Zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Hans Müncheberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Müncheberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847689867
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liegende Ufer weisend: „Da drüben, da wohnen wir heute ... und hier links, hier gehen wir baden!“

      Malte bestand darauf, auch auf dem lang gestreckten Wassergrundstück der Erklärer zu sein. Die Sommerwohnung, in einem schmalen Seitengebäude, bestand aus drei Räumen, vorn eine Wohnküche, anschließend zwei Zimmer, das hintere war jetzt für die Jungen bestimmt, das vordere für die Eltern.

      In der Mitte des lang gestreckten Grundstücks führte ein schmaler Weg hinab zum Ufer. Dort konnte man am Ende eines hölzernen Stegs eine kurze Leiter erreichen, die den Abstieg, in hier sogleich tieferes Wasser, ermöglichte. Weil Malte nur wenig, Thorsten aber gar nicht schwimmen konnte, wurden die Jungen mit allem Nachdruck verpflichtet, nicht allein zum Ufer zu laufen. Den anderen Sommergästen und dem Besitzer des an der Straße gelegenen Wohnhauses stellten Bergers den plötzlich schweigsam gewordenen Thorsten als Maltes Gast vor. Mehr schien vorerst nicht erforderlich.

      Um unvermeidlicher Neugier zu entgehen, liefen Helga und Georg mit den Jungen schon bald über die Straßenbrücke und suchten sich auf der Liegewiese oberhalb der Badestelle einen Platz, dicht am Ufer. Natürlich wollten die Burschen sofort ins Wasser. Georg folgte den übermütig schreienden Knaben und warf ihnen einen Ball zu. Malte erklärte seinen Vater zum Torwart und warf auf ein imaginäres Tor. Thorsten war sofort an seiner Seite. Beide zwangen den gutmütig mitspielenden Georg nun zu kühnen Sprüngen. Nach einer Weile erlahmte Maltes Interesse an diesem Spiel. Er gewährte Thorsten großmütig eine ausgeglichene Bilanz der erzielten Treffer und verkündete, nunmehr Hunger zu haben. Dem stimmte Thorsten sofort und lautstark zu.

      „Wer zuerst angezogen ist!“ rief Malte herausfordernd und hatte danach alle Mühe, mit dem offenbar darin geübten Thorsten gleichzuziehen. Helga und Georg rafften die Badesachen zusammen. Bis zur Brücke liefen sie gemeinsam, dann trug Vater Georg die Utensilien zurück in die Sommerwohnung, während Mutter Helga mit den Jungen weiter zum Ufer des Seddin-Sees ging.

      Das Schiffsrestaurant, vom Ufer aus durch eine gangwayähnliche Brücke zu erreichen, war Maltes liebstes Ausflugsziel. Er stürmte sofort hinauf.

      Thorsten zögerte einen Augenblick. Er glaubte, das Ufer verlassen zu müssen. Als Helga seine Unsicherheit erkannte und ihn fragend ansah, erklärte er: „Ick ... auf so ’nem Wackelding ...“ Er schüttelte den Kopf und griff nach ihrer Hand.

      „Schau mal nach da unten! Das Schiff schwimmt gar nicht mehr. Es liegt schon auf festem Grund.“ Sie musste Thorsten ein wenig näher an die Stegbrücke ziehen. Dann aber kam Malte auf die Gangway zurück und rief: „Da wird grade ein Tisch frei!“

      Nun ließ Thorsten Helgas Hand los und rannte zu dem heftig winkenden Malte.

      Es stimmte. Von dem Tisch aus hatten sie einen freien Blick auf den See mit seinem lebhaften Schiffsverkehr. Segel- und Motorboote, Ausflugsschiffe und sogar ein langer Schleppzug waren zu beobachten. Malte liebte diese freie Sicht seit dem ersten Besuch an Bord und fing auch sofort an, Thorsten auf alle Attraktionen aufmerksam zu machen. Sie saßen natürlich auf den Außenplätzen, doch dann wurde vor allem Thorsten abgelenkt, als eine Serviererin die Speisekarte auf den Tisch gelegt hatte.

      Helga las vor. Thorsten lauschte gespannt, was angeboten wurde. Er rief „Ja!“, als es hieß: „Spaghetti mit Tomatensoße?“

      „Für mich auch,“ erklärte Malte und ergänzte: „und ’ne Brause ... bitte!“

      „Die ooch!“ nickte Thorsten sofort.

      Für Helga gab es noch eine Rinderroulade, dem gerade eintreffenden Georg blieb nur übrig, sich ein reichliches Bauernfrühstück zu bestellen.

      Es stellte sich schnell heraus, wie gut es war, dass die vorsorgende Hausfrau immer ein Päckchen Papiertaschentücher bei sich trug. Die Tomatensoße hing oft an pendelnden Spaghettibündeln und wurde in einem beachtlichen Umkreis umhergeschleudert.

      Malte zeigte plötzlich auf sein emsig stopfendes Gegenüber, dessen Gesicht mit roter Soße verziert war. Grienend rief er: „Der sieht aus ...!“

      „Du ooch!“ entgegnete Thorsten.

