Mandy Sikes starrte Veyron ebenso verblüfft an wie Danny und Hunter. Nur Tom stand ungeduldig daneben. Diese Demonstrationen scharfer Beobachtung und die an Prahlerei grenzende Offenlegung des scheinbaren Zaubertricks erstaunten auch ihn zwar immer wieder aufs Neue, heute hatten sie es jedoch eilig und keine Zeit für Spielchen. Wenn Veyron recht hatte, wurden sie selbst bei Tage von den Spionen des Schattenkönigs verfolgt.
»Tun Sie einfach, was er will, oder er analysiert Sie immer weiter, bis er Ihnen noch sagt, auf welche Schule Sie gegangen sind und wie Ihr Hund heißt«, sagte Tom zu ihr und riss sie damit aus der Sprachlosigkeit.
»Ich … ich … habe keinen Hund«, stammelte sie.
»Nein, aber eine Katze, rotbraun getigert«, ergänzte Veyron.
Das war zu viel. Miss Sikes drückte eine Taste auf ihrem Tischplattenbildschirm. »Sicherheitsdienst!«
Tom zuckte zusammen, und Danny murmelte ein leises »Scheiße.« Hunter und Veyron blieben dagegen ganz ruhig. Es dauerte nicht lange, bis zwei bullige Sicherheitsmänner auftauchten, mit den obligatorischen Stöpseln im Ohr und Funkgeräten in der Brusttasche. Die Sonnenbrillen hatten sie nach oben geschoben.
»Was ist das Problem, Mandy«, fragte der Linke laut.
Miss Sikes deutete auf Veyron. »Mit dem da stimmt etwas nicht. Er … er bedroht mich.«
»Stimmt doch gar nicht«, protestierte Danny.
Tom pflichtete ihm sofort bei. Hunter sagte nichts, und Veyron drehte sich ganz gelassen zu den beiden Gentlemen um. »Ich bin Veyron Swift, und das sind meine Begleiter, Miss Gwen Hunter, Mr. Danny Darrow und mein Assistent Tom Packard. Wir möchten mit dem zuständigen Manager der Talassair-Abteilung sprechen. Ich fürchte, dabei ist es zu einem kleinen Missverständnis gekommen«, sagte er ruhig.
Die beiden Sicherheits-Gorillas schien das jedoch nicht zu interessieren. »Mir egal«, sagte der Linke – vielleicht konnte nur er sprechen – und deutete auf die Rolltreppe. »Sie verlassen jetzt auf der Stelle das Gebäude, Mister.«
Veyron rührte sich keinen Millimeter, sondern erwiderte die drohenden Blicke der beiden Sicherheitsleute mit einem sardonischen Grinsen. »Wohl kaum. Ich sagte ja schon, ich bin Veyron Swift und will nach Talassair«, wiederholte er laut.
Eben wollten die beiden Gorillas ihn packen, als ihre Funkgeräte piepten. Sofort ging ihr Anführer ran. »Was? Ich bin beschäftigt! Was? Uxbridge? Moment …«, sagte er und hob vor Veyron die Hand, um ihn aufzuhalten.
Doch der zuckte nur mit den Schultern. »Kein Problem. Ich habe Zeit«, meinte er süffisant, was den zweiten Sicherheitsmann die Augenbrauen zusammenkneifen ließ.
Sein Kollege hörte derweil angespannt zu, was man ihm zu sagen hatte. Schließlich atmete er erleichtert aus. »Alles klar, Mr. Uxbridge. Ich schicke die Leute rauf«, sagte er zu seinem unsichtbaren Gesprächspartner. Dann wandte er sich an Miss Sikes. »Falscher Alarm, Mandy. Mit diesen Gentlemen ist alles in Ordnung. Sie sind hier, um Mr. Uxbridge zu treffen.«
Mandy Sikes wirkte sichtlich erleichtert, sie loszuwerden. Die beiden Sicherheitsmänner geleiteten sie zum Lift und erklärten ihnen – ausgesucht höflich auf einmal –, wohin sie fahren müssten. Dann wandten sie sich ab.
Tom betrat hinter Veyron den Lift. Hunter drückte die Taste für den 28. Stock; Danny schaute neugierig umher.
Nachdem sie wieder unter sich waren, wandte sich Tom an seinen Paten. »Sie kannten diese Miss Sikes also? Was hatte sie mit dem Supersonic-Vorfall zu tun?«
»Prinzipiell gar nichts. Ich habe mich nur an ihren Namen und ihre Stimme erinnert. Ich hatte sie am Telefon, als ich damals unsere Sitzplätze gebucht habe – nach dem kleinen Trick, an den du dich vielleicht noch erinnerst.«
»Sie erinnern sich an die Stimme und den Namen einer Frau, mit der sie nur ein einziges Mal zwei Minuten am Telefon gesprochen haben? Nach fast zwei Jahren?«, mischte sich Hunter mit deutlich hörbarem Unglauben ein.
