Im Auge des Betrachters. Sören Jochim. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sören Jochim
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754143155
Скачать книгу
tion>

      

      Vorwort

      

       Image

      Das Buch, das du in den Händen hältst, wurde mit der Intention geschrieben, dich zum Nachdenken anzuregen. Ich wollte nicht irgendein Buch schreiben, nur um ein Buch geschrieben zu haben. Es ging nicht darum, eine reine Unterhaltungslektüre zu verfassen, die man als Leser so schnell wieder vergessen, wie man sie gelesen hat. Ziel war es vielmehr, dass bestimmte Sätze oder Fragen, die im Buch auftauchen, etwas in dir ansprechen, etwas in dir auslösen, etwas in dir vorantreiben, das dich deinen Blick auf die Welt schärfen lässt. Es gibt eine Menge versteckter Botschaften in diesem Buch und keine klaren Antworten. Ich bin der Auffassung, das jeder Mensch nur selbst zu Erkenntnissen gelangen kann und mögliche Richtungen, Wegweiser und Blickwinkel aufzeigen alles ist, was andere dazu beitragen können. Wer andere nur belehrt und ihnen nicht selbst die Chance gibt zu lernen, der verpasst es, ihnen langfristig zu helfen. Aber genug der einleitenden Worte. Mögen dich genau die Inhalte dieses Buches ansprechen, die für dich am wertvollsten sind. Viel Spaß beim Lesen.

      Kapitel 1

      

       Image

      Jährliches Seefest bei herrlichem Spätsommerwetter

      “Du bist der Nächste Johnny, Rob wird noch ungefähr zehn Minuten auf der Bühne stehen. Wenn du also noch irgendwelche letzten Rituale hast, dann mach sie jetzt.” Ich nicke nur. Nein, nein, letzte Rituale habe ich nicht. Solche Rituale sind ohnehin eher etwas für Menschen, die zusätzlichen Halt benötigen. Ich wende mich ab und gehe ein kleines Stück weiter, um einen Blick auf die feiernde Menge zu erlangen. Ausgelassen hüpfen die Fans zum Takt auf und ab und an den Mündern erkennt man, dass die meisten die Texte aus dem Effeff beherrschen. Das Publikum ist nicht mehr ganz jung, die meisten zwischen 25 und 40 Jahren. Einige Ältere sind auch dabei, wobei älter relativ ist, 50 vielleicht. Diese Musik ist eben nur etwas für die jetzige Generation. Die ältere Generation mit ihrer Pop- und Rockmusik ist viel zu weich, zu indirekt. Dort geht es immer nur um die Liebe, die Eine und wie sie einen wieder verlässt. Einfach nur öde. Bei der jüngeren Generation wird alles nur noch elektronisch gemacht, kaum noch Texte, nur noch Beats und schrille Töne. Keine Ahnung, wie man das aushält. Aber das gleiche dachten meine Eltern auch immer von der Musik, die ich höre. Ist wahrscheinlich eines dieser universellen Gesetze.

      Vereinzelte Schleierwolken zieren den ansonsten blauen Himmel. Der Sommer in diesem Jahr ist glücklicherweise nicht so heiß, wie der letzte. Im vergangenen Jahr musste sogar ein Event ausfallen - es gab quasi hitzefrei, wie in der Schule damals. Verrückte Welt. Warm ist es aktuell trotzdem wieder, die jüngsten Nachrichten meldeten sogar, es könne sein, dass es im nächsten Sommer zu einem Wassermangel kommt - bei uns! Ich sag ja, verrückte Welt. Wenigstens geht heute ein wenig Wind. Eine kühle Brise an einem herrlichen Sommerabend, da könnte man auch zu Hause auf der Dachterrasse sitzen und sich ein frisches Bier vom Fass gönnen. Nur eines, der Körper soll schließlich fit bleiben. Seit viereinhalb Jahren läuft das Workout, jeden Tag, für 90 Minuten - so viel Zeit muss sein. Dieser Körper ist schließlich alles, was man hat.

      Die Bühne besteht aus drei Teilen, allesamt ca. 20m breit. Die Band zur Begleitung spielt auf der linken Seite, der Sänger selbst in der Mitte, direkt unter dem futuristischen Banner des Seefests. So richtig passt der Banner mit seinen geschwungen Formen nicht ins Bild, wir Rapper sind doch eher kantig und ecken hier und da an. Auf dem rechten Bühnenabschnitt ist Platz für den Chor oder für die Tänzer. Warum die Organisatoren nur die Hauptkünstler auf der mittleren Bühne haben wollen, ich weiß es nicht. Aber es ist die achtzehnte Auflage des Seefests, also werden die schon wissen, was sie tun. Die Lichtshow jedenfalls kann sich sehen lassen und dass trotz des geringen Kontrastes zur Sommersonne, die immer noch recht hoch am Horizont steht. Erste längere Schattenwürfe der Fichten sind jedoch erkennbar, reichen aber noch nicht ganz bis zum See. Im See selbst schwimmen tatsächlich noch Enten. Die scheinen sich an der ohrenbetäubenden Musik, die aus den zahlreichen großen Standlautsprechern kommt, nicht zu stören. Hin und wieder machen Sie das Headbanging mit und tauchen ein und oder zweimal ihren Kopf unter Wasser. Danach paddeln sie weiter seelenruhig durch das schimmernde Wasser.

