Im Auge des Betrachters. Sören Jochim. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sören Jochim
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754143155
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auch eine Gruppe Frauen angequatscht und mitgenommen, die sich als die reinsten Tussies rausstellten. Also ich bin ja auch für gutes Aussehen, aber die kannten einfach gar kein anderes Thema und waren sich auch zu schade, irgendetwas an körperlicher Bewegung zu unternehmen, was ihrem hochpolierten Auftritt hätte einen Schweißfleck verpassen können. Der Abend wurde dementsprechend öde und machte mich mit der Zeit sogar aggressiv.

      Wie Manuel das immer mit uns aushält? Er ist sieben Jahre älter als ich und angeblich glücklich verheiratet. Seine Frau scheint sein Leben als Gitarrist eines Rappers nicht sonderlich zu interessieren. Sie war zwar schon hin und wieder mal mit bei Auftritten dabei, aber meist macht er sein eigenes Ding. Hat natürlich auch was, wenn man sich in bestimmten Situationen nicht sieht und so einige monatelange Touren, wie man sie von großen Rockbands vielleicht schon mal gehört hat, haben wir noch nie gemacht. Das längste war eine Woche und die kann man auch mal ohne seine Frau aushalten. “Komm mit, ich stelle euch vor, die eine hat schon nach dir gefragt. Eine hübsche Brünette, schlank, ungefähr deine Größe, mit einem schwarzen Minirock und einem leichten Top. Sie trägt diese großen Ohrringe, wie heißen die nochmal? Kreolen? Die Haare hat sie offen, relativ kurz, nur bis zu den Schultern und ein einladendes Lächeln.”, führt Steven aus. “Alter, wie merkst du dir all das, bist du sicher, dass ich mitkommen soll? Vielleicht willst du sie lieber für dich haben!” Steven hat echt ein Talent für diese Details. Manchmal kann ich einen ganzen Abend mit einer Frau verbringen und muss am nächsten Tag darüber grübeln, welche Haarfarbe sie hatte. “Nein, nein.”, lacht er, “Du solltest erst mal die Andere sehen, die ist eher mein Typ!”

      Der erste Eindruck der zwei Frauen ist in Ordnung, definitiv besser als beim letzten Mal. Steven hat uns vorgestellt und die Stimmen der beiden sind freudig, herzlich und wohlklingend. Wenn es etwas gibt, dass ich bei andern bemerke, ist das die Stimme. “Steven hat uns gesagt, ihr zwei seid heute Abend bei der Afterparty am Start und dass wir euch begleiten dürfen. Ist das euer Ernst, wir würden uns total freuen!” Wie leicht es doch ist, Anschluss zu finden, wenn man berühmt ist. Die Frauen schmeißen sich einem quasi an den Hals. “Das lässt sich einrichten, ganz ohne Begleitung wollen wir da nicht auflaufen. Wir brechen später vom Hotel aus auf, am einfachsten wäre es, wenn wir uns dort treffen. Seid ihr mobil?” Beide nicken. “Stephanie ist mit ihrem Porsche hier, sie liebt schnelle Autos, dafür lässt sie auch mal den Alkohol links liegen, stimmt’s?” Schon faszinierend wie schnell Menschen einem sympathisch werden können. Autos sind doch einfach das Geilste auf der Welt. Reinsetzen, losfahren, den Stress des Alltags hinter sich lassen und die Geschwindigkeit genießen. Stephanie merkt an, “Oh ja, schnelle Autos sind ein Traum, ich liebe das Design von deinem BMW Johnny - einzigartig, aggressiv und elegant zugleich!” Mit einem schelmischen Lächeln zu ihrer Freundin fügt sie noch hinzu, “Aber heute werd ich mir schon noch den ein oder anderen Cocktail gönnen, man lebt ja nur einmal.”

      Im Anschluss tauscht Steven noch die Nummern mit den Frauen aus und wir machen ab, uns gegen 22:30 Uhr am Hoteleingang zu treffen. Die Frauen können ihr Glück kaum fassen. Früher hatte ich immer den Eindruck, Männer liefen Frauen hinterher, aber in den vergangenen Jahren hat sich meine Meinung doch erheblich gewandelt, es ist keine Frage des Geschlechts, sondern eine des Ansehens. Bist du ein Star, will jede mit dir schlafen. Zurück im Backstagebereich berichten wir Manuel von unseren Plänen, aber dieser winkt ab. “Heute nicht Jungs, meine Frau und ich gehen später noch gemeinsam Essen, heute vor 17 Jahren haben wir uns kennengelernt. Das hat sich so etabliert. Sie holt mich später vom Hotel ab. Ihr kommt sicher auch ohne mich zurecht.” Ganz gewiss, ein wenig neidisch bin ich schon. 17 Jahre, faszinierend.

