Kehrtwende. Dirk Bierekoven. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk Bierekoven
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752925067
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Takt zu meinem Finger, wie man es mit Bekloppten macht.

      Sie hatte mich gesucht. Wie hatte sie mich gefunden? Und was zum Henker wollte sie von mir? Ich ließ meinen Finger sinken, und nuschelte; „Was zum Henker wollen Sie von mir?“

      Ihr Lächeln verschwand und sie antwortete.

      „Ich suche Sie jetzt seit fast zwei Wochen. In jeder Kneipe, in der ich war, gab es zwar immer mindestens einen kaputten Typen, der Sie zwar kannte, der mir aber maximal nur eine weitere Kneipe nennen konnte, in der ich Sie vielleicht finden würde. Die Kneipen wurden immer schäbiger und die Typen immer verschlossener. Also öffnete ich weitere Kanäle, um Sie zu finden, und lande schließlich hier.“ Sie schaute sich um, verzog leicht ihren Mund und den Ekel nahm ich ihr echt ab.

      Ich erinnerte mich an den Polizisten, der mir gefolgt war. Ist er einer ihrer weiteren Kanäle? Wahrscheinlich.

      Ich sagte: „Nur Typen, keine einzige Frau?“

      „Was?“

      „Es waren immer nur Typen, die mich kannten, keine einzige Frau?“

      Sie verstand mich nicht.

      „Das ist aber frustrierend“, sagte ich.

      Der Wirt kam und fragte nach ihrem Wunsch. Sie bestellte Kaffee und er sah mich so an.

      Ich zuckte mit den Schultern und wir beide wussten, zum Verrecken würde sie den nicht trinken.

      Er ging.

      Drei Augenzwinkern später war er wieder da mit dem Kaffee.

      Konnte unmöglich für den Kaffee sprechen.

      Sie fuhr fort und begann mir einen Vortrag darüber zu halten, was sich alles in unserem Leben nun ändern würde, da die Mauer gefallen war. Dass wir doch alle jetzt im selben Boot sitzen würden und auf irgendeine vollkommen schräge Art zusammenhalten müssten.

      Ich verstand kein Wort.

      Max Schultes Mutter saß vor mir und erzählte mir was vom Goldenen Kalb. Ich konnte ihr nicht folgen und in meinem Kopf drehte sich alles.

      Was wollte diese Frau von mir, hier und jetzt?

      Und sie redete immer weiter, bis ich endgültig ganz abschaltete. Weder wollte ich weiter zuhören, noch konnte ich.

      Das Bier auf dem Tisch, mittlerweile schal und schaumlos, traurig anzusehen.

      Der Schnaps, ebenfalls unberührt, in einem kleinen, trüben Tulpenglas.

      Beide standen sie da und warteten mit Hundeaugen auf ihren Einsatz, doch ich schaute sie nur an und bewegte mich nicht. In dem klaren Schnaps spiegelten sich die Augen des Mädchens der Bahnhaltestelle wider und ich schämte mich noch immer.

      Erleichtert stellte ich fest, das Entsetzen des Mädchens, es machte mir sehr wohl etwas aus. Und ich beschloss, es zu ändern.

      So sollte es nicht sein.

      Hier würde sie enden, meine Selbstzerstörung, zumindest die schnelle Variante würde hier und jetzt enden.

      Ich sah die beiden Lieblichen an.

      Das eine groß und blond mit feinen Perlen auf der Haut und das andere kühl und klar, und alles in mir schrie; „Nimm sie dir!“ Doch ich ließ es sein.

      Hier und jetzt war Ende.

      Ich musste an Frida denken.

      Aus einem anderen Leben, einer anderen Zeit, so weit weg wie der Mars, aber ebenso immer da und in meinen Gedanken.

      Mai ´66 bis Oktober ´66.

      Ich habe vorher und nachher auch geliebt, aber Frida in diesem Sommer, sie hatte mein Leben verändert und auf ewig ein brandmark in meinem Hippocampus hinterlassen.

      Vom Jungen zum Mann: So war das, das hatte sie aus mir geformt. Es war die Zeit nach der Schule und vor dem Studium. Ein ganzer Sommer und das erste Mal überhaupt frei. Ohne Eltern, ohne Verpflichtung und ohne Zwang. Sorglos, wie es nur die Jugend zulässt. Sie und ich und ein paar Freunde, am Meer. Kein Geld, vier Zelte und Ängste unbekannt. Und sie, Frida, war so voll mit Leben, pure Leidenschaft und einschüchternd klug.

