sich schon einige ihrer Kommilitonen versammelt. Nach einer herzlichen Begrüßung setzten sie sich zu den anderen und bestellten sich etwas zum Trinken.
„Habt ihr das mitgekriegt, dass einige nach der zweiten Dienstprüfung wieder nicht in den Schuldienst übernommen wurden?“ fragte Petra Müller, die mit Birgit