Malte war gleichfalls ausgestiegen. Er lief zu Georg: „Ich auch!“
Der fand den Wunsch berechtigt. Er hob Malte hoch, schleuderte ihn im Kreis umher. Dann stellte er ihn neben Thorsten auf den Gehweg. „So Ihr beiden. Schaut Euch an ...“ Da sie sich nur stumm anstarrten, schlug er vor: „Hallo, was meint ihr? Gehen wir zuerst ins Eiscafé?“
„Jaaa!“ rief Thorsten, griff nach Helgas Hand und zog sie in die ihm bereits bekannte Richtung.
Malte sagte nichts, nahm mit einem sich absichernden Impuls die Hand seines Vaters. Als Georg ihn fragend ansah, hob er mit einer vagen Geste die Schultern. Dann folgten sie den zügig Vorangehenden.
Im Eiscafé begannen nicht nur die farbigen Kugeln in den blanken Metallkelchen zu schmelzen. Die Jungen hatten sich nacheinander ihre Nascherei selbst auswählen dürfen. Am Tisch war es für die Knaben wichtig herauszufinden, was den Becher des jeweils anderen füllte.
Thorsten hatte sich für das ihm Bekannte entschieden, für Schokoladen-Eis, Malte jedoch für verschiedenfarbiges Frucht-Eis. Während Malte bereits eifrig löffelte, schaute Thorsten immer wieder auf die bunten Kugeln. Endlich raffte er sich zu der Frage auf: „Is’n det Jrüne?“
„Waldmeister“, antwortete Malte. Und da Thorsten wie hypnotisiert auf das Eis starrte, rang er sich zu dem Angebot durch: „Will’ste kosten?“
Heftiges Nicken war die Antwort.
Malte schob seinen Becher ein wenig in dessen Richtung. Sofort stieß Thorsten seinen langen Löffel in Maltes Becher, hob eine ansehnliche Portion grünes Eis heraus und schob es sich in den Mund.
Es dauerte, dann lautete sein Befund: „Hm ... schmeckt ooch jut, det Jrüne, det ... Walmster.“
Malte lachte laut auf: „Walmster!!! – Waldmeister ... der Meister im Walde!“
Nun lachte auch Thorsten: „Meist im Walde.“
„Da habt ihr beide Recht!“ rief Helga und strich ihnen über den Schopf.
Die Jungen hatten ihre Eisbecher schneller geleert, als Helga und Georg ihre hohen Gläser mit Eiskaffee. Weil Malte schon unruhig auf seinem Stuhl umherrutschte, während Thorsten noch dabei war, die letzten Reste aus der Tiefe des Bechers zu kratzen, fragte Helga: „Was machen wir jetzt?“
„Uffräum!“ meinte Thorsten, stieg vom Stuhl, nahm beide Eisbecher und lief zu der Glasplatte, auf der bereits benutztes Geschirr stand.
Überrascht sah Georg seine Frau an. „Das ist doch was.“
Auch Malte hatte bei der Einfahrt in den Ort das Jagdflugzeug auf seinem Sockel entdeckt. Nun zog es ihn in den kleinen Park und er zog seinen Vater mit sich. Helga und Thorsten blieb nichts übrig, als ihnen zu folgen.
Der ausgemusterte Düsenjäger löste bei Malte eine Kette von Fragen aus. Bald versuchte auch Thorsten, es ihm gleich zu tun und auf bestimmte Teile des Flugzeugs zu zeigen. Dabei stießen sie einander an, musterten sich erst kritisch, mussten dann aber lachen.
Später bewarfen sie sich unter den alten Kiefern mit Kienäpfeln, rannten umher und probierten, wer am weitesten springen konnte. Georg musste Schiedsrichter spielen und mit einem Stock die erreichten Weiten markieren. Helga setzte sich mit einem Gefühl tiefer Erleichterung auf eine Parkbank. Ja, so war es richtig. Die Jungen respektierten einander und konnten gelöst miteinander spielen. Bei gelungenen Sprüngen applaudierte sie den eifrigen Sportlern.
Auf dem Eingangspodest des Kinderheims wurden sie bereits von der Heimleiterin erwartet. Sie betrachtete mit sichtbarem Interesse den dicht neben seinem Vater stehenden Malte. Sich leicht zu ihm beugend, erkundigte sie sich: „Na, habt Ihr Euch gut vertragen?“
„Geht so.“ Er blickte zu Thorsten, aber der lehnte sich an Helga und beobachtete mit zusammengekniffenen Augen, was die Heimleiterin tat.
