Die Ehre der Stedingerin. Eike Stern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eike Stern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039856
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Geldis Dummheit. Die trieb es auf die Spitze, indem sie trotzig anhielt und sich unter Haukes ernst werdender Miene mit einem Schmollmund an den Feldrain setzte.

      „Berne ist ja noch in Sicht“, bemerkte er ärgerlich. „Wir können nicht so früh rasten. Ich dachte eigentlich, gegen Mittag bei der Kate zu sein.“

      „In meinem Unterleib ist die Hölle los“, klagte Geldis und streckte die Füße von sich, die Augen schweiften in den Himmel, wo Krähen flatterten und das auf sie wartende Birkenwäldchen anflogen. Hauke musterte sie mürrisch und blies sich eine Strähne aus der Stirn. „Ich habe es mir ja gedacht.“

      Ulrike spitzte die Ohren. „Was?“, warf sie ihm zu. „Hast du dir gedacht?“

      Ein leises Beben um die Mundwinkel verriet, es rutschte ihm heraus, und er war verlegen um eine Ausrede. „Ich weiß vor allem, seit Sonntag bin ich verantwortlich für alle vom Gesinde, ob Kerle oder Weib. Schorse ist verunglückt…“

      Nachzuhaken wirkte auf Geldis kleinlich. Ulrike gefiel es, wie Birte sich einschaltete. „Du folgerst, wo es wenig zu folgern gibt“, gab sie dem frischgebackenen Großknecht Wind von vorn. Ihre Hände fingerten über das Kleid, um sich zu fangen, ehe sie die in die Hüften stemmte und das Kinn richtete wie ihre Mutter, galt es, Schelte zu verteilen.

      „Ich will es dir nicht verübeln. Männer denken ja selten über die eigene Hutschnur hinaus. Doch ein gestandener Mann sollte eines wissen: Erreicht ein Weibsbild das heiratsfähige Alter, verändert es sich, reift zur Frau und lernt, damit umzugehen, wenn es in den Tagen, die der Mond wechselt, blutet. Das ist bei manchen kaum der Rede wert, bei anderen schlimmer… Und damit genug. Das muss dir genügen, um deine Neugierde zu stillen.“

      Das weckte bei Ulrike Bewunderung für die Freundin. Geldis hatte sich eine Möhre als Wegzehrung mitgenommen, biss den Wurzelfaden ab wie ein Hase und erhob sich widerstrebend. Hinter dem Birkengehölz öffnete sich das Gelände zu einer überschwemmten Wiese, gelb gesprenkelt von Hahnenklee, bis an ein Schilffeld, das früher ein Teich war. So sah es aus, nahe der Schlenken, die dem Moor anheimfielen. Frühnebel wallten über Sonnentau und hellgrünen Torfmoospolstern, ein buntes Gemisch aus flockigem Wollgras und Zwergsträuchern schwebte über der Landschaft wie ein filigranes Muster. Für Ulrike ein eher vertrauter Anblick, sie hatte den Eindruck: Birte wollte dem Knecht noch mehr dazu sagen und gesellte sich ihrerseits mit ein paar schnelleren Schritten zu Geldis. „Du hast wie ich von der Liese gehört“, hielt sie die an. „Auch Liese hat Hauke derzeit ins Moor geführt. Welche Schuld sie trifft, dass ein Bettler am helllichten Tag über sie herfiel, und warum sie das entehrte, geht für mich über den Verstand. Aber ein Schandmaul ist schuld an der Tragödie. Von irgendwem bekamen die Leute in Berne Wind davon, weshalb sie bei der Hexe gewesen ist. Es liegt nahe, sie verdankt es Hauke.“

      Geldis zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Ach was… Jeder könnte getratscht haben.“

      „Unfug, die Liese sah zwar irgendwie komisch aus, mit ihren mädchenhaften Zöpfen, aber redselig war die weiß Gott nicht und wird die Peinlichkeit für sich behalten haben. Es sei denn, sie hat‘s dem Pfaffen im Beichtstuhl geflüstert.“

      „Na dann war’s der eben“, bemerkte Geldis schnippisch und zog belustigt die Brauen hoch. „Ist doch wurscht.“

      „Bist du arglos“, zischte Ulrike sie an. Bald erreichten sie den Erlenbruch in der Nähe des Torfstichs. Hohe Birken mit Buschwerk beschatteten eine Sandkuhle und einen Hang mit hellbraun in der Sonne leuchtendem Torfmull. Zwei davor gestapelte Pyramiden aus frisch gestochenen Torfstücken muteten noch feucht an, und ein leises Rascheln aus den Birken verriet den aufkommenden Wind von der Weser. Hauke spähte suchend umher, tat einige halbherzige Schritte am Torfhang und blieb wie angewurzelt stehen.

