"Okay", sagt Aiden und schnauft, als würde er gleich einen Marathon laufen wollen, "Ich bin für Möglichkeit eins - wir rennen."
"Alles klar", stimme ich entschlossen zu und tue ebenfalls so, als würde ich mich für einen Marathon aufwärmen.
Aiden sieht einmal kurz nach links und rechts auf den Bürgersteig, "Bereit?"
Ich nicke.
"Los!", schreit Aiden und rennt nach rechts über den Bürgersteig.
Ich renne ihm so schnell wie möglich hinterher und wir laufen Slalom durch die Menschenmengen. Wieso musste Aiden nur so weit weg parken? Schon nach fünf Metern hab ich das Gefühl, dass ich klitschnass bin, kann aber mein Lächeln nicht unterdrücken. Ich fühle mich so unglaublich frei und unbeschwert, wie ich mit Aiden durch den Regen renne, vorbei an den schlecht gelaunten Leuten, die gerade Mittagspause haben oder zu Meetings müssen.
Wir sind die Sonne am Horizont und der Rest eine tiefe Gewitterwolke.
Kurze Augenblicke später kommen wir an Aidens Auto an und Aiden holt hastig seine Autoschlüssel aus der Hosentasche. Seine Haare sind total nass und kleben ihm in der Stirn. Er sieht unglaublich gut aus.
"Schneller!", schreie ich von der Beifahrerseite durch den Regen, während Aiden noch mit den Schlüsseln kämpft.
Dann macht es Klick und wir springen ins Auto. Schwer atmend lehne ich mich in dem Sitz zurück und Aiden legt seinen Kopf aufs Lenkrad.
Meine Klamotten kleben mir an der Haut und ich bin froh, dass ich ein schwarzes T-Shirt angezogen habe und kein weißes. Jedoch hat Aiden ein weißes T-Shirt an und ich könnte bestimmt seine Muskeln durch das Shirt sehen.
Sekundenlang hört man nur noch unser Atmen und das Prasseln des Regens an den Scheiben. Man kann durch die Scheiben überhaupt nichts mehr erkennen, denn der Regen ist viel zu stark.
Schnell ziehe ich mir mein Handy aus der Hosentasche und lege es auf die Ablage vor mir, damit es nicht durch die Nässe kaputt geht. Daran hätte ich eigentlich vorher denken sollen, denn es war viel zu gefährlich, einfach so durch den Regen zu rennen. Ich kann mir kein neues Handy leisten.
Halt die Klappe, Ravely! schimpfe ich mit meiner inneren Stimme und lache. Ich lache laut. Ich weiß nicht, wieso ich lache, aber ich lache so laut, dass ich nicht aufhören kann.
Aiden richtet sich auf und sieht mich an, als wäre ich gestört. "Wieso lachst du?", fragt er schmunzelnd und mit gerunzelter Stirn.
Ich beruhige mich und sehe ihn an. Ich kann definitiv seine Muskeln durch sein weißes T-Shirt sehen. Ich kann sogar ein paar weitere Tattoos erkennen, kann aber nicht entziffern, was es sein soll.
Als mir auffällt, wie offensichtlich ich seinen Körper anstarre, sehe ich ihm schnell in die Augen und zucke mit den Schultern, "Ich habe gelacht, weil... ich weiß nicht", gluckse ich, "Ich hab mich einfach danach gefühlt, denke ich."
Aiden sagt nichts, sondern sieht mich von oben bis unten schmunzelnd an. Er sieht extrem konzentriert und nachdenklich aus, denn er kaut innen auf seiner Lippe und tippt mit seinem Mittelfinger auf dem Lenkrad herum.
Ich sehe ihn erwartungsvoll an, "Was hast du denn?"
Aiden lehnt sich ausatmend in den Sitz zurück und lässt das Lenkrad los. Er reibt sich mit der Hand schon fast unruhig über die Stirn, "Es ist nur", sagt er leise mit seiner rauen Stimme, "Du bist so unglaublich schön und das macht mich verrückt."
Ich reiße erschrocken meine Augen auf und starre ihn mit offenem Mund an. Ich kann mich nur verhört haben. Oder?
"Oh Mann, Raven, du hast, glaube ich, echt keine Ahnung wie unfassbar anziehend du bist", murmelt er leise lachend und sieht auf seine Hände, die wieder das Lenkrad umgriffen haben.