Veyron drehte sich zu ihr um. »Selbstverständlich«, sagte er und schaute sie an, als wäre es das Normalste auf der ganzen Welt.
Danny lachte laut auf. »Klasse! Sie sind echt ’ne Marke!«
Tom grinste und wünschte, Hunter könnte ihr eigenes, vollkommen perplexes Gesicht sehen.
Kurz darauf standen sie vor der Bürotür von Mr. Kevin Uxbridge. Die Vorzimmerdame ließ sie eintreten und meldete ihre Ankunft.
Kevin Uxbridge, ein hagerer Mann mit rotblondem Schopf und großen grünen Augen, hieß sie mit überschwänglicher Freundlichkeit willkommen.
»Endlich, endlich, endlich! Ich habe ja schon viel von Ihren Unternehmungen gehört, Mr. Swift. Von dem Vorfall mit den Vampiren von Surrey zum Beispiel, oder diese Sache mit dem Troll von Notting Hill. Mann, Mann, Mann! Endlich lerne ich Sie einmal persönlich kennen«, rief er begeistert und schüttelte Veyrons Hand kräftig und anhaltend.
Tom musste schmunzeln, als er den leicht verstörten Gesichtsausdruck seines Paten bemerkte. Veyron betrachtete seine Fälle und ihre Lösungen stets mit distanzierter Nüchternheit und machte aus ihnen nie eine große Sache.
»Ihre Begeisterung ehrt mich, Mr. Uxbridge, aber wir sind wegen ernster Angelegenheiten hier. Wir brauchen dringend einen sicheren Weg nach Elderwelt. Ich weiß, dass die Ramer-Stiftung über mehr als einen Durchgang dorthin verfügt«, versuchte Veyron mit erhobener Stimme zur Sache zu kommen.
Uxbridges glühende Begeisterung ließ sich jedoch kaum bremsen. »Aber klar, aber klar, aber klar. Kein Problem. Ich habe bereits mit Mr. Farin Nachrichten ausgetauscht und die Erlaubnis erhalten, Sie rüberzuschicken. Sie wissen ja gar nicht, wie aufregend diese Sache für mich ist. Der König zählt Sie zu seinen engsten Freunden, wissen Sie? Das ist etwas, das nur ganz wenige Menschen dieser Seite des Unsichtbaren Vorhangs von sich behaupten können. Seit zehn Jahren hat Seine Majestät diesen Teil der Welt nicht mehr besucht und lässt auch niemanden hinüber. Leider. Dass man Ihnen diese Erlaubnis gewährt, dürfen Sie als ausgesprochene Ehre ansehen«, plapperte der Mann drauflos.
Veyron stand, wie Tom mutmaßte, kurz davor, die Augen zu verdrehen, aber er beließ es bei einem geschäftsmäßigen Lächeln.
Uxbridge erklärte seiner Vorzimmerdame, dass er die Gäste nach ›unten‹ bringen würde, und dann verließen sie geschlossen das Büro. Hunter wollte schon den Weg zurück zum Aufzug einschlagen, als sie Uxbridge an der Schulter fasste und in eine andere Richtung drehte. »Nein, nein, nein. Nicht diese Aufzüge. Die gehen nur hinunter in die Lobby und die Tiefgarage. Wir müssen noch ein paar Stockwerke tiefer, wissen Sie? Wir nehmen die gesperrten Lifte. Das ist alles so aufregend! Ich habe erst vor ein paar Minuten den Schlüssel dafür von Mr. Farin erhalten. Normalerweise werden diese Lifte nie benutzt, wissen Sie?«, erklärte er und führte sie den Korridor hinunter. Dabei kamen sie an zahlreichen Bürotüren vorbei, die nicht beschildert waren. Dieser Teil des Wolkenkratzers stand offensichtlich leer.
»Ich verstehe immer noch nicht, wie wir hinüber nach Elderwelt gelangen sollen«, sagte Hunter halblaut.
Uxbridge in seiner grenzenlosen Euphorie setzte zu einer Erklärung an, doch Tom unterbrach ihn sofort. »Nein, sagen Sie es ihr nicht!«
»Nur zu, Uxbridge«, widersprach Veyron, »erklären Sie es ihr. Miss Hunter genießt unser volles Vertrauen. Sie darf ruhig in das Geheimnis eingeweiht werden.«
Tom hielt diese Auffassung seines Paten für sehr leichtfertig.
Uxbridge zwinkerte seine leichte Verwirrung fort. »Ja, warum auch nicht? Also, vor vielen Jahrtausenden gab es einen Orden mächtiger Zauberer, die Illauri. Sie haben eine Trennwand zwischen unserer Welt und Elderwelt geschaffen, um die mystischen