Die Kellnerin kam zu Joes Tisch und der erste Schluck des eigentlich noch viel zu heißen Kaffees wandelte Joes Aufregung auf fast magische Weise in Neugier. Er beobachtete den Fremden, der sich inzwischen mit dem Barkeeper unterhielt. Es bereitete Joe sogar Spaß. Er stand auf, holte sich eines der elektronischen Readboards, auf dem schon die neueste Ausgabe seines Musikermagazins zur Verfügung stand und setzte sich wieder zu seinem Kaffee. Dann versuchte er, die Unterhaltung des Fremden irgendwie mitzuhören, um zumindest herauszubekommen, was das Thema war, oder welche Sprache dort gesprochen wurde. Doch er schaffte es nicht: Er war einfach zu weit entfernt und die Unterhaltungen der anderen Gäste hielten den Geräuschpegel permanent hoch.
Aber Joe fiel zumindest nicht auf und wurde auch nicht als Detektiv erkannt. Er wirkte nach außen hin wie ein Mann, der auf der Durchreise ein wenig Zeit hatte und sich die Langeweile mit einem Kaffee und einer Lektüre vertrieb. Von Zeit zu Zeit sah er auf und warf einen schnellen Blick in Richtung des Fremden, der sich nach wie vor mit dem Barkeeper unterhielt.
Plötzlich wurde Joe klar, dass der Fremde den Barkeeper wohl schon länger kannte, denn die Unterhaltung schien sehr angeregt zu sein und ging offenbar über den üblichen Smalltalk hinaus. Ein erster kleiner Ermittlungserfolg! Joe lehnte sich entspannt zurück in seinen Sessel und nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse, wobei sich ungewollt ein großer Schwall des immer noch heißen Kaffes direkt in seine Luftröhre ergoss.
Von einem Augenblick zum nächsten wandelte sich Joes Gesichtsfarbe in ein ungesundes Rot. Er hustete, rang nach Atem. Kaffee lief ihm von hinten in die Nase, die wie Höllenfeuer zu brennen begann. Nichts schien zu helfen. Joe fühlte, wie sich seine Kehle immer weiter zuschnürte.
Inzwischen zog er die Aufmerksamkeit jedes einzelnen Gasts im Café auf sich. Also riss er sich irgendwie zusammen, versuchte, den Atem anzuhalten, stand schnell auf und verschwand auf die Toilette, wo er seinem Husten noch einmal freie Fahrt geben konnte.
Nachdem sich Joe dann für ein paar Minuten auf eines der Waschbecken gestützt und tief durchgeatmet hatte, normalisierte sich sein Zustand langsam wieder. Er blickte auf und betrachtete sich im Spiegel: Seine Haut war blass, seine Augen wirkten milchig und blutunterlaufen und auch die tiefen Ränder darunter waren wieder zu sehen.
Aber Joe wollte jetzt nicht einfach aufgeben: „Los, Joe: Weitermachen!“, sagte er laut zu sich selbst: „Das ist jetzt Dein Job. Du bist jetzt ein gottverdammter Schnüffler.“ Noch ein kurzer Schluck Wasser direkt aus dem Hahn, dann ging Joe wieder hinaus in den Coffee-Shop.
Zu seiner Überraschung standen zwei ältere Damen an seinem Tisch und schienen auf ihn zu warten. Joe begriff die Lage schnell: Die Beiden hatten ihn wohl erkannt und wollten ein Autogramm. Die Katastrophe war also perfekt und um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen, bog Joe direkt nach rechts Richtung Tresen ab. Der Fremde saß immer noch an gleicher Stelle und Joe war erleichtert, dass er ihn nicht aus den Augen verloren hatte. Er zahlte seinen Kaffee, ging hinaus und postierte sich an einem Pfeiler, schräg gegenüber dem Eingang, so dass er diesen noch gut im Auge hatte, insofern dies beim Gewühl und der Hektik der voreilenden Leute überhaupt möglich war. Dann betätigte er den Alarm-Knopf in seiner Jackentasche. Oulax hatte ihm diesen kleinen Sender gegeben, damit er sich bei Bedarf unauffällig melden konnte. Im Büro gab es dann ein piepsendes Signal und auf dem Computermonitor erschien der genaue Standort des Senders.
Oulax hatte dieses Ding wohl selbst gebaut, denn es sah nicht aus, als ob man es im Laden kaufen konnte. Er hatte Joe erklärt, dass der Sender ein anderes Frequenzband und eine andere Verschlüsselung benutzen würde als die handelsüblichen Kommunikatoren. So hätten Fremde nicht so einfach die Möglichkeit ‚mitzuhören‘.