Mein Puls beschleunigt sich auf mindestens 1000 und ich habe das Gefühl, dass ich gleich an einem Herzinfarkt krepieren werde. Mein inneres Ich will Aiden gerade durchs Gesicht lecken und ihm sagen, wie toll er ist, während die vernünftige Ravely gerade damit kämpft, Aiden nicht anmerken zu lassen, was gerade in mir vorgeht.
Aiden sieht mich jetzt wieder mit seinen grünen Augen an und lächelt leicht, "Wenn du wüsstest, wie gerne ich dich jetzt küssen würde", sagt er leise.
Ich lasse mir nicht mal Zeit diese Aussage auf mich wirken zu lassen, sondern flüstere: "Dann tu es."
Es vergeht keine weitere Sekunde, da spüre ich schon Aidens Lippen auf meinen. Ein Feuerwerk der Gefühle explodiert in mir und ich habe das Gefühl, dass meine Körperwärme innerhalb von Nanosekunden auf hundert Grad gestiegen ist.
Aiden umfasst mein Gesicht und küsst mich so zärtlich, dass ich fast schmelze. Unsere Lippen bewegen sich gleichmäßig und als ich Aidens Zunge spüre, vertieft sich der Kuss noch mehr.
Niemals in meinem Leben hätte ich mir ausmalen können, dass küssen so Etwas in einem Menschen auslösen kann. So viele Gefühle auf einmal und sie sind so undefinierbar. Ich hätte mir niemals einen besseren Moment für einen ersten Kuss vorstellen können.
Dieser Moment ist mindestens tausend Mal besser als die Hochzeit von August in 'Als wir unendlich waren' und auch besser als etliche andere erste Küsse in meinen ganzen Romanen. Es ist einfach besser und... realer.
Nach einer Weile lässt Aiden von meinen Lippen ab, hält aber meinen Kopf noch immer in seinen Händen. Ich spüre ganz klar, wie geschwollen meine Lippen sind. Am liebsten würde ich ihn noch für die nächsten Stunden küssen. Es soll niemals aufhören.
Sein Atem prallt auf meinen Mund und er sieht mir deutlich in die Augen. Seine Augen strahlen so viel aus, dass ich mich fast in ihnen verlieren könnte.
Das Geräusch des Regens macht die ganze Situation noch viel schöner, als sie sowieso schon ist und die Tatsache, dass wir beide klitschnass sind, macht es zu etwas Besonderem.
"Ich habe verdammte Angst davor dich zu wollen", sagt er leise und streichelt mit seinem Daumen über meine Unterlippe, "Aber hier bin ich und will dich trotzdem."
Ich lächle ihn breit an und entziehe mich langsam seinen Händen. Ich will es nicht zu weit treiben, will aber auch nicht, dass die Situation jetzt unangenehm für uns beide ist. Ich streiche mir die nassen Haare aus dem Gesicht und schnalle mich an.
"Willst du gehen?", fragt Aiden leicht bestürzt und sein Lächeln verschwindet.
"Mir wird langsam kalt, meine Klamotten triefen und der Regen wird langsamer weniger, also könnten wir eigentlich losfahren, oder?", erkläre ich und grinse ihn an.
Jetzt lächelt Aiden auch wieder und atmet auf. Er schnallt sich ebenfalls an und startet den Motor, "Ich dachte, du würdest es vielleicht bereuen", meint er unsicher und fährt aus der Parklücke raus.
Ich sehe ihn von der Seite an, "Nein, tue ich nicht."
Aiden grinst noch breiter, wodurch seine Grübchen herausstechen, "Gut, ich nämlich auch nicht."
Ich schaue wieder geradeaus auf die Straße.
"Aber wir sollten darüber - über eben - nicht nochmal reden", sagt Aiden konzentriert, "Reden und analysieren macht immer so vieles kaputt und das möchte ich nicht. Wir machen einfach weiter mit... was auch immer. Okay?"
Ich denke, dass Aiden Recht hat und glaube, dass er auf diesem Gebiet definitiv erfahrener ist, deshalb nicke ich einfach.
"Gut", seufzt er erleichtert.
Ich will gerade etwas sagen, muss aber dann plötzlich laut niesen. "Oh, nein", stöhne ich, "Ich merke jetzt schon, dass ich krank werde."
Aiden lacht leise, "Auf der Rückbank liegt eine Jacke von mir, die kannst du dir überziehen."
"Okay", sage ich und greife nach der Jacke. Sie riecht nach Aiden. Und Moschus. Und Jasmin. Ah. Ich ziehe sie mir über, ziehe meine Beine an meinen Körper heran und lehne mich an die Autotür,