"Aby, schrei nicht so", stöhne ich schmunzelnd.
"Also ja! Ich glaub es ja nicht. Kümmert er sich um dich, wie ein Edward es mit Bella gemacht hat, als sie krank war? Ich hoffe doch."
"Übertreib doch nicht gleich."
"Sorry", lacht sie, "Ich wollte einfach nur mal hören, wo du bist und wie es dir geht."
"Es geht mir den Umständen entsprechend." Ich schaue auf das Nachtschränkchen neben mir, um eventuell eine Uhr zu sehen, hier steht jedoch keine, aber der Tee sticht mir ins Auge. Ich habe noch kein Schluck davon genommen und mittlerweile ist er bestimmt schon kalt. Quälend richte ich mich auf und greife nach der Tasse - Jap, kalt.
"Dann lass dich mal verwöhnen. Wir sehen uns hoffentlich nochmal die nächsten zehn Jahre."
"Bestimmt. Mach's gut!"
Aby legt auf und ich trinke den Tee in einem Zug. Er schmeckt wirklich grausig. Irgendwie sehr bitter und gleichzeitig nach Minze und Ingwer. Ich schaue auf mein Handy. 16.38 PM. Ich habe tatsächlich fast vier Stunden geschlafen und Aiden hat mich nicht einmal aufgeweckt. Nachdem ich die Tasse wieder zurückgestellt habe, lasse ich den Blick durch das Zimmer schweifen. Ich habe mich noch gar nicht hiermit befasst, obwohl es extrem interessant aussieht. Es steht auch hier ein großes Regal mit Büchern und daneben ein Schreibtisch, von dem man perfekt nach draußen schauen kann. Ich stehe auf und gehe auf den Schreibtisch zu. Neben einem Computer steht eine alte Schreibmaschine in schwarz, sie sieht sehr alt und teuer aus. Ich lasse meine Finger über die alten Tasten der Maschine wandern und stelle mir vor, wie Aiden hier jeden Tag sitzt, aus dem Fenster sieht und schreibt. Bei dem Gedanken daran, was er wohl schreibt, suche ich den Schreibtisch nach möglichen Blättern ab, auf denen etwas stehen könnte, aber ich kann nichts finden. Vielleicht hat er ja alles vorher verstaut, damit ich auch ja nichts lesen kann. Hat Aiden Geheimnisse? Ich wette, dass Aiden viele Geheimnisse hat. Genauso wie das Geheimnis, dass er kranken Menschen vorliest und ihren Geschichten schreibt.
Ich gehe auf das Bücherregal zu und sehe viele Ausgaben von Jane Austen, Emily Bronte und auch Schiller. Kein Wunder, dass er damals bei der Lesung voraussagen konnte, was bei der geklauten Geschichte von Schiller passiert. Neben vielen Krimis und Dramen sind auch ein paar Romane. Ich sehe immer weiter und komme irgendwann bei "Als wir unendlich waren" an. Er hat das Buch auch? Ohne lange zu überlegen, ziehe ich es heraus und öffne es. Es sieht nicht so aus als wäre es jemals geöffnet worden. Es ist ganz neu und so riecht es auch. Vielleicht hat er es ja nur hier stehen, um sein Regal zu füllen. Hat er seine anderen Bücher also auch nicht gelesen? Ich ziehe einen anderen Roman heraus, stelle dann aber schnell fest, dass dieser Roman - ebenso wie alle anderen - sehr abgenutzt und gelesen aussehen. Einzig allein "Als wir unendlich waren" scheint ungelesen zu sein.
Ich stecke es wieder zurück und sehe mich weiter im Zimmer um. Neben seinem Fenster hängen ein paar Bilder. Es zeigt ihn, als er kleiner war - ungefähr fünf - mit einem Mädchen. Sie ist blond und grinst genau so breit wie Aiden. Ich nehme an, dass sie seine Schwester ist, es ist nicht zu übersehen. Daneben ist ein Bild von ihm mit ungefähr sechzehn Jahren mit einer älteren Frau, von der ich annehme, dass sie seine Mutter ist. Seine Schwester ist auch mit darauf. Im Großen und Ganzen sehen sie echt glücklich aus. Ich muss leicht grinsen, als ich mir Aiden als kleinen Jungen vorstelle, der Geschichten über Drachen und Prinzessinnen schreibt.
Schmunzelnd trotte ich wieder zum Bett und setze mich auf die Bettkante. Schlafen kann ich jetzt bestimmt nicht mehr, aber fit bin ich auch nicht. Ich beschließe, mir die Tasse zu greifen und runter zu Aiden zu gehen. Leise öffne ich die Tür und sofort kommt mir das Tageslicht entgegen. Aua. Ich will gerade die Treppe runter gehen, da höre ich Aidens Stimme.
