Zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Hans Müncheberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Müncheberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847689867
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um einen Tisch, der fast die ganze Breite des Raumes benötigte. Einen Herd gab es nicht, nur eine elektrische Kochplatte und einen Wasserkocher, aber für die wenigen wirklich sommerlichen Wochenenden wurde das seit je als ausreichend empfunden.

      Auch wenn am Tage ausgiebig gebadet worden war, musste vor dem Zubettgehen eine gründliche Reinigung erfolgen. So waren es Helga und ihre Familie gewöhnt. In der Sommerwohnung wurde dafür stets eine große Schüssel mit handwarmem Wasser auf einen Hocker gestellt und eine Badematte davor gelegt. So erklärte sie es auch ihrem kleinen Gast, der sich, wie Malte, nun völlig zu entkleiden hatte. Thorsten legte seine Kleidung ordentlich auf den Stuhl, auf dem er zuvor gesessen hatte, während Malte alles wild durcheinander über eine Stuhllehne warf.

      Georg ärgerte sich erneut über die unbekümmerte Schlampigkeit Maltes und wies seinen Sohn auf die vorbildliche Ordnung bei Thorstens Kleidung hin. Für Malte war das Anlass zu einer nicht ernst gemeinten Schubserei. Thorsten wehrte sich und stieß Malte von Mal zu Mal kräftiger zurück.

      „Aufhören!“ rief Helga, doch Malte war verbissen in das Gerangel. Er wollte dem nächsten Stoß Thorstens ausweichen und taumelte derart ungeschickt zurück, dass er rückwärts gegen die Konsole stieß, auf der das Wasser im Kocher bereits zu sprudeln begonnen hatte. Der Kocher kippte nach vorn und das siedende Wasser ergoss sich über seinen nackten Rücken.

      Noch nie hatte man in der Sommeridylle so grelle Schmerzensschreie gehört.

      „Malte ...!!!“ Fassungsloses Entsetzen ließ Helga Stimme brüchig klingen. Sie beugte sich vor, um seinen verbrühten Rücken zu sehen, doch er wand sich vor Schmerzen. Sein Oberkörper schien sich aufzubäumen.

      Im ersten Moment war auch Georg vor Schreck wie erstarrt, dann rief er: „Gibt’s hier Verbandszeug?“

      Herr Neusche, der Besitzer des Grundstücks, eilte herbei. Als erfahrenes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr erfasste er, was geschehen war und rief Helga zu: „Ein nasses Handtuch auf den Rücken und sofort ins Krankenhaus!“ Nach einem Moment des Nachdenkens fügte er mit aller Entschiedenheit hinzu: „Ich fahre mit!“

      Georg rannte sofort zur Straße. Herr Neusche griff sich eines der bereitliegenden Tücher und drückte es in die auf dem Hocker stehende Schüssel. „Halten Sie den Jungen!“ rief er Helga zu und legte das Tuch auf den grellroten Rücken des Kindes. Der ließ sich auf die Arme seiner Mutter sinken. Seine Schreie gingen in ein hilfloses Schluchzen über.

      Herr Neusche bat seine herbeigeeilte Frau, sich um den stumm und verängstigt dastehenden Thorsten zu kümmern, dann folgte er Helga, die bereits, den nackten Malte auf ihren Unterarmen, hinauf zur Straße lief.

      Georg hatte schon die Türen des Autos aufgerissen. Er nahm Helga behutsam den Jungen ab, ließ sie im Fond einsteigen und reichte ihr dann das aufstöhnende Kind.

      Herr Neusche setzte sich auf den Beifahrersitz und riet Georg: „Am besten: Scheinwerfer an und volle Pulle!“

      Mit höchstmöglicher Geschwindigkeit, voll aufgeblendeten Scheinwerfern und wiederholten Hupsignalen rasten sie auf der langen Chaussee nach Grünau. Herr Neusche dirigierte sie über Spindlersfeld nach Köpenick und wusste als Mitglied der Feuerwehr auch, wo bei dem Krankenhaus die Auffahrt zur Notaufnahme lag.

      Malte weinte und schrie immer wieder vor Schmerz. Helga strich ihm über den Kopf und sucht nach Worten, die sie dem Jungen sagen konnte. Ihr war, als ob sie ersticken müsste. Ihr Herz raste, tat ihr weh, mühsam gelang es ihr endlich, gegen den lastenden Druck auf ihrer Brust etwas Atem zu schöpfen. Im Innersten fühlte sie sich schuldig. Sie war doch unendlich leichtsinnig gewesen, seit Langem schon, den Wasserkocher ungesichert auf der Konsole stehen zu lassen.

      Kurz bevor sie das Krankenhaus erreichten, hörte sie Malte aufschluchzend fragen: „Muss ich jetzt sterben?“

      „Aber nein!“ Es schrie aus Helga in tiefstem Erschrecken. Es durfte nicht sein, dass sie erneut ein Kind verlor! Was hatte sie auf sich genommen, um mit Malte und Georg endlich in einer glücklichen Familie zu leben. Wenn Malte dieses Unglück nicht überleben würde, wäre ihr eigenes Leben sinnlos geworden. Nein, nein, es durfte nicht sein!