      Helga lachte. „Ihr seht einander ähnlich.“ Sie reichte ein frisches Taschentuch über den Tisch, damit Georg seinem Sohn das Gesicht abwischen konnte, während sie sich um Thorsten bemühte.

      Um die Schlemmerei vollständig zu machen, durften sich die Knaben noch spezielle Eisbecher bestellen.

      „Ham Se ooch det Jrüne?“ fragte Thorsten, und als die Serviererin fragend in die Runde schaute, erklärte Malte: „Er meint Waldmeister.“

      Wieder auf dem Wassergrundstück mussten sich die Knaben im hinteren Zimmer auf den Campingbetten zur Mittagsruhe ausstrecken. Wenn sie es schafften, eine Stunde absolute Ruhe zu halten, so wurde ihnen versprochen, würde man mit ihnen nach dem Kaffeetrinken im Schlauchboot um die Halbinsel Altschmöckwitz herum paddeln. Thorsten versprach es sofort, wollte aber zuvor nochmals 'uffs Klo' gehen.

      Bergers mussten nicht lange warten, bis das Flüstern im Nebenzimmer verstummte. Vom Baden und der reichlichen Mahlzeit waren beide Jungen müde genug, um sich und den Erwachsenen etwas Ruhe zu gönnen.

      Helga und Georg gingen vor die Tür. Sie zogen eine erste Bilanz. Ihr Wagnis schien sich gelohnt zu haben. Thorsten erwies sich als ein etwas schlichter, aber doch anpassungsbereiter Bursche, in seiner Art allerdings recht egoistisch. Das mochte daran liegen, dass er ein Heimkind war. Enttäuschend fanden sie seinen engen Kreis des Wissens und seine offenbar auf alles materielle begrenzten Interessen. Auch sein Wortschatz ließ zu wünschen übrig. Das würde sie für den Fall der Fälle in der Zukunft vor große Aufgaben stellen.

      „Würde er ..., oder wird er?“ Helga sah ihren Mann forschend an. Aus einem mütterlichen Impuls heraus neigte sie dazu, diese Herausforderung anzunehmen.

      „Kann ich noch nicht sagen. Wir kennen ihn erst zwei halbe Tage.“

      „Na gut, noch haben wir ja Zeit.“ Ihr genügte es in diesem Moment, dass er sich einer solchen Aufgabe nicht von vornherein verschloss.

      Die Stunde war um. Im hinteren Zimmer wurde wieder geflüstert. Helga erlöste die Jungen und lief mit ihnen ans Ufer, wo Georg bereits ein großes, silberig glänzendes Schlauchboot von der Flanke eines Schuppens genommen hatte und es am Bootssteg ins Wasser setzte.

      Das Einsteigen in das Wassergefährt klappte ohne Probleme. Jeder Erwachsene hatte nun einen Jungen vor sich zu sitzen. Georg konnte nach dem Paddel greifen und das Schlauchboot vom Steg weg und näher an die Fahrrinne der Fahrgastschiffe lenken. Von den vorbeirauschenden Motorbooten kamen immer wieder hohe Wellen auf sie zu, die er, so gut es ging, durch Drehen des Bootes in die Längsachse zu parieren suchte. Manchmal schaukelte es so heftig, dass die Jungen in einer Mischung aus Furcht und Spaß laut aufschrieen. Erst als sie weit genug um die Halbinsel herum gefahren waren, konnten sie von den Bugwellen fremder Boote nicht mehr erreicht werden. Sie glitten gemächlich an Seerosen, Schilf und Binsen entlang.

      Malte kannte die gelben und die weißen Seerosen, er wusste auch, warum es die dicken Schilfkolben gab. Für Thorsten war alles neu. Als man Blesshühner, Wildenten und sogar Haubentaucher sehen konnte und ihn zuerst danach befragte, meinte er nur summarisch: „Det sind Viecher ...“

      Malte mochte vor allem die Haubentaucher, weil sie oft unvermittelt unter Wasser verschwanden und meist weit entfernt wieder auftauchten. Er war eifrig bemüht, sie als Erster zu entdecken. Thorsten ließ sich auf das Spiel ein, sein Interesse erlahmte jedoch schnell. Er wirkte plötzlich müde und ließ sich rückwärts an seine vertraute Beschützerin sinken.

      Georg nahm es als Zeichen, zügig zurückzufahren. Er lenkte das Schlauchboot möglichst dicht am Ufer der Halbinsel entlang, um hohen Wellen zu entgehen. Dabei kam ihm zugute, dass gerade ein Schleppdampfer mit mehreren Lastkähnen flussabwärts auf die Schmöckwitzer Brücke zusteuerte. Die sonst mit dröhnenden Motoren dahinjagenden Sportboote mussten nun ihre Geschwindigkeit drosseln.

      Die Zeit bis zum Abendbrot verging für Georg und die Jungen mit Vorlesen aus bunten Kinderbüchern. Helga bereitete schon die Betten für die Knaben