Aber Joe war das in diesem Moment vollkommen egal. Er war nur heilfroh, dass er den Sender bei sich hatte und hoffte, dass er auch funktionierte, denn nichts sagte ihm, dass sein Hilferuf auch gehört wurde. Er konnte jetzt einfach nur dastehen, dem Haquriten beim Kaffeetrinken zusehen und von Zeit zu Zeit versuchen, gedanklich den Sekundenzeiger seiner Armbanduhr zu beschleunigen. Dabei betete Joe innerlich, dass weder der Fremde noch seine beiden vermeintlichen Fans plötzlich aus dem Coffee-Shop traten.
Als sich nach ein paar Minuten die Eingangstür zum Café tatsächlich langsam öffnete, stockte Joe für einen kurzen Moment der Atem. Doch aus dem Café kam ein Mann, den Joe gar nicht dort bemerkt hatte. Ein langsames Ausatmen brachte Joes Puls dann wieder zurück auf Normalmaß.
Endlich bog Oliver um die Ecke. Joe deutete kurz und unauffällig mit dem Finger auf den Coffee-Shop und da Oliver dann genau auf die Eingangstür zuhielt, wusste Joe, dass er ihn verstanden hatte und machte sich wieder auf den Weg zum Lift.
Im Büro kam ihm Lora schon mit weit geöffneten Augen entgegen: „Was ist passiert? Warum brauchst Du so schnell Ablösung? Hast Du ihn überhaupt gefunden? Hat er Dich erkannt? Hat ...“
„STOPP!“ Joe schnitt ihr das Wort ab: „Eins nach dem Anderen.“ Er ging zur Sitzecke und ließ sich aufs Sofa fallen, das mit einem leidvollen Krachen antwortete.
„Ich hole uns Wasser!“ Lora ging in die Küche und war nur einen kurzen Augenblick später mit zwei Gläsern und einer Karaffe Wasser wieder zurück. Sie stellte das Tablett vorsichtig auf dem Tisch ab und goss beide Gläser voll.
„Hier, trink! Und dann erzähl, ich bin neugierig!“
Joe saß weiter mit zurückgelegtem Kopf auf dem Sofa und rührte sich nicht.
„Los trink schon!“, befahl Lora und hielt ihm das Glas vors Gesicht. Sie hatte Erfolg: Joe setzte sich auf, nahm das Glas und trank einen kleinen Schluck.
„Gut so!“ Lora stellte das Wasserglas zurück und setzte sich neben Joe.
„Ja, ich habe ihn gefunden und nein, er hat mich nicht erkannt, denke ich zumindest.“, begann Joe mit seinem Bericht: „Eigentlich habe ich ihn sehr schnell gefunden. Ich wollte von einem Coffee-Shop aus Frau Jones’ Laden beobachten und nach dem Hauquriten Ausschau halten, aber als ich in den Coffee-Shop rein bin, war der Typ schon drin.“
„Wow, cool! Und dann?“, fragte Lora weiter, während ihre Augen anfingen zu glänzen, wie die eines Kindes beim Anblick von Süßigkeiten.
„Dann habe ich mich an diesem dämlichen Kaffee verschluckt und zu guter Letzt kamen auch noch Autogrammjäger. Ach, weißt Du: Vergessen wir es! Gott sei Dank ist Alles noch mal gut gegangen und Oliver ist jetzt an ihm dran.“
„Kopf hoch: Du hast Dein Bestes getan und zumindest wissen wir jetzt, wo er ist.“ Lora stand auf und ging wieder in die Küche.
Eigentlich hatte Joe überhaupt keine Lust, sich zu bewegen, aber sein Durst war größer: Er beugte sich vor, nahm sein Glas und trank das restliche Wasser in einem Zug aus.
„Wo ist eigentlich Oulax?“, rief er Lora in die Küche hinterher.
„Hat einen Auftrag irgendwo auf Gesius. Er kommt heute Abend.“
In der Hoffnung auf etwas Essbares stand Joe letztlich doch auf und ging zu Lora in die Küche. Zu seinem Entsetzen sah er, wie diese gerade eine Hand voll tote Käfer durch eine Art Fleischwolf drehte.
„Oh Gott, was tust Du da?“, rief er und in seiner Stimme war das blanke Entsetzen zu hören.
„Zweites Frühstück. Möchtest Du auch was? Das sind Steinschaben, original aus Iridua, meiner Heimat!“
„Nein, danke!“ Joe drehte sich schnell um und ging zurück zum Sofa.
„Joe, probier‘ schon!“, drängelte Lora und lief mit einem Schabensandwich in der Hand im hinter ihm her: „Das ist eine echte Delikatesse! Ich habe mir am Computer das Serviceportal der Station angesehen und bin auf einen Versandhandel für Lebensmittel aus der ganzen Galaxie gestoßen. Und das Beste ist, dass die in null Komma nix liefern.“
„Später vielleicht.“, sagte Joe mit einem Lächeln, um seinen Würgereflex zu unterdrücken.