      Zeit die Sachen zusammenzupacken. Angereist waren wir heute Morgen mit unserem kleinen Bus, frisch lackiert, schwarz, mit zwei dicken, silbernen Querstreifen, die von unten halb die Fahrer- und Beifahrertür bis ungefähr zur Mitte hoch laufen und dann dynamisch nach Hinten führen. Für uns drei reicht der kleine Bus, für andere Bands wäre die Kiste schon etwas zu eng. Mir war wichtig, dass die PS Zahl stimmt, da blieb nur der T6 mit allen Extras, die man sich so vorstellen kann: Getönte Scheiben, Sitzheizung, Head-Up Display, alles voll elektrisch, einfach zum verlieben. Am Sound mussten wir selbst ein wenig basteln, aber jetzt stimmt der Bass und der Klang ist vom Feinsten. Da wir früh morgens vor all den Besuchern in den Bussen und Autos angekommen waren, konnten wir noch auf dem Hauptparkplatz parken, so dass unser Equipment schnell aus- und eingeladen werden kann. Das machen wir allerdings zum Großteil nicht mehr selbst, anders als früher, als wir noch kleine unbekannte Musiker waren. Damals hat man sich auch schon mal blöd verhoben und musste dann den nächsten Tag mit verzerrtem Gesicht proben. Heute kommen die Veranstalter selbst auf uns zu und bieten uns Hilfe an. Wie schon gesagt, Star muss man sein.

      Das Festival ist noch voll im Gang, gerade versucht ein Anheizer die Stimmung nochmal explizit hochzupushen. Diese Jungs scheinen immer extrem gut drauf zu sein, aber hinter der Bühne sieht man auch oft ein anderes Bild. Auf dem Weg zu unserem Bus kommen wir an einer Gruppe Jugendlicher vorbei, die sich etwas abseits im Kreis versammelt hat. Es sind neun, sechs Jungen und drei Mädchen, allesamt noch nicht oder gerade erst volljährig, würde ich schätzen. Kommen bestimmt aus der Gegend hier und wollten sich das Event der Älteren mal anschauen. Ein Mädchen scheint mich erkannt zu haben, zeigt mit dem Finger auf mich und macht sich direkt auf den Weg zu uns. Mit Sprung im Schritt und einem breiten Grinsen im Gesicht sagt sie, “Hi, hi Johnny! Ich bin echt ein großer Fan von dir, würdest du mein Cappy signieren? Hier, ich hab auch einen Stift.” Das Mädchen ist auf jeden Fall noch keine achtzehn, eher vierzehn, mit großen Augen, die mich hoffnungsvoll ansehen. “Hi”, ich warte. “Oh, ich heiße Christine.”, sagt sie freudig. “Hi, Christine. Das mache ich doch liebend gerne. Soll ich etwas Bestimmtes schreiben? Bist du aus der Gegend hier?” Sie schüttelt den Kopf, “Nein, schreib einfach was Schönes. Ja, bin ich, meine Freundinnen und die Jungs sind alle wegen mir hier, weil ich dich unbedingt live sehen wollte. Dein neuer Song ist mega cool!” Das nenne ich einen wahren Fan. Ich schreibe Für meinen jüngsten und mutigsten Fan Christine - dein Johnny. Sie würde mir am liebsten um den Hals springen, hält sich jedoch zurück und hüpft auf die Cappy lächelnd nur kurz auf der Stelle. Dann dreht sie sich um, schreit mir noch ein Danke hinterher und berichtet ihren Freundinnen und Freunden, was sie gerade erlebt hat.

      Wir gehen weiter, der Klang der Musik aus den Lautsprechern ist selbst hier noch gut zu hören. Von Vogelgezwitscher oder anderen Naturgeräuschen ist nichts übrig. Trotz zahlreicher Mülltonnen sieht der Boden stark verdreckt aus. Abfälle zieren hier und dort die Wege und das Gestrüpp, sogar in einer der großen Fichten hängt Müll. Wie der da wohl hoch gekommen ist? Die Menschen und ihr Planet führen manchmal eine sehr merkwürdige Beziehung. In dem kleinen Waldstück westlich von unserer Position haben sich zwei lachende Männer versteckt. Sie scheinen bester Laune und rufen uns zu, “Hey Jungs, Bock auf ne kleine weiße Prise?” Die haben uns scheinbar nicht erkannt, so berühmt sind wir dann doch noch nicht. Widerliche Typen, wie kann man nur andere dazu anstiften, Drogen zu nehmen. “Ihr seid abartig und solltet euch was schämen, ihr Idioten!”, platzt es mir raus. Steven hält mich zurück, “Johnny, bleib ruhig, lass denen doch ihren Spaß.” Wegsperren sollte man diese Leute, ruinieren nicht nur ihr eigenes, sondern auch die Leben anderer und ihrer Familien. “Man sollte diesen Deppen einfach mal eine scheuern, würde bestimmt helfen.” Ich lasse mich von Steven mitziehen und nach und nach verschwinden die beiden Gestalten aus meinem Blickfeld. “Jetzt fahren wir erst einmal zurück ins Hotel, da vorne ist unser Bus. Hast du die Schlüssel?”, fragt Manuel. “Ja”, antwortet Steven, “Ich fahr uns schnell hin.” Was die beiden sonst noch bequatschen, bekomme ich nicht mit. Meine Gedanken sind bei den zwei Vollidioten hängen geblieben, meine Miene erstarrt. Ohne Worte nehme ich meinen Platz hinten im Bus ein, balle die Fäuste und schließe meine Augen.

      Kapitel 2

      

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      Einige Tage später in einem Wohnviertel mit Reihenhäusern

      Die grünen Zahlen des Weckers erhellen den sonst dunklen Raum. Geklingelt hat er nicht, es ist 4:50 Uhr. Mein Körper zittert, ich wische mir den Angstschweiß von der Stirn. Alles nur wegen diesem Traum. Immer und