Nach einem Jahr Arbeit auf Rheinschiffen ging ich per Fahrrad auf die Walz und fand nach einer Rundfahrt durch den Norden Deutschlands eine Stelle als Tischler in Altenhagen I im Südhannoverschen. Nach einem Unfall wurde ich entlassen und diente danach vorübergehend Vater Staat als Kostgänger.
Seefahrt
Die kurze Zeit meiner Seefahrt vom 19.03.1952 bis zum 22.07.1952 reichte aus, um mich zum Altersrentner der Seekasse zu machen. Das kam so:
Eines Tages verspürte ich mal wieder Fernweh und sattelte meinen Drahtesel. Es sollte nach Bremen gehen, das ich noch nicht kannte. Die Stadt war schwer zerstört, aber schon wieder gut aufgeräumt. Ich suchte mir eine Unterkunft in der Jugendherberge, die damals auf dem Segelschulschiff DEUTSCHLAND im Europahafen untergebracht war. Ich sah, dass an Bord viele Leute rumwerkelten, einige auch in richtigen Matrosenanzügen, wie ich sie als kleiner Junge getragen hatte. Ich fragte dann Kapitän Hattendorf, ob er mich nicht auch als Schiffszimmermann gebrauchen könne. Er meinte dann, dass es wohl etwas zu hoch gegriffen sei, aber als Schiffsjunge könne ich anfangen. So ging ich zum Amtsarzt, machte die nötigen Untersuchungen durch und holte mir vom Seemannsamt mein Seefahrtbuch. Soweit ich mich erinnern kann, bekam ich neben Unterkunft und Verpflegung 50 DM im Monat. Die Verpflegung erhielten wir zusammen mit den Jugendherbergsgästen, mal mehr, mal weniger. Da mussten dann immer Tische und Bänke aufgestellt und wieder weggeräumt werden. Nachts wurde der Raum als Schlafsaal benutzt, wozu die Hängematten an der Decke befestigt wurden. Manchmal kamen auch größere Gruppen zu Gast, und auch wir Schiffsjungen erhielten Zuwachs, einmal vier Kadetten vom Norddeutschen Lloyd, die bei uns Seemannsbeine bekommen sollten.
Die Stammbesatzung bestand aus Kapitän Hattendorf, der aber zu Hause bei seiner Frau wohnte und an Bord den Salon und die Kapitänskajüte im Achterschiff hatte, alles in feinstem Mahagoniholz getäfelt. Außerdem gehörten zur Stammbesatzung noch der Segelmacher, ein Freiherr von Kieseritzky, der in seiner Jugend von seinem polnischen Gut getürmt war und schon viele Fahrten der DEUTSCHLAND mitgemacht hatte, die 1927 bei Blohm & Voss erbaut worden war. Da gab es noch den Maschinisten Gerdes aus der Braker Gegend, der für Technik und Elektrik zuständig war. Da das Schiff mit einem Elektroaggregat für 110-Volt-Spannung eingerichtet war, wir aber den Strom vom Elektrizitätswerk von Land mit 220-Volt-Spannung bekamen, musste man bei den elektrischen Geräten immer aufpassen, wenn umgeschaltet wurde. Außerdem war da noch der Bootsmann, der aus Cuxhaven stammte und die Köchin für die Jugendherberge, eine Kriegerwitwe mit ihrem Sohn. Sie alle wohnten im Achterschiff in den Offizierskammern.
Wir Jungen konnten jetzt in die sogenannten Unteroffizierskammern mit mehreren doppelstöckigen Kojen in einem Raum im Vorderschiff einziehen. Zu unserer Gruppe gehörten Pidder, der Maler, ein Hilfsarbeiter und die vier Kadetten vom Norddeutschen Lloyd. Neben mir gab es noch einen Tischler, Dietmar Wolff, der aber zu Hause in der Neustadt wohnte.
Wir hatten eine kleine Werkstatt mit Hobelbank und führten kleinere Holzreparaturen durch. Wir beiden Tischler haben uns gut verstanden. Dietmar hat später noch ein Studium aufgenommen und wurde Geschäftsführer der Handwerkskammer in Hoya und später in Wiesbaden.
Gelegentlich musste ich zusammen mit den Kadetten bei der Decksarbeit helfen. Da mussten wir mit Ziegelsteinen, sogenannten „Gesangbüchern“ – weil früher bei dieser Arbeit gesungen wurde - das Teakholzdeck scheuern. Später kam ein Linoleumbelag darauf und heute ist es durch ein völlig neues Teakholzdeck ersetzt. Wir wurden auch in die 30 m hohen Masten und in die Rahen gejagt, und ich lernte den Unterschied zwischen Wanten und Pardunen, sowie die Namen der Masten: Fock-, Groß- und Kreuzmast, denn die DEUTSCHLAND war ein Vollschiff ohne eigenen Besanmast. Auch Spleißen und Knoten machten mir Spaß. Aber das konnte ich ja alles schon von meiner Rheinschifffahrtszeit, obwohl die Seeleute etwas verächtlich von den Süßwassermatrosen sprechen. Ich wollte aber gerne richtig zur See fahren und andere Länder sehen.
