Herr Neumann nickt anerkennend, trinkt sein Glas leer und geht wieder in die Sauna.
Na bitte, geht doch, denkt Hans zufrieden und plaudert munter drauflos: „Als ich so´ n kleiner Piefke war, na ja, ´n bisschen größer als du jetzt, da wollte ich unbedingt Pilot werden. Huiiiiiii.“ Er lässt den Bus „fliegen“. „Dafür hat´s zwar nicht ganz gereicht, aber immerhin zum Busfahrer. Brumm.“ Er schiebt den Bus auf dem Fußboden hin und her. Etwas leiser setzt er hinzu, als wolle er den kleinen Ray ins Vertrauen ziehen: „Ehrlich gesagt, ich bin noch nie geflogen. Besser so. Was man heute alles hört von wegen die Sicherheit. Es gibt sogar Idioten, die die Piloten bei Start und Landung mit solchen roten Strahlen blenden, mit Läsern, einfach so, nur aus Spaß.“
„Ist das nicht gefährlich?“, fragt Marie Wolnik.
„Spinner“, entgegnet Hans prompt. „Die haben eben keine Ahnung, was es bedeutet, Verantwortung für andere zu tragen. Ob in einem Flugzeug oder im Bus – die Passagiere müssen sich auf den Mann da vorn verlassen können. Aber denken Sie bloß nicht, dafür bekommen wir Dankbarkeit und Respekt, Frau Wolnik! Vergessen Sie´s! Was meinen Sie, was wir Busfahrer uns alles anhören müssen? Aber auf uns kann man ja raufhauen. Im Gegensatz zu denen….“ Mit einem Kopfnicken deutet er in Richtung Saunaraum, in dem Herr Neumann gerade verschwunden war.
Ray versucht, dem roten Bus Schwung zu geben, aber es gelingt ihm nicht. Also zeigt es ihm Hans noch mal und noch mal. Der Junge ist begeistert und folgt dem Bus auf allen Vieren: „Brumm, brumm.“
„Diese Doppeldeckerbusse seh´ ich mir nächste Woche mit eigene Augen an“, erzählt Hans freudig. Frau Wolnik, die gerade neues Duft-Öl in den Aufgusseimer tröpfelt, schaut interessiert auf. „Eine Reise nach London – hat mir meine Babsi zum 63. geschenkt, zusammen mit unserm Sohn und seiner Frau. Die ist Engländerin. Babsi will unbedingt mal ihre Familie kennenlernen. Na gut, habe ich mir gedacht, bis nach London sind´s ja nur zwei Stunden. Und wir fliegen Lufthansa, nicht mit so ´ner Billigmarke. Alle zusammen: mein Sohn und seine Frau, seine Tochter, die eine Zeitlang verschollen war, Babsi und ich. Wenn wir abstürzen, ist die ganze Familie Unger weg.“
„Da wird schon nichts passieren“, sagt Frau Wolnik und schaut auf die Uhr. „Herr Unger, es ist wieder so weit. Wollen sie mit rein? Ray spielt gerade so schön. Der wird gar nichts merken.“
„Wenn Sie meinen…“ Hans stemmt sich hoch, muss sich danach aber am Tisch festhalten, denn ihm ist schwindlig. Er hätte wohl langsamer aufstehen sollen.
„Alles in Ordnung, Herr Unger?“, fragt Frau Wolnik besorgt.
„Alles paletti“, behauptet er, strafft sich, zieht den Bademantel aus, stellt seine Badelatschen vor der Tür ab und betritt den Saunaraum, der inzwischen gut gefüllt ist. Die Luft ist verbraucht. Er steigt bis hinauf in die dritte Bankreihe.
Pscht – der Aufguss zischt.
„Pfeffi?“, fragt Benno Myszkowski, der Mann der Wirtin des „Ohnsorg-Ecks“, ebenfalls ein Stammgast.
Marie Wolnik nickt: „Fast. Minze.“ Als sie wieder draußen ist, sagt Benno: „Hans, stell dir vor: Ich hab ein neues Leben angefangen.“
Hans bleibt mit geschlossenen Augen liegen: „Etwa ´ne neue Freundin? Na, na, na, lass das nicht deine Charlotte hören.“
„Quatsch kein´ Blödsinn, Hans. Das virtuelle Leben! Ich habe mir einen PC gekauft. Eigentlich nur für die Abrechnungen von der Kneipe und so. Aber jetzt macht es mir richtig Spaß.“
“Babsi war sogar bei einem Lehrgang für Senioren.“ Hans klingt ein wenig stolz. „Jetzt jettet sie sogar im Internet.“
Herr Neumann, der auf der mittleren Bank sitzt und seine Ellenbogen auf seine Knie stützt, grinst kopfschüttelnd: „Sie jettet.“, und er korrigierte: „Sie chattet.“
Hans tut so, als habe er das nicht gehört.
