SCHWARZ. Markus Schweitzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Markus Schweitzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753188379
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Schwarz durch seine Adern läuft, pochend, fordernd, befriedigend. Bis zur friedlichen Erschöpfung. Er kontrolliert die Geschwindigkeit, die Atemfrequenz, die Strecke, die Häufigkeit des Trainings. Das Laufen tut ihm gut, nicht zu laufen ist ein Problem. Dann vermisst er das Schwarz, die rauschenden Endorphine. Er sehnt sich nach dem nächsten Lauf, ist neidisch, wenn er andere laufen sieht, ist ungeduldig, wenn er auf den nächsten Lauf warten muss. Dann fängt sein Hirn an im Kopf zu laufen, die bekannten Strecken abzuspulen, das Glücksgefühl zu rekonstruieren. Bis zum nächsten Lauf. Dem nächsten realen Lauf. Er läuft um sein Leben, um sein Glück. Er läuft, um zu vergessen, um loszulassen, um sich zu entpflichten. Weg von Verantwortung, Pflichten, einengenden Erwartungen. Das Schwarz schützt ihn, Schritt für Schritt, Kilometer für Kilometer, Lauf für Lauf. Vor dem Leben, vor der Gesellschaft, vor dem inneren Schwarz.

      Er liebt die Routine, die ständig wiederkehrenden Dinge des Alltags, die ritualisierten Abläufe. Normalerweise. Heute fühlt er sich gut, ist in der Stimmung Neues auszuprobieren. Weicht von seinen gewohnten Laufstrecken an der Isar ab. Wählt kleine Nebenwege, Trampelpfade durchs Unterholz. Eine Strecke entlang des Isarkanals. Er hat keinen festen Plan, wie er laufen will. Er entscheidet spontan. Schaut wohin ihn eine Abzweigung bringt, nur um dann die nächste unbekannte zu nehmen. Dauer und Länge spielen keine Rolle. Es geht um das Entdecken, das Neue, das Unbekannte. Er läuft ohne Ziel, folgt nur seinem Gefühl. Läuft über Baumwurzeln, auf unebenen Pfaden, über Geröll und Steinbrocken, um umgestürzte Bäume herum. Oder springt über Baumstämme drüber, duckt sich unter ihnen hindurch. Läuft zwischen hoch aufgewachsenem Gras hindurch, an ihn streifenden Büschen, Ästen, Pflanzen vorbei. Ohne Scheu, ohne nachzudenken. Auf der Suche nach interessanten Ausblicken, nach sehenswerten Objekten. Nimmt die blühenden Bäume und Blumen wahr. Spürt den würzigen Geruch der Maiglöckchen in der Nase.

      Er läuft jetzt wieder an der Seite der Isar. Er schaut von rechts nach links, geradeaus, zur Seite. Lässt den Blick schweifen, läuft langsam und aufmerksam. Auf den kleinen, abseits gelegenen Wegen ist wenig los. Er begegnet nur wenigen Personen und anderen Läufern. Er bleibt immer in Bewegung, hält nicht an. Ist aber offen für alle Eindrücke, die sich ihm bieten. Die Isar an seiner Seite verändert Meter um Meter ihr Erscheinungsbild. Mal Türkisgrün, mal Smaragdgrün. Mal mit breiten Kiesstränden, mal fast uferlos, mal mit vom Wasser umspülten Kiesbänken. Mal leise gluckernd, mal monoton rauschend, mal donnernd tosend. Mal mit dichtem Uferbewuchs, mal weit geöffnet mit Auenwiesen. Mal eingezwängt zwischen hohen Ufermauern, mal frei fließend. Die kleinen Wege sind teilweise feucht, matschig, Pfützen stehen quer über den gesamten Weg. Selten sind alte Bretter oder Äste so auf dem Weg platziert, dass man trockenen Fußes an diesen Stellen vorbei kommt. Manchmal führt der einzige Weg Wasser und Schlamm spritzend nur geradeaus durch die Pfützen hindurch. Der Boden ist weich und leicht federnd, nachgiebig, dämpfend.

      Obwohl hier kaum andere Personen unterwegs sind, ist Vorsicht geboten. Wie aus dem Nichts rauschen von hinten oder vorne Mountainbikes heran, hautnah an ihm vorbei und sind schon wieder verschwunden, bevor er es richtig realisiert hat. Gnadenlos rauschen sie mit maximaler Geschwindigkeit über die kleinen Wege durch das Unterholz, den Wald. Trotzdem sucht er weiterhin seine Laufstrecke im Netz der kleinen Pfade. Vorbei an verrottetem Totholz, zerbröselnd, von Insekten zersetzt, mit einer leuchtend grünen Moosschicht bewachsen, fast schon in den erdigen Waldboden integriert. Vorbei an ausgehöhlten, wie Turmruinen aufragenden Baumstämmen, an den hellgelb leuchtenden Schnittflächen frisch gefällter Bäume, die wie hingeworfen gleich daneben im Unterholz auf ihre Zersetzung warten. Vorbei an schon mit Moos bewachsenen Stapeln feinsäuberlich aufgeschichteter, auf gleiche Länge geschnittener Stämme. Vorbereitet für den Abtransport und längst vergessen. Nebendran immer die vor sich hinfließende Isar und die breiten, viel frequentierten Wege. Das Gefühl fast unberührter Natur direkt neben der Infrastruktur der Isarbewohner. Eine verführende Illusion, die sich selbst entlarvt, sobald die Füße den breiteren Weg betreten.

