Noch zwei Reisen hatten wir Kohlefeuerung, dann wurde auf Ölfeuerung umgebaut. Bubi Witt und einige andere wechselten, weil sie keine Ölheizer waren. Aber bis dahin sind wir sehr gut miteinander ausgekommen. Und ich habe viel von ihnen gelernt. Auch die zweite Prüfung, Kampftrinken in der Heizermesse, konnte ich damals noch erfolgreich überstehen. Als drohender Schnack mit hintergründigem Lachen blieb dann nur: „- oder wollen wir das Faustrecht proklamieren?“
Heute kann sich Keiner solchen Einstieg ins Seefahrerleben mehr vorstellen. Mein Handeln ist mir schwergefallen, aber es war zur Erlangung und Erhaltung der Autorität unter den gegebenen Umständen überlebenswichtig.
Klok sünd se all – plietsch mutt man sien
Der Dampfer BELLATRIX war jetzt umgebaut auf Ölfeuerung. Und damit kam in den Heizraum eine völlig neue Besatzung. Die ‚reinen’ Kohlenheizer und Trimmer (oder Kohlenzieher) mit ihren Eigenarten gingen, und es kamen Heizer mit, wie sie behaupteten, Ölerfahrung. Aber originelle Typen waren auch sie. Es gab unter ihnen nicht nur, wie bei den Kohleheizern auch, die ‚normalen’ – aber was ist bei den Seefahrern schon normal? – sondern auch die skurrilen. Der Heizerberuf war wohl zu allen Zeiten ein Auffangberuf für Menschen mit besonderen Eigenarten. Vielleicht waren die Kohlenheizer etwas gröber. Jedenfalls waren die Eigenarten der neuen Leute teilweise feiner. Ja, wer es nicht erlebt hat, wird den Unterschied auch nicht spüren. Ich werde deshalb weitere Begebenheiten schildern und die Eigenarten der Beteiligten zur Kennzeichnung der Originale, die sie waren, beschreiben.
In der Werft war noch reichlich Fluktuation. Nur der Oberheizer, der Donkeyman, Charly Voges, war von Anfang an dabei. Er war auch noch an Bord, als ich (einer der beiden Assis) mehr als ein Jahr später abmustern musste, um noch Motorerfahrung für den Schulbesuch zu sammeln. Charly Voges war ruhig, besonnen, etwas behäbig und ein zuverlässiger Donkeyman, also Nachtwachengänger im Hafen, denn auf diesem Schiff wurde zumindest einer der drei Kessel durchgängig betrieben, auch wenn kein Lade- und Löschbetrieb anstand. Er war früher schon auf diesem Schiff gefahren und hat mir viel über diese Zeit erzählt. Auch eine ganze Reihe Heizertricks habe ich von ihm erfahren. Und wenn ich etwas ausprobieren wollte, hat er mir geholfen. In meinen Augen war er gütig und ehrlich, kurz: Ich hätte ihn als Opa annehmen können. Auf See wechselte er in die 8/12-Wache, zu der auch ich bei dem neuen Chief, der auch schon früher auf diesem Schiff Dienst getan hatte, eingeteilt wurde. Die beiden kannten sich also.
Dann kam noch einer, dessen Name mir entfallen ist. Ein quirliger Typ, der mehrere Sprachen beherrschte, aber mit einem Schalkblick in eine dröhnige Handlungsweise mit zugehörigem Ostpreußendialekt fallen konnte. Wenn er etwas nicht tun wollte, oder wenn er Spaß haben wollte, dann stellte er sich dusselig und verfiel in diesen breiten Jargon: „Das ham wer auf de Prejeldampfer vun Allnstein nach Inschterburg alln nich jehabt. Wenn der Damp just war, war da een jriene Lamp, sonst een roode. Abbä hier“ – und mit traurigem Blick auf die Manometer – „de vielen Uhren. De eene schteht uff halb neine, de annere uff dreeviertel zwee. – Man weeß jar ooch nich.“ Er war ein Schlitzohr erster Klasse und konnte seine Unlust so herzerfrischend ostpreußisch vorführen, dass man ihm lachend nicht böse sein konnte. Wir nannten ihn ‚Antek’ oder ‚Erbarmung’ oder sonst wie passend. Aber sein richtiger Name will mir trotzdem nicht einfallen.
Der dritte im Bunde kam völlig ohne Gepäck an. Ein Kerl wie ein Baum mit Händen wie Ballastschaufeln oder Klosettdeckel. Seine Holzschuhe kennzeichneten ihn als ehemaligen Kohlenheizer. Aber der dunkle Anzug über der Athletenstaude machte ihn eher wie einen Bediensteten eines Beerdigungsinstituts aussehen. Sein Schweißtuch hatte er sich als Schmucktuch in die Brusttasche eingesteckt, und dahinter konnte man die Reste einer Zahnbürste erkennen. Er war offensichtlich völlig abgebrannt.