„So weit bin ich noch lange nicht“, sagt Benno. “Mein Enkel bringt mir das meiste bei…“
„Emils schreibt sie auch schon, meine Babsi“, unterbricht ihn Hans.
„Emils, das ist gut.“ Nun schlägt sich Herr Neumann vor Vergnügen auf die Schenkel.
Hans schaut Benno fragend an. „Imehls“, erklärt er, „Ist Englisch. Wie alles am Computer, äh: Rechner.“
„Ihre Frau chattet tatsächlich?“ Immer noch lachend wendet sich Herr Neumann an Hans. „Wie alt ist sie denn?“
Das geht dich gar nichts an, du Schnösel, denkt Hans und schweigt stur.
Benno übernimmt nun das Gespräch mit Herrn Neumann: „Ich frage mich: Warum chattet man eigentlich mit einem Fremden?“
„Weil gerade diese Fremdheit, diese Distanz Vertrauen schafft.“
„Wissen Sie, was Sie dabei für eine Datenspur im Netz hinterlassen?“ Benno wiegt bedenklich den Kopf. „Da haben die Geheimdienste leichtes Spiel.“
„Ach, die haben Wichtigeres zu tun, als meine Chats zu verfolgen.“
„Aber wenn sie mal in Verdacht geraten – egal weshalb – und der Geheimdienst etwas über sie herausfinden will…“
„Und wenn“, sagt Herr Neumann, „dann erfahren die nicht viel von mir, was wahr ist.“
Das passt zu dir, denkt Hans, du Lügner und Aufschneider!
„Das Ganze ist ein Spiel“, erklärt Herr Neumann. „Zum Beispiel chatte ich seit Wochen mit einer Frau, die angibt, sie sei achtunddreißig. Dabei habe ich durch geschicktes Ausfragen längst herausgefunden, dass sie mindestens Anfang sechzig und bereits im Vorruhestand ist.“
Das ist sicherlich nur ein Zufall, denkt Hans und atmet aus. Pffft.
Benno fragt nach: „Echt? Eine Sechzigjährige chattet mit Ihnen und macht sich jünger? Ist sie verheiratet?“
Herr Neumann reißt die Arme hoch: „Ich will doch nichts von der. Die ist bestimmt so eine Ost-Omi mit Silberlöckchen. Die langweilt sich einfach zu Hause in ihrer Platte. Und ihr Alter langweilt sie noch mehr. Der muss ein richtiges Großmaul sein, so ein Angeber und Pantoffelheld. Dabei ist er ein Hasenfuß, der sogar Angst vorm Fliegen hat.“
Was hat denn das mit ´Hasenfuß´ zu tun? Hans ist drauf und dran, das zu fragen, verkneift es sich dann aber lieber. Warum ist es hier drin so heiß? Er kontrolliert das Thermometer: exakt 90 Grad, wie immer. Die Sanduhr zeigt noch drei bis vier Minuten an. Er versucht, das Schilds zu lesen: „Keinen Schweiß aufs Holz“, aber die Schrift verschwimmt.
„In ihrer Platte“, wiederholt er leise. Dann fragt er: „Wie heißt denn die Frau?“
„Die benutzen doch beim Chat nicht ihre richtigen Namen, sondern Nicknames“, erklärt ihm Benno. „Spitznamen.“
„Und welchen Nicknäm hat sie?“, haucht Hans, so dass man ihn kaum verstehen kann. Eigentlich will er die Antwort gar nicht hören. Er hört sowieso kaum noch etwas anderes als sein eigenes Blut durch seinen Kopf peitschen. Ein Rauschen und Pulsieren.
Als er sich auf die untere Bank setzt, witzelt Herr Neumann zunächst: „Aber, aber, Herr Feldwebel! Sie werden doch wohl nicht etwa aufgeben, vor der Zeit? Nur die Harten komm´ in´ Garten.“ Doch dann schaut er Hans genauer an und fragt besorgt: „Was ist denn mit Ihnen los? Sie haben