Deutsches Märchenbuch + Neues Deutsches Märchenbuch. Ludwig Bechstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783742772725
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es den Kindern den Weg zeigen wollte, und sie gingen

       dem Vöglein fröhlich nach. Mit einem Male

       sahen sie ein kleines Häuschen, auf dessen Dach das

       Vöglein flog; es pickte darauf, und wie die Kinder

       ganz nahe daran waren, konnten sie sich nicht genug

       freuen und wundern, denn das Häuschen bestand aus

       Brot, davon waren die Wände, das Dach war mit Eierkuchen

       gedeckt, und die Fenster waren von durchsichtigen

       Kandiszuckertafeln. Das war den Kindern

       recht, sie aßen vom Häusleindach und von einer zerbrochenen

       Fensterscheibe. Da ließ sich plötzlich drinnen

       eine Stimme vernehmen, die rief:

       »Knusper, knusper, kneischen!

       Wer knuspert mir am Häuschen?«

       Darauf antworteten die Kinder:

       »Der Wind, der Wind,

       Das himmlische Kind!«

       und aßen weiter, denn sie waren sehr hungrig gewesen,

       und schmeckte ihnen ganz vortrefflich.

       Da ging die Tür des Häusleins auf, und trat ein

       steinaltes, krummgebücktes, triefäugiges Mütterlein

       heraus von nicht geringer Häßlichkeit, Gesicht und

       Stirne voll Runzeln und in mitten eine große, große

       Nase. Hatte auch grasgrüne Augen. Die Kinder erschraken

       nicht wenig, die Alte aber tat ganz freundlich

       und sagte: »Ei, traute Kindlein, kommt doch herein

       ins Häuschen, kommt doch herein! Da gibt's noch

       viel bessern Kuchen!«

       Die Kinder folgten der Alten gerne, und drinnen

       trug die Alte auch auf, daß es eine Lust war. Da gab

       es Herz was magst du? Biskuit und Marzipan, Zucker

       und Milch, Äpfel und Nüsse, und köstlichen Kuchen.

       Und während die Kinder immerfort aßen und fröhlich

       waren, richtete die Alte zwei Bettchen zu von feinen

       Dunenkissen und lilienweißen Linnen, da hinein

       brachte sie die Kinder zur Ruhe, die meinten im Him-

       mel zu sein, beteten einen frommen Abendsegen und

       entschliefen alsbald.

       Es hatte aber mit der Alten ein gar schlimmes Bewenden.

       Sie war eine böse und garstige Hexe, welche

       die Kinder fraß, die sie durch ihr Brot- und Kuchenhäuslein

       anlockte, nachdem sie sie erst recht fett gefüttert.

       Dies hatte sie auch mit Hänsel und Gretel im

       Sinne. In aller Frühe stand die Alte schon vor dem

       Bette der noch süß schlafenden Kinder, freute sich

       über ihren Fang, riß Hänsel aus dem Bette, und trug

       ihn nach dem eng vergitterten Gänsestall, verstopfte

       ihm auch, damit er nicht schreie, den Mund. Dann

       weckte sie die arme Gretel mit Heftigkeit und schrie

       sie mit rauher Stimme an: »Steh auf, faule Dirne!

       Dein Bruder steckt im Stall, wir müssen ihm ein gutes

       Essen kochen, auf daß er fett wird, und für mich einen

       guten Braten gibt!«

       Da erschrak die Gretel zum Tode, weinte und

       schrie, half aber nichts, sie mußte gehorchen und aufstehn,

       Essen kochen helfen, und durfte es selbst nach

       dem Stalle tragen, und mit ihrem eingesperrten Bruder

       weinen. Sie selbst ward von der Hexe gar gering gehalten.

       Das dauerte so eine Zeit, während welcher die

       Alte öfters nach dem Stalle schlich und Hänsel befahl,

       einen Finger durch das Gitter zu stecken, damit sie

       fühle, ob er fett werde. Hänsel aber steckte immer ein

       dürres Knöchelchen heraus, und sie verwunderte sich,

       daß der Junge trotz dem guten Essen so mager blieb.

       Endlich war sie das müde und sprach zur Gretel:

       »Kurz und gut, heute wird er gebraten«, und machte

       ein mächtiges Feuer in den Backofen, der neben dem

       Häuschen stand, da schob sie hernach Brot hinein,

       damit sie frischbackenes zum Braten habe. Das Gretel

       wußte seines Herzens keinen Rat, und endlich hieß

       ihm die alte Hexe sich auf die Schiebeschaufel zu setzen

       und in den Backofen zu lugen, die Alte wollte sie

       nur ein bissel in den Ofen schieben, damit die Gretel

       sehe, ob das Brot braun sei, eigentlich aber wollte sie

       das arme Mägdlein gleich zuerst darin braten.

       Da kam aber das schneeweiße Vögelein geflogen

       und sang: »Hüt dich, hüt dich, sieh dich für!« Und da

       gingen der Gretel die Augen auf, daß sie der Alten

       böse List durchschaute und sagte: »Zeiget mir's

       zuvor, wie ich's machen muß, dann will ich's tun.«

       Gleich setzte sich die Alte auf das Ofenbrett, und die

       Gretel schob am Stiel, und schob sie so weit in den

       Backofen, als der Stiel lang war, und dann klapp,

       schlug sie das eiserne Türlein vor dem Ofen zu, schob

       den Riegel vor, und da der Ofen noch erstaunlich heiß

       war, mußte die alte Hexe drinnen brickeln und braten

       und elendiglich umkommen zum Lohn ihrer Übeltaten.

       Gretel aber lief zum Hänsel, ließ den aus dem

       Gänsestall, und der kam heraus und fiel vor Freude

       dem treuen Schwesterchen um den Hals, küßten sich

       und weinten vor Freude und dankten Gott.

       Und da war das weiße Vöglein wieder da, und auch

       viele viele andre Waldvöglein, die flogen auf das Kuchendach

       des Häusleins, darauf war ein Nest, und

       daraus nahm jedes Vöglein ein buntes Steinchen oder

       eine Perle, und trugen sie hin zu den Kindern, und

       Gretel hielt sein Schürzchen auf, daß es alle die vielen

       Steinchen fasse. Das schneeweiße Vöglein sang:

       »Perlen und Edelstein,

       Für die Brotbröselein.«

       Da merkten die Kinder, daß die Vöglein dankbar

       dafür waren, daß Hänsel Brotkrumen auf den Weg gestreut

       hatte, und nun flog das weiße Vöglein wieder

       vor ihnen her, daß es ihnen den Weg aus dem Walde

       zeige. Bald kamen sie an ein mächtiges Wasser, da

       standen sie ratlos, und konnten nicht weiter und nicht

       darüber. Plötzlich aber kam ein großer schöner