      Vor der Notaufnahme wurden sie bereits erwartet. Frau Neusche hatte das Krankenhaus informiert. Ein kräftiger Pfleger hob Malte von Helgas Schoß und bettete ihn bäuchlings auf eine fahrbare Liege.

      Ein Arzt kam hinzu, begrüßte Herrn Neusche mit einem knappen Kopfnicken und ordnete an: „Gleich in den OP!“ und zu Helga, die sich aus dem Auto quälte: „Wie ist es geschehen?“ Er lief mit ihr eilig dem immer wieder aufschreienden Kind hinterher, hörte konzentriert zu, fragte dann knapp nach dem Alter Maltes und eventuellen allergischen und anderen Unverträglichkeiten. Abschließend erklärte er ihr und dem ihnen hinterhergeeilten Georg: „Sie dürfen hier warten!“

      Wie betäubt abwartend blieben beide vor der Tür zum Operationsbereich stehen. Georg zog Helga an sich.

      „Das Auto muss jetzt aber von der Auffahrt weg!“ Eine Krankenschwester von der Aufnahme kam heran. „Und außerdem brauchen wir einige Angaben von Ihnen.“

      Georg nickte, löste sich mit einer liebevollen Geste aus der Umarmung. „Bin gleich wieder da.“ Er eilte ins Freie.

      Helga folgte der Krankenschwester, die ihr bedeutete, vom Gang aus vor ein Schiebefenster zu treten. Sie konnte ihren Sozialversicherungsausweis nicht vorweisen. Sie bat um etwas Geduld. „Mein Mann hat bestimmt seine Papiere bei sich.“

      Es stimmte. Georg konnte alle gewünschten Daten nennen. Dann blieb auch ihm nichts weiter übrig als Geduld zu haben.

      Nach einer Zeitspanne, die Helga unendlich lang erschienen war, kam der Oberarzt zu ihnen. „Ihr Junge hat Verbrühungen zweiten und dritten Grades. Wir haben unter Narkose die zerstörten Hautpartien abgetragen, um die tieferen Schichten mit einem Panthenol-Schaum erreichen zu können. Natürlich wird er stationär aufgenommen.“

      „Ich möchte bei ihm bleiben, bis er aus der Narkose erwacht“, bat Helga.

      „Ihr Sohn wird über Nacht auf unserer Wachstation bleiben, da darf nur unser Fachpersonal hinein. Und außerdem, Frau Berger, wenn Sie mir die Anmerkung erlauben, wäre es auch für den Jungen besser, wenn Sie es ihm gleichtäten und die Nacht zum Sammeln neuer Kräfte nutzten.“

      Die Rückfahrt nach Schmöckwitz verlief erst in tiefem Schweigen, dann gelang es dem hilfsbereiten Herrn Neusche, die bedrückt schweigenden Eltern mit praktischen Fragen aus ihrer seelischen Schreckstarre zu lösen. Das Besuchskind könnte bis morgen bei ihnen im Vorderhaus bleiben. Sie hätten dann etwas Ruhe miteinander. Und ob der Junge den Sonntag über dableiben solle?

      „Nein!“ Georg entschied es spontan. „Ich bringe ihn wieder zurück, allein ... Helga“, mit einer fragenden Geste wandte er sich halb zu ihr um, „du wirst sicher im Krankenhaus bei Malte sein wollen.“

      „Aber ja.“ Mehr sagte sie nicht.

      Helga und Georg fanden lange keinen Schlaf. Auf ihnen lastete die Überzeugung, an dem Unglück schuld zu sein. Leichtfertigkeit, mangelnde Aufsicht, falsch organisierter Ablauf! Der verfluchte Wasserkocher, die Konsole, der enge Raum ...

      Helga weinte sich voller Verzweiflung in einen Erschöpfungsschlaf, Georg litt unversehens unter Atemnot, schlich hinaus, ging ans Ufer und setzte sich auf den wulstigen Rand des Schlauchbootes. Was hatten sie hier am Nachmittag mit den Knaben geübt, wollten sicher sein, dass nichts Arges passiert. Da hatten sie an mögliche Gefahren gedacht. Warum am Abend nicht? Er fand keine Antwort.

      Am Sonntagmorgen ging Georg zu Neusches, um Thorsten abzuholen.

      „Wo is’n der Junge?“ fragte Thorsten noch halb verschlafen. Er hatte das Ausmaß des abendlichen Unglücks nicht begriffen, konnte es auch nicht erfassen.

      „Malte muss leider im Krankenhaus bleiben. Noch lange. Und dich bring ich jetzt zu Frau Schultes zurück.“

      Erschrocken rief er: „Schooon?“ Er war nicht bereit, mit in die Sommerwohnung zu gehen, um seine Sachen in den kleinen Rucksack zu packen. Bockig