Ich stand gerade mit dem Chief vor der Kombüse an Deck, als er kam. Freundlich stellte er sich dem Chief vor und beantwortete alle Fragen nach dem Woher usw. ohne Umschweife, betonte aber, dass er keine schwere Arbeit (wie z.B. ‚Kurbel kloppen’) machen könne. Für seine Figur könne er nichts. Er sei gelernter Tapezierer, was vor allem wegen seiner Hände etwas verwunderlich war. Es dauerte denn auch nicht lange, bis es kleinlaut herauskam: Er war angelernter Landstraßentapezierer, also Straßenbauer oder Steinsetzer gewesen. Er war sehr ruhig in seinen Bewegungen, machte aber alle Arbeiten mit Verstand. Er war zu gebrauchen. Bei uns hieß er Heizer-Joe.
Warum schildere ich die Charaktere? Weil sie, oder einer von ihnen, eine raffinierte Idee hatten und sie umsetzten, ohne dass es sonst jemand merkte.
Bei dem Umbau auf Ölfeuerung wurden die Kohlenbunker ja nicht mehr benötigt. Und Öl nimmt auch noch weniger Platz bei gleicher Heizleistung ein. Wir erhielten zwei Deeptanks und zwei Hochtanks jeweils aus den Seitenbunkern. Das Sparedeck (fast alle sagen aber nur Sparrdeck) wurde frei, und es gab noch einen schmalen Hohlraum zwischen den beiden Hochtanks auf halber Höhe mit dem einzigen Einstieg vom Heizraum. In diesem, sagen wir Locker, fanden wir eine 8“-Rohrleitung von Tankwand zu Tankwand mit einem Schieber in der Mitte. In den Plänen war aber keine Verbindungsleitung vorgesehen. Da auch kein Pumpenanschluss vorhanden war, gab mir der Chief daher Order, vorsichtig den Schieber auszubauen, um zu sehen, ob die Leitung in den Hochtanks weitergeführt sei, oder ob die beiden Hochtanks nur einfach damit verbunden waren, denn dann könnte es eine Ausgleichs- oder Überlaufleitung sein.
Die Verblüffung war allerdings groß, als sich nach Ausbau des Schiebers auf beiden Seiten nur eine Holzscheibe vom Rohrdurchmesser am Band herausziehen ließ und die Tankwände unversehrt waren. Das ideale Schmuggelversteck! Aber es stand kein Name dabei.
So sind die Heizer. Klok sünd se all, aber plietsch mutt man sien!
Der Lebenslauf des Erzählers:
Gerd Peters (Baujahr 1934) ist nicht nur ‚gebürtiger’ Hamburger, sondern sogar ‚geborener’, d. h. auch seine Eltern erblickten schon in Hamburg das Licht der Welt. Er wuchs im Stadtteil Eimsbüttel auf, ging aber schon mit drei Jahren auf eigene Faust auf Entdeckungstouren. Zweisprachig - plattdeutsch und hochdeutsch - ging es in der Familie zu. „Inhaltlich gut, stilistisch stellenweise unmöglich“, stand meistens unter seinen Aufsätzen. Deshalb übt er auch heute noch in beiden Sprachen.
Verschiedene Gründe hinderten ihn daran, seinen ersten Berufswunsch (Gewerbelehrer im Chemiefach) zu verwirklichen. So begann er, obwohl der Berufseignungstest "völlig ungeeignet für technische Berufe" ergeben hatte, eine Maschinenschlosserlehre bei Barthels & Lüders auf Steinwärder (heute mit e), um Schiffsingenieur zu werden. Dieses war einer der wenigen Berufe, der es ermöglichte, das Studium selbst zu finanzieren.
Nach nicht ganz drei Jahren schloss er die Lehre in der Schiffsreparatur, Maschinenfabrik, Kupferschmiede, Kesselschmiede und Rohrleitungsbau mit gutem Ergebnis ab und fuhr als Assi bei der Orion zur See. Auf dem Dampfer BELLATRIX wäre er gern länger als 16 Monate geblieben, aber es fehlte für den Schulbesuch noch Motorfahrzeit. Zwischenfahrzeit auf MS BERLIN, Bauaufsicht und Garantiezeit auf MS CAROLA REITH schlossen sich an.
Da er für den Schulbesuch zwar die Bedingungen erfüllte, wegen des Ansturms aber nicht die nötige Punktzahl erreichte, erwarb er zunächst ein "Holzhackerpatent" (Kleinmaschinist C2D) und fuhr auf D HERMAM SAUBER (IV) als 3. und diensttuender 2. Maschinist.
Zwar nicht zugelassen und 14 Tage verspätet, durfte er sich mit selbstorganisiertem Stuhl als Achtunddreißigster in die C5d des späteren Schulleiters "Krischan" Thomsen (Moby Dick) setzen. Dies geschah in der Hoffnung, dass bis zur Versetzung nicht mehr