      3 Schwarzer Schleier

       Schwarze Nacht. Sichtbarmachendes Schwarz, eine lichtbetonende Bühne. Notwendiges Schwarz, ein Sternenhimmel. Schattenschluckendes, hellhöriges Schwarz. Schutzbietendes, entdeckungsverhinderndes Schwarz. Ruhebringendes, beruhigendes, angsteinflößendes Schwarz. Undurchdringliches, hartes, wandgleiches Schwarz. Bösartiges, Gewalt provozierendes Schwarz. Gütiges, weiches, umarmendes Schwarz. Nachtaktives Leben, nachtaktives, wuselndes Schwarz. Schwarz wie die Nacht.

      Schwarzwolkig

       Wolkiges Schwarz. Sich zusammenballend, zerstreuend, schwarz anschwellend, in Weiß auflösend. Klumpig, weich, bedrohlich, faszinierend. Nasses, feuchtes Schwarz. Zeitbegrenzt, temporär ortsbegrenzte Naturgewalt. Sich schnell verändernd, sich schnell auflösend, weiterziehend. Schwarze Illusion, nicht greifbare Materialität, gefärbte Luft. Schwammartiges Schwarz, gesättigtes Schwarz, überlaufendes Schwarz. Tropfend, dampfend, befeuchtend. Furchteinflößendes, beängstigendes, vertreibendes, in die Flucht schlagendes Schwarz. Freimachendes, Platz schaffendes Schwarz. Schwarze Watte.

      

      Bewölkter Himmel. Die Wolkendecke durchzogen von Löchern, die hellblauen Himmel freigeben. Alles ist in Bewegung, die Wolken ziehen schnell am Himmel vorbei, geben ab und zu die Sonne frei, teilweise oder vollständig. Dann tauchen helle Sonnenstrahlen die Flusslandschaft in gelbes, warmes Licht. Die auf die Wolken treffende Sonne wirft fleckige Schatten auf die Flussauen und die Wasseroberfläche, die ebenso schnell über die Landschaft jagen, wie die Wolken selbst. Kaum bricht die Sonne durch die Wolken durch, so ist sie auch schon wieder verschwunden, bevor sie sich durch einen neuen Spalt hindurchkämpft. In der Ferne verdunkeln sich ballend die Wolken zu einer schwarzen Front, die schnell näher rückt. Während noch die Sonne durchblitzt, ergießen sich in immer schneller werdendem Rhythmus Hagelkörner auf die Landschaft. Spritzen vom Boden hoch, von den Armen, Beinen, dem Oberkörper ab, bevor sie sich unter den Sonnenstrahlen schmelzend verflüssigen ohne auch nur einen Hauch von Weiß über die Landschaft zu legen. Während sich die dunklen Wolken zunehmend wieder zu einem strahlenden Weiß aufhellen, funkelt der Schmelzwasser benetzte Boden, das Sonnenlicht reflektierend, feucht vorm Horizont.

      Eben noch fast winterkalt, erwärmt sich die Luft an den sonnigen Flecken wieder zu einer frühlingshaften Temperatur. Das eigentlich ruhig vor sich hinfließende Wasser wirkt durch die schnell wechselnden Schattenbereiche unruhig, unstet, rastlos. Der Uferbewuchs, größtenteils schon grüngefärbt, erstrahlt im Wechsel entweder hellgrün leuchtend oder auf der Schattenseite dunkelgrün. Dort wo die Sonne auf die Wasseroberfläche trifft erscheint das Wasser durchlässiger, transparenter. Leuchtet selber bunter und gibt den Blick frei auf das vielfarbige Flussbett, die Kiesel und Steine, die hier kontrastreicher hervortreten, als in den vom Schatten bedeckten Wasserbereichen. Blitzt die Sonne durch die Wolken hindurch, wird auch die gesamte Umgebung, die Bäume, Blätter, das strohgelbe Schilf, mit einem Schlag kontrastreicher und bunter. Mit steigender Intensität, je nachdem wieviel Sonnenfläche freigegeben wird, um dann sofort wieder zunehmend zu verblassen, sobald sich wieder eine Wolke vor die Sonne schiebt.

      Im Sonnenlicht perlt spritzend das auf Gesteinsbrocken treffende Flusswasser, bildet einen glänzenden weißen Vorhang an den Staustufen und Absätzen. Vergraut unter der geschlossen Wolkendecke zu einer stumpf fließenden Masse. Schnell zunehmender Wind treibt die Wolken in kürzester Zeit zu einer schwarzen Masse zusammen und vor sich her. Die erst dicke, vereinzelte Tropfen abgebend, schnell dichten Regen herunterprasseln lässt. Die Wasseroberfläche wird von den Regentropfen perforiert, bildet ausgehend von dem Auftrittspunkt zum Ufer hin immer größer werdende Kreise, die sich, mit zunehmendem Regen immer großflächiger überschneidend, die ganze Wasseroberfläche bedecken. Der Wind treibt den Regen fast horizontal vor sich her, lässt ihn anschwellen, bevor er, fast unvermittelt wieder in vereinzelte Tropfen übergehend, so plötzlich versiegt, wie er aufkam. Plötzlich wieder weiße Wolken reißen auf und tauchen die Landschaft von Neuem in schönstes, frühlingshaftes Sonnenlicht.

      Schwarzdrückend

       Schwarz wie Blei. Silbern