"Ja - Nein - Bald, Mum." Er scheint zu telefonieren. Und irgendwie höre ich etwas Bedrückendes heraus.
Ich stehe weiterhin auf der Stufe und höre ihm zu, obwohl ich mich schlecht fühle, ihn zu belauschen.
"Ja, sage ich ihr - Ja."
Ich wüsste gerne, um was es geht. Gerade als ich beschließen will zu ihm runter zu gehen, sagt er: "Ja, ich schreibe noch. Mum, bitte, es ist nicht mehr so wie früher."
Was?
Ich reiße mich zusammen, gehe die letzten Schritte nach unten und laufe ins Wohnzimmer, wo er auf dem Couchende sitzt und sich gerade frustriert den Kopf hält. "Hi", krächze ich leise.
Aiden blickt erschrocken zu mir auf und sagt dann ins Telefon: "Mum, ich muss jetzt auflegen. Ich rufe dich morgen wieder an, okay? - Okay, bis dann. Ich liebe dich." Er legt auf und lächelt jetzt wieder. "Und? War es der beste Schlaf deines Lebens?"
Ich setze mich ebenfalls auf die Couch, aber mit genug Abstand, damit ich auch nicht aufdringlich wirke. Vor allem, weil ich immer noch nur seine Wäsche trage. "Ja", meine Stimme ist schrecklich.
"Wow, das hört sich nicht gesund an", sagt Aiden und sein Lächeln verschwindet.
Ich nicke nur, weil ich nicht mehr reden möchte. Jedes Wort brennt im Hals.
Aiden steht auf und nimmt mir die Tasse aus der Hand. "Ich mach dir noch einen Tee." Ich lächle ihm dankend zu. Er geht in die Küche und ruft noch: "Ich nehme an, dass der Tee viel zu scheußlich ist, um eine zweite Tasse zu trinken, oder?"
"Ja", hauche ich so laut wie es geht, aber so, dass es nicht weh tut.
Ich höre Aiden leise lachen. "Ist Kamille in Ordnung?" Ich will gerade wieder ein Wort herausquetschen, da fügt er noch hinzu: "Rede am besten nicht. Wenn Kamille in Ordnung ist, dann hau zwei Mal gegen die Wand und wenn nicht, dann ein Mal."
Ich muss breit grinsen und klopfe zweimal gegen die Wand.
"Verstanden!", ruft er und ich höre wie er den Wasserkocher anschaltet und ein Regal zuknallt.
Ich lege meine Beine auf die Couch, als mein Blick auf einem Bild an der Wand fällt. Es zeigt Aiden mit Tammy im Arm. Tammy grinst breit in die Kamera, während Aiden sie ganz fest an sich drückt. Sie sehen so glücklich aus und das macht alles nur trauriger.
Aiden kommt mit einer Tasse in der Hand aus der Küche zurück und stellt sie vor mich auf den kleinen Tisch. "Auf die Genesung."
Ich nicke und mache eine Bewegung, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich nicht reden möchte.
"Ach, du möchtest nicht reden?" Er setzt sich auf die Couch neben mich.
Ich nicke wieder und nehme einen Schluck von dem Tee. "MMHPF", mache ich, als ich mir volle Kanne die Zunge verbrenne.
"Pass auf", warnt Aiden und nimmt mir die Tasse ab, "Das Wasser ist doch noch frisch gekocht. Lass ihn am besten ein wenig stehen."
Ich seufze und nicke.
Aiden schaltet den Fernseher an und lehnt sich ebenfalls zurück. "Meine Klamotten stehen dir übrigens blendend."
Ich sehe an mir herab und merke jetzt erst, dass ich immer noch in Aidens Boxershorts und T-Shirt hier liege. Erschrocken reiße ich die Augen auf, halte mir die Hand vor den Mund und versuche mir ein Lachen zu verkneifen.
"Das muss dir nicht peinlich sein", grinst Aiden, "Ich bin's ja nur."
Ich lächle zurück und auf einmal wird mir unglaublich kalt. Ich bekomme am ganzen Körper Gänsehaut und ich schüttle mich kurz.
"Ist dir kalt?", fragt Aiden besorgt und lehnt sich nach vorne.
Ich nicke entschuldigend.
Aiden greift hinter die Couch und zieht eine Wolldecke hervor. "Hier", macht er und breitet die Decke über mir aus, "So sollte es gehen."
Ich kann mir ein fettes Grinsen nicht mehr verkneifen. Gerade ist er so unheimlich fürsorglich und nett, dass ich ihn am liebsten wieder sofort küssen würde. "Danke", versuche ich leise zu sagen.
Aiden setzt sich wieder neben mich. "Nichts zu danken, Raven."
Wenn ich hier so liege, überkommt mich wieder eine schwere Müdigkeit. Auf einmal fühle