      Das Areal ist riesig, bis zu 10.000 Fans sollen hier sein. Das ist schon eine ganze Menge. Mein erster und einziger Auftritt hier vor zwei Jahren war noch vor nur knapp 5.000 Fans und trotzdem ein voller Erfolg. Mit einem gelungenen Auftritt heute könnten die Verträge mit zwei Plattenproduzenten vielversprechend aufgestockt werden. Vielleicht reicht es dann auch endlich für den absoluten Tophit. Bislang war die beste Chartposition Nummer sechs. Das kann ja nicht das Ende der Messlatte sein. Drei Hits waren in den Top 10. Das ist für einen Rapper zwar schon beeindruckend, aber Rob, der arrogante Idiot, der gerade noch auf der Bühne steht, hat mit seinem aktuellen Hit sogar Platz drei geschafft - lächerlich, wenn man sich die Lyrics genauer anhört. Und Frank hat es sogar auf Platz zwei geschafft, was allerdings schon eine ganze Weile her ist. Zwei Jahre? Vielleicht sogar drei. Ich weiß es nicht mehr. Muss ich ihn später mal fragen. Die Fans heute jedenfalls scheinen weiter gut drauf zu sein, trotz der Tatsache, dass sie kaum Platz um sich rum haben. Eng gedrängt sind sie alle, wie Hühner in Käfighaltung. Nur dass es keinen richtigen Käfig gibt, lediglich Ordner in gelben Westen, die wohl als Hauptaufgabe haben, den Platz direkt vor der Bühne so gerappelt voll wie möglich zu halten. Das doch recht große Polizeiaufgebot scheint bislang nichts dagegen zu haben. Die halten sich weiter im Hintergrund auf, aber das mag auch andere Gründe haben. Schließlich ist dort etwas mehr Schatten und in all der Uniform schwitzt man bei dem Wetter schon leicht mal.

      Der Parkplatz, vor dem sich die Polizisten aufgestellt haben, ist jedenfalls bis auf den letzten Platz gefüllt. Und nicht nur dass, Steven hat mir vorhin gesagt, dass selbst die Zufahrtsstraßen kilometerlang zugeparkt sind. Aber Steven übertreibt auch gerne mal. Ist schon immer witzig mit ihm, hin und wieder ist er der reinste Chaot, aber dann gibt es auch wieder Momente, da wirkt er wie der Dalai Lama. Schätze als Drummer muss man ein wenig verrückt sein. Er ist übrigens jemand, der Rituale hat. Jetzt wischt er wahrscheinlich gerade mit dem gestickten Tuch seiner verstorbenen Großmutter seine Drumsticks ab, nicht irgendwie, sondern von unten nach oben - immer von unten nach oben - genau sieben Mal. Er meint sieben sei seine Glückszahl. Glück - meiner Meinung nach hat das Leben nichts mit Glück zu tun, wenn man hart schuftet, kann man alles erreichen. Die drei Top 10 Hits sind nicht auf Grundlage von Glück entstanden, sondern weil wir täglich an uns arbeiten und uns nicht mit weniger als dem Besten zufriedengeben. Und genau das ist der Grund, warum wir es auch auf Platz eins schaffen werden. Vielleicht ja schon mit dem neuen Lied Harte Bandagen, das wir heute das erste Mal live spielen werden.

      “Eine Minute noch Johnny! Wo steckt dein Drummer?”, fragt mich einer der Organisatoren. “Keine Panik, der beendet nur noch gerade sein Ritual, bin mir sicher, er ist jede - da kommt er doch. Stellt ihr nur sicher, dass mit der Technik alles funktioniert, den Rest besorgen wir dann schon.” Na dann wollen wir mal - drei Songs singen, drei krasse Performances abliefern und drei Mal wird die Crowd ausrasten. Los geht es mit Schmerz, dann Gegen den Rest der Welt und schließlich der neue Hit Harte Bandagen. Als Steven sich neben mir aufstellt, kann ich mir einen Spruch nicht verkneifen. “Steven, bist du bereit, hast du deinen Stick wieder mal poliert?”, necke ich. Er kennt meine Eigenheiten und weiß inzwischen damit umzugehen. “Haha, mach dich nur lustig.”, antwortet er, “Es sind vier Sticks und ja, frisch geputzt und poliert. Let’s go!”

      

Image

      Auf einer Bühne zu stehen, ist nicht immer leicht. Ich kann mich noch erinnern, dass ich als kleines Kind enormes Lampenfieber hatte, als wir eine Schulaufführung hatten, bei der ich die Raupe Nimmersatt gespielt habe. Minutenlang habe ich mich geweigert, auf die Bühne zu gehen und selbst meine Mutter konnte mich nicht beruhigen. Als Kind kann man jedoch sehr von anderen Kindern beeinflusst werden und als mir der große Bruder meines besten Freundes Gregor von seinem Lampenfieber berichtet hat und sagte, dass man von