      „Was ist?“, fragte Ulrike verwundert. Hauke atmete tief durch, der kleine Finger deutete warnend auf die halbdurchsichtigen, silbrig in der Sonne schillernden Schlangenhäute zu seinen Füßen. „Hier sonnen sich sonst die Kreuzottern, aber scheinbar halten die schon Winterschlaf.“

      Er erstieg ohne Umschweife die Höhe mit den Birken, und Ulrike fragte irritiert, „was suchst du?“

      „Irgendwo befand sich ein kleines Gestrüpp“, erklärte er, so leise als sei ihm egal, ob er verstanden wurde. „Ich meine, es war ein Busch mit roten Beeren. Eine Matte aus Ästen beginnt an der Stelle, und über den Pfad erreichen wir gefahrlos den Torfstich.“

      Geldis folgte ihm neugierig auf den Hang und wies ihm eine Eberesche, gut acht Schritt hoch und schwer von Vogelbeeren. „Dort vielleicht?“

      Sie hatten Glück, und es ging weiter auf diesem dünnen Pfad, der einen Bogen um den Hang mit Brombeergeflecht schlug. Geldis fühlte sich froh über ihre Entdeckung und raffte vor ihnen das Kleid, um hüftschwingend den Hang zu nehmen. Hauke sah ihr sehnsüchtig aufs Hinterteil und heftete sich leichtfüßig an ihre Fersen.

      Ulrike bemerkte es durchaus und sah sich an Eikes Aussetzer erinnert. In der Hinsicht schienen die Männer alle gleich zu sein. Außer Dirk, überlegte sie, oder erweckte sein höfisches Benehmen bloß den Anschein, er könnte anders sein? Nein, einmal wollte er sie umarmen und ging brav auf Distanz, bei ihrer Reaktion. Sie sehnte sich auf einmal nach ihm…

      Oben erstreckte sich ein mit blühender Erika bewachsener Damm. Vereinzelte Birken leuchteten schneeweiß im Sonnenlicht, und zahlreiche Wespen kreisten aufgeregt um eine von gelbem Blattwerk verhangene Astgabel. Im Nachhinein kam Ulrike in den Sinn, Hauke könnte es demnächst darauf anlegen, Geldis auf dem Flur zu begegnen, der zum Schlafraum des Gesindes führte. Soviel Stärke, seiner Schmeichelei mit der nötigen Kühle entgegen zu treten, also Sillschweigen über ihr Geheimnis zu bewahren, traute sie ihr früher zu, heute weniger, nachdem sie Geldis besser kannte.

      „Seltsam“, bemerkte Hauke. „Warum ist hier niemand?“ Überall fand sich zu Pyramiden gestapelt, feuchter Torf, um in der Sonne zu trocknen, und Ulrike registrierte, von der hiesigen Heide, zuletzt mit sechs gesehen, blieben einzig und allein diese Dämme im Moorsee übrig. Sie setzte tapfer den nackten Fuß an die Kante und blickte hinab, da glänzte unten tiefbraunes Kolkwasser. Am Gegenufer des Kanals begann ein weites Feld mit Schilf und Rohrkolben. „Wir sollten uns auf dem Rückweg ein paar Lampenputzer mitnehmen“, überlegte Birte.

      „Ich kann mir denken, weshalb hier niemand arbeitet, obwohl gar nicht Sonntag ist“, fiel Ulrike ein. „Der Frondienst ist schuld. Alle sind auf der Rodung am Hemmelskamper Wald, oder bei der Säge am Berne-Kanal, um Holz zu verladen.“

      Die letzte Meile über den Torfdamm forderte Ulrike das Äußerste an Willenskraft ab. Bei jedem Auftreten fuhr der Schmerz durch ihren Leib wie ein Messer und trieb ihr Tränen in die Augen, und eine befremdende Angst stieg in ihr auf, angesichts der sie umgebenden kargen Moorlandschaft mit ihren Birken und Sträuchern und den unwirtlichen Wasserlöchern. Ein Rudel Rehe hob sich zwar anmutig, fern und reglos lauschend aus weißen Schleiern ab, aber die nahm sie nur oberflächlich wahr, so heiß war ihr im Kopf, und so hundeelend fühlte sie sich von innen her.

      Wenigstens gelangten sie über eine lückenlose Astmatte zu einem Wäldchen aus herbstlichen Birken und Erlen, wo sich unter welk gekräuseltem Blattwerk ein mit Schindeln gedeckter Schuppen verbarg, auf dessen Schattenseite Knöterich wucherte. Die Kate und der angebaute kleine Pferch umschloss ein Kleid aus Ranken, überschneit mit weißen Blütenrispen, ein Dutzend bunte Hühner suchten empört gackernd vor den Besuchern das Weite. Es war längst noch nicht Mittag, und sie bereits am Ziel, doch Ulrike klopfte das Herz zum Zerplatzen, und Birte, als würde ihr Mut schwinden, zog betreten die Unterlippe über die Zähne. „Wer geht vor?“, fragte Geldis. Sie schauten verzagend den Knecht an.

      „Auch das noch“, knurrte Hauke, klopfte derbe an und erblasste, kaum öffnete sich tatsächlich die Tür. Ein uraltes Weib mit eingefallenen Wangen schaute sie aus Triefaugen misstrauisch an und forschte in Ulrikes Gesicht. Die schluckte einen Kloß herunter.

      „Was wollt ihr?“, fragte die alte Agnes unwirsch, und Ulrike verfiel ins Stottern.

      „Es ist… wir sind Frauen.“

      Fast hätte sie sich verplappert - Hauke