„Überfall“, antwortete ich ihm und er sah hinunter auf die beiden Körper, einer reglos und einer sich windend.
„Ach so“, und wollte das Fenster wieder schließen.
„Moment mal“, rief ich. Und er sah mich an.
„Was?“
„Rufen Sie einen Krankenwagen!“
Er sah ein zweites Mal hinunter, ganz so, als müsste er die Lage dann doch noch einmal genau überprüfen, und fragte:
„Wieso?“
Jetzt war ich dran mit Baffsein. Erst die beiden Schwachmaten, die mich am frühen Abend, mitten auf der Straße, schon fast beleidigend dilettantisch überfallen wollten, und jetzt Schweinchen Dick, dem das alles hier offensichtlich so sehr interessierte, als würde der Papst einen fahren lassen.
Schöne neue Welt?
Dumm und ignorant war das aus unseren Brüdern und Schwestern in Freiheit geworden?
Ich blaffte ihn an, „weil die beiden scheißenochmal verletzt sind“.
„Haben Sie das getan?“
„Ääh ja!“
„Warum?“
„Sie wollten mich berauben!“
„Dann haben sie es verdient! Gut gemacht, wir brauchen Typen wie Sie, die sich nicht alles gefallen lassen, was kümmert es Sie, was mit ihnen passiert“, sagte der gute Bürger.
„Sie sind schwer verletzt und brauchen jetzt Hilfe“, zischte ich zurück.
„Sehe ich nicht“, antwortete mir das Arschloch im Unterhemd und ich war sprachlos.
Er fuhr fort: „Sehen Sie zu, dass Sie wegkommen, sonst sind Sie nachher noch der Dumme und man kriegt Sie wegen Körperverletzung oder so einem Scheiß dran.“
Da war allerdings wiederum was dran.
Das Letzte, was ich im Moment gebrauchen konnte, war eine polizeiliche Untersuchung. Und das Chaos, das die Sache veranstalten würde: Ich Polizist aus dem Osten, ääh, ich meinte suspendierter Polizist aus dem Osten, der zwei BRD-Bürger verletzt, einen sogar niedersticht, Mann, das Chaos und den Schreibkram wollte ich mir gar nicht erst vorstellen. Und todsicher würde ich im Knast landen. Erst hier im Westen und dann vermutlich weiter im Osten. Die würden mich in meiner Untersuchungszelle vergessen und verrotten lassen. Wette drauf?
Trotzdem.
Ich packte das Arschloch an den Ohren, zog ihn über seine Fensterbank, bis sein fettiger Wanst aus dem Fenster hing, und fauchte:
„Ruf einen Krankenwagen, Mann, und zwar sofort. Andernfalls reiße ich dir deinen Arsch auf bis Moskau und lasse dich zudem noch wegen unterlassener Hilfeleistung oder so einem Scheiß drankriegen“, und schmiss ihn zurück in seine Bude. Ich lief zu alter Hochform auf. Adrenalin drückte sich in alle meine Ecken und ich genoss mit großer Zufriedenheit, dass alte Stärken doch noch da war, wenn ich sie brauchte.
Gut zu wissen.
„Schon gut, schon gut“, hörte ich ihn murmeln und sah, wie er aus dem Zimmer verschwand.
Ich drehte mich zu meinen beiden Patienten um und sah auf sie hinab. Es wurde Zeit für mich, wieder runterzukommen, um einen klaren Gedanken zu fassen. Die Zeit drängte. Bald würden der Notarzt und die westdeutsche Polizei hier sein, also schnappte ich mir die Kleine, zog sie an ihrer Lederjacke hoch und stellte sie auf die Beine. Sie sah elend aus. Tränen liefen ihr über das Gesicht, das eingefallen und stumpf war. Die Haare waren verklebt und verknotet. Sie wog nichts. Sie winselte und ich sagte:
„Weißt du, wie man von hier zur Friedrichstraße kommt, in den Osten?“ Und sie nickte.
„Okay, bring mich dahin und ich lasse dich laufen. Tu es nicht und wir warten gemeinsam auf die Bullen. Wird sie interessieren, was ihr vorhattet.“
„Einen Scheiß werde ich“, spuckte sie mir entgegen.
Ich hatte keine Zeit für Spielchen, packte sie bei ihrer kaputten Schulter und sie schrie auf vor Schmerz, sackte wieder zusammen, doch ich hielt sie in ihrer Jacke hoch. Ich schaute ihr in die Augen, so böse wie ich konnte.
„Zeig mir den verdammten Weg“, und langsam schien sie zu begreifen, wie ernst ich es meinte.
„Da lang“, und zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Eine lange, große Straße und die Polizei würde jeden Moment hier sein. Zu gefährlich.
Ich sagte: „Durch welche Nebengasse?“ Und sie zeigte zur ersten Querstraße links, die Straße runter.
„Dann los“.
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