Ich sprach mit Kapitän Hattendorf darüber, zu dem ich ein gutes Verhältnis hatte, das auch später noch viele Jahrzehnte anhielt, als er Werftkapitän bei Stülken in Hamburg war und ich im Rauhen Haus studierte und als er Geschäftsführer des Deutschen Schulschiffsvereins wurde und ich wenige Straßen weiter beim Diakonischen Werk in Bremen arbeitete. Der Kapitän versprach mir, dass er sich mal umhören wolle, denn es gab damals nur eine Handvoll deutscher Schiffe.
Nicht weit von uns entfernt lag die PAMIR, ein stolzer Viermaster. Ich hatte gehört, dass dort ein zweiter Schiffszimmermann gesucht werde. Aber als ich nachfragte, war die Stelle gerade zwei Stunden vorher besetzt worden und mein Traum zerplatzt. Später dachte ich manchmal daran, wozu es gut war, denn es war die letzte Fahrt der PAMIR und nur wenige der Besatzung haben überlebt.
Eines Tages rief mich Kapitän Hattendorf und sagte zu mir: „Seemann, ich habe ein Schiff für dich, du musst dich aber beeilen, die wollen bald auslaufen.“ Es war die „ANTON WILHELM“, ein fast neues Küstenmotorschiff mit 500 BRT und fünf Mann Besatzung im Vorschiff. Im Achterschiff wohnten der Eigner und Kapitän Wilhelm Boyksen sowie der Steuermann. Ich war mit 22 Jahren der „jüngste Moses“, da ich noch keine Fahrzeiten in meinem Seefahrtbuch hatte, obwohl ich älter war als die anderen Schiffsjungen und Matrosen. So wurde ich erst mal in die Kombüse geschickt und sollte für die Besatzung kochen. Der Steuermann hatte Buttermilchsuppe angeordnet, aber die zerrann und wollte nicht dick werden. Als er zur Kontrolle kam, hat er sie über Bord gegossen, und ich musste zusehen, wie er so etwas kochte.
Das Schiff wurde von einem Kran mit Paletten voller Kartons mit Becksbierdosen beladen, die für die belgischen Kolonien bestimmt waren. Die Ladearbeiten verrichteten die Schauerleute. Wir mussten nur aufpassen, dass keine Schäden am Schiff entstanden.
Mit ablaufendem Wasser ging die Fahrt weserabwärts und dann nach Antwerpen, wo die Fracht in große belgische Schiffe umgeladen wurde. Da pulsierte das Leben im Hafen. Leider bin ich aber nicht in die Stadt gekommen. Ganz in unserer Nähe lag das katholische Seemannsheim „Stella Maris“, wo man ein Bier trinken und auch nach Schallplattenmusik mit den Mädchen tanzen konnte. Leider wurde die nette Stimmung durch einen betrunkenen norwegischen Seemann gestört, der unbedingt eine Schlägerei anfangen wollte, als er hörte, dass wir deutsch sprachen. Es war schon spät geworden, und ich hatte mich im Hafen verlaufen. Da sah ich an der gegenüberliegenden Kaimauer unser Schiff liegen. Da ich nicht noch einmal das ganze Hafenbecken zurücklaufen wollte, zog ich mich aus, nahm meine Kleidung als Bündel über den Kopf und schwamm auf die andere Seite.
Leider war in Antwerpen keine Fracht zu bekommen, und so fuhren wir mit dem leeren Schiff nach Hamburg. Unterwegs gerieten wir in einen schweren Sturm mit Windstärke 10. Da hat sogar der Kapitän die Fische gefüttert. Ich musste dann hinterher alles aufwischen, obwohl mir selber hundeübel war. Ich bekam allerhand Ratschläge gegen die Seekrankheit, wie z. B. Brot mit Rum. Als wir die Elbe hochfuhren, sagte ich zum Kapitän, dass es wohl doch nicht der richtige Beruf für mich sei, wofür er auch Verständnis hatte. Die anderen Besatzungsmitglieder sagten etwas traurig zu mir: „Du hast wenigsten schon einen richtigen Beruf, in dem du an Land Arbeit findest, aber wir müssen auf Gedeih und Verderb durchhalten.“
Ich brachte meine Seekiste, die ich mir auf der DEUTSCHLAND gebaut hatte, mit meinem Werkzeug zum Güterbahnhof und fuhr mit dem Rad wieder in mein Zuhause nach Altenhagen I und meldete mich tags darauf wieder beim Arbeitsamt.
„Gott ist Sonne und Wind, doch das Steuern, dass ihr den Hafen gewinnt, ist euer!“
Als