      Sie war Esmeralda und ich der Bucklige.

      Sie war wunderschön, neunzehn Jahre jung, bronzene, samtweiche Haut, kurz geschnittene schwarze Haare, braune Augen, kleine, feste Brüste und einen makellosen runden Po.

      Ich war ihr vollkommen verfallen.

      Sie trat in mein Leben und entschied, da zu bleiben.

      Es gab keine Zweifel in ihrer Welt, keine Furcht, keine schlechte Erfahrung trübte ihre Sicht. Sie kam aus gutem Hause, wohlbehütet und machtvoll. Sie war eine pure, klare Seele, so wie es sein sollte. So wie wir es vielleicht alle gewesen wären, wären wir alle in ihrer Welt aufgewachsen. Neugierig, schlau und mutig, die perfekte Kombination für den Start in das Leben.

      Und sie verschwand aus meinem Leben so schnell, wie sie eingetreten war.

      Sechs Monate, in denen sie meine Welt komplett auf den Kopf gestellt hatte. Nie mehr wieder hatte ich in so kurzer Zeit so viel gelernt. Nie mehr wieder habe ich einen Menschen getroffen, der so unbefleckt und rein war. Ich hatte sie nie vergessen, auch später nicht, als Charlotte noch da war.

      Dieser Sommer und Frida, das war die schönste Zeit meines Lebens gewesen. Nie zuvor und nie mehr danach habe ich mich so frei und gedankenlos gefühlt.

      Und dieses Mädchen an der Bahnhaltestelle, sie war Frida, die Frida von damals – und ich, ich war ich.

      Heute.

      Zweiundvierzig Jahre. Alkoholiker und Verlierer. Und sie hatte Angst vor mir und ekelte sich. Was hatte ich wohl in ihr zerstört? Welche Selbstverständlichkeit in Frage gestellt? Ich fühlte mich hundeelend.

      Eva Schulte schnippte wieder mit ihrem Mittelfinger und Daumen vor meiner Nase.

      „Hey, Mulder! Sind Sie hier? Hören Sie mir überhaupt zu?“

      Am liebsten hätte ich ihr ihre Finger gebrochen. Wer macht denn so etwas, mit den Fingern vor der Nase rumschnippen?

      Und das gleich zweimal!

      „Kommen Sie zur Sache“, nuschelte ich, während ich mir meinen Nacken massierte und versuchte, mich zu konzentrieren. „Was wollen Sie?“

      Sie seufzte übertrieben genervt, sah mich wütend an, offensichtlich sauer, dass sie ihre zurechtgelegten Sätze nicht vollenden konnte, und fuhr fort: „Nun gut, keine Umschweife, ich verstehe.“

      Wird Zeit, Schätzchen, dachte ich mir, nahm das Bier in die Hand, überlegte kurz und stellte es zurück.

      „Wie ich gehört habe, sind Sie ein vortrefflicher Polizist geworden, nachdem man Sie ...“ Sie stockte.

      Ich sah ihr scharf in die Augen.

      „… ääh, nachdem Sie eine neue Karriere begonnen haben.“

      Gut gerettet.

      „Nun, ich bin hier, um Sie zu engagieren, also vorausgesetzt, Sie sehen sich überhaupt in der Lage zu arbeiten. Was meinen Sie?“

      Doch ich verstand zunächst nicht.

      „Was meine ich wozu?“ fragte ich.

      „Wozu?“, fragte sie zurück. „Herrje. Hören Sie mir überhaupt zu? Dazu, dass ich Sie engagieren möchte. Sie sollen für mich arbeiten.“

      Ich schnallte es immer noch nicht.

      „Entschuldigung“, antwortete ich, „aber ich verstehe nicht.“

      „Was verstehen Sie denn daran nicht? Also ehrlich, Mulder, ich mache mir langsam Sorgen, ob Sie überhaupt der richtige Mann für mich sind. Also gut, jetzt noch einmal für Blöde", sagte sie, verdrehte kurz ihre Augen, kam noch ein Stück näher heran, blickte mich direkt an und fuhr fort: „Ich möchte, dass Sie sich jetzt konzentrieren, Ihren Hintern