„Und, habt Ihr was zusammen unternommen?“
Malte antwortete entgegen seiner sonstigen Gewohnheit ungewöhnlich knapp: „Auch.“
„Na, Hauptsache, es hat Spaß gemacht.“
Malte sah seinen Vater an. Der zog ihn an sich.
Thorsten, noch Helgas Hand haltend, lehnte sich sofort enger an, sagte aber kein Wort. Erst als die Heimleiterin ihn ansah und ihn mit energischer Geste ins Haus schicken wollte, holte er tief Luft und fragte: „Kommta wieda?“
Als Helga nickte, wandte er sich Malte zu und sagte „Tschüs!“ Dann erst verschwand er in dem langen Gang, ohne sich noch einmal umzudrehen.
„Ich werde also entsprechend nach Berlin berichten,“ erklärte die Heimleiterin, wünschte knapp eine gute Heimfahrt und folgte dem Jungen ins Haus.
Schweigend gingen die drei Berliner zu ihrem Auto. Helga entschied sich spontan, mit Malte hinten einzusteigen. Georg verstand, jetzt ging es ihr um den Jüngsten, also setzte er sich ebenfalls auf die Rückbank. Nun hatten sie Malte zwischen sich – und warteten.
„Also?“ fragte Helga schließlich.
„Naja ..., könnte klappen ...“, lautete die Antwort.
Kapitel III.
Wenige Tage später erhielt die Familie Berger bereits ein amtliches Schreiben des Referats Jugendhilfe. Danach waren sie berechtigt, „das Kind Thorsten Jäger, geb. am 2.11.1970, am Wochenende und zu festgelegten Beurlaubungen im Haushalt zu haben.“
Die schnelle Genehmigung überraschte. Sie erinnerte Georg im ersten Augenblick an das Verhalten der Heimleiterin, eine dringliche Bitte der potenziellen Pflegeltern zu ignorieren. Helga gab ihm einen Kuss und meinte, es könnte auch ein Zeichen besonderen Zutrauens des Amtes in ihre dafür erforderliche Eignung sein. Beide waren sich hingegen noch nicht sicher, ob die wenigen Stunden in Bad Freienwalde ausreichten, um Thorsten über ein Wochenende nach Berlin zu holen.
Am nächsten Abend kündigte der Wetterdienst einige hochsommerliche Tage an. Malte fragte sofort, ob sie nach Schmöckwitz fahren könnten oder wieder nach Freienwalde fahren müssten. Als seine Eltern nicht gleich antworteten, schlug er plötzlich vor: „Oder beides, erst zu dem Heim und dann zusammen mit diesem Thorsten nach Schmöckwitz.“
Das entschied. Georg rief im Kinderheim an und bat, für Thorsten vorsorglich zusammenzupacken, was er für eine Übernachtung benötigen würde.
Alles schien hochsommerlich gestimmt, nicht nur das Wetter und der fröhlich schnatternde Malte, selbst der Zweitaktmotor des Wartburg schien den Tag zu genießen. Ungewohnt leise surrte er über die Chaussee.
Als der Wartburg vor dem Hilde-Coppi-Heim hielt, stand Thorsten bereits, mit einem kleinen Rucksack versehen, auf dem Podest vor der Eingangstür.
„Ich konnte ihn nicht länger zurückhalten“, erklärte Frau Schultes, die für ihn zuständige Betreuerin. „So sehr freut er sich!“
Auf der Rückfahrt hörten, die vorn sitzenden Erwachsenen, vor allem die Stimme ihres Sohnes, der seinem neuen Spielkameraden ausführlich erklärte, wo in Schmöckwitz die kleine Sommerwohnung liegt, wie man über eine hohe Brücke zu einem breiten Badestrand kommt, wo ein Schiff am Ufer eines großen Sees liegt und in Wirklichkeit ein tolles Restaurant ist.
Georg blickte hin und wieder zur Seite. Helga lächelte zufrieden. Mehr als einmal deutete sie mit einer Kopfbewegung auf die hinten sitzenden Knaben. Dann nickte er. Beide waren froh und einer Meinung.
Hinter Blumberg ging es auf die Autobahn. Die beiden Jungen hielten für einen Moment den Atem an, als Georg den Wagen auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit beschleunigte. Jedes Mal, wenn ein anderes Fahrzeug überholt wurde, jubelten sie. Erst, als sie bei Erkner das breite Betonband verließen, kehrte etwas Ruhe ein.
Zwischen Erkner und Neuzittau freuten sich Helga und Georg über den romantisch gewundenen Flusslauf der Spree. Malte nahm an ihrer Naturliebe nur mäßigen