»Der steht nicht mehr auf«, meinte er lapidar.
Danny klatschte begeistert in die Hände. »Haben Sie gerade einen Drift gemacht? Mit einem London City Bus? Mit einem Bus?«
Veyron zuckte nur beiläufig mit den Schultern. »Mathematisch war es machbar und physikalisch nicht unmöglich, da wir nicht voll besetzt sind. Wichtig war nur, einmal komplett herumzukommen, um die kritische Masse zu erreichen, einem Vampir auch wirklich alle Knochen zu brechen. Das sind verdammt zähe Burschen«, dozierte er gelassen.
Die Freude über den Triumph währte nur kurz. Tom bemerkte es als Erster. Aus seinem eigenen Schatten trat plötzlich schwarzer Dampf hervor. Schon im nächsten Moment manifestierte sich der verhüllte Dämon inmitten der Reisekabine, in den Händen sein schwarzes Schwert. Sofort war Tom auf den Beinen, das Daring-Schwert zum Kampf erhoben. Die Juwelen glühten hell. Der Fremde zögerte keinen Moment, machte einen Ausfallschritt, schlug mit seinem Schwert zu. Tom parierte den Hieb und musste sich anstrengen, seine Waffe nicht sofort fallen zu lassen. Normalerweise focht das Daring-Schwert fast von allein, er brauchte es eigentlich nur festzuhalten.
Diesmal war sein Gegenüber jedoch kein vorwitziger Schrat, sondern ein Dämon von unglaublicher Macht. Eine ganz andere Energie lag in seinen Hieben, eine, die es mit dem Geist des Daring-Schwerts aufnehmen konnte. Tom ächzte unter dem zweiten Schlag seines Feindes, unter dem Dritten wich er zurück. Der Schattendämon setzte ihm nach, und mit nur einer einzigen geschickten Drehung seiner Klinge hebelte er Tom die Waffe aus der Hand. Das Daring-Schwert wirbelte davon, zum allerersten Mal im Duell besiegt. Tom ließ sich rücklings fallen und entging einem vierten Hieb, der ihn ansonsten enthauptet hätte. Er rutschte ein Stück über den Boden. Als er aufblickte, ragte der Schatten über ihm auf, das Schwert zum Stich erhoben.
»Tom!«, hörte er Jane rufen. Sofort war die Polizistin bei ihm, stieß ihn mit dem Fuß zur Seite und hob die Hände. Der Schatten zögerte jedoch nicht; es schien ihm nicht einmal in den Sinn zu kommen, dass man sich ergebende Feinde verschonen könnte. Er stach Jane in die Hüfte.
»VEYRON«, kreischte sie verzweifelt.
Tom riss entsetzt die Augen auf, als er Jane Willkins zusammenbrechen sah. Er stürzte zu ihr, nahm sie in die Arme und versuchte sie in Sicherheit zu schleppen. Der Schatten war ihm egal, und es kümmerte ihn auch nicht, als dieser erneut sein schwarzes Schwert hob, um sie beide zu töten.
Doch dazu kam es nicht. Eine unsichtbare Macht packte den Schatten und katapultierte ihn zwischen die Sitzreihen.
Veyron ließ den Bus von einer Seite zur anderen schwanken, indem er pausenlos am Lenkrad kurbelte. Chichester Road neigte sich dem Ende zu, ging über in Delamare Terrace – und gleich dahinter lag der Paddington Branch, ein für die Schifffahrt freigegebener Kanal. Veyron hielt mit Vollgas darauf zu.
Mit einem markerschütternden Knall durchbrach der Bus das stählerne Geländer und stürzte zwischen den verankerten Kuttern und Hausbooten in den Kanal. Tom sah noch, wie der Schattendämon in schwarzen Dampf vaporisierte und im Dunkel zwischen den Sitzlehnen verschwand, als hätte es ihn nie gegeben. Im nächsten Moment erfolgte der Aufprall, der Tom nach hinten gegen die letzte Sitzreihe schleuderte, Jane noch immer fest in den Armen. Wasser begann, durch die zerborstene Heckscheibe in den Bus zu strömen.
Danny Darrow kam zu ihm geklettert, zog Tom auf die Füße. Gemeinsam hoben sie Jane hoch und schoben sie vorsichtig durch die Heckscheibe nach draußen. Inzwischen lag sie auf einer Linie mit der Wasseroberfläche. Nicht mehr lang und sie würden komplett untergehen.
»Raus, oder wir sitzen da drin in einer Mausefalle«, sagte Danny.
Nachdem Tom sich vergewissert hatte, dass Veyron und Hunter ihnen folgten, kletterte er hinter Danny nach draußen. Sie schwammen mit Jane auf die Kaimauer zu. Die Polizistin hatte zwischenzeitlich das Bewusstsein verloren, doch jetzt erlangte sie es wieder. Sie schrie auf und begann, um sich zu schlagen. Tom hielt sie fest und erklärte ihr, dass alles in Ordnung sei, sie wären in Sicherheit.
Er schaute sich um. Hinter ihnen tanzten die Köpfe von Agent Hunter und Veyron auf dem Wasser.
»Da hin!«, rief er und steuerte mit Jane das nächste Hausboot an.
Leute säumten plötzlich den Kai, leuchteten mit Taschenlampen in Richtung des halb versunkenen Busses. Einige warfen ihnen von den Hausbooten aus Leinen zu und zogen sie an Land.
Tom und Danny kümmerten sich sofort um Jane, die sich kaum aufsetzen konnte. Sie streifte sich den Blazer ab und zerriss ihr Hemd an der Stelle, wo das Schwert des Schattendämons sie getroffen hatte. Tom wollte den Blick von der scheußlichen, tiefen Wunde abwenden und konnte es nicht. Das Blut floss in regelrechten Strömen, bis Jane ihre Hand mit dem Stofffetzen darauf presste.
»Ruft einen Notarzt! Ruft irgendwer den Notarzt! Hilfe!«, schrie Tom die herumstehenden Leute an.
Jane sank zusammen. Hunter riss einem Schaulustigen das Smartphone aus den Fingern und tippte eine Nummer.
»Wir bleiben am Wasser, bis der Krankenwagen kommt. Im Wasser greift seine Magie nicht. Hier sind wir sicher«, erklärte Veyron halblaut.
Tom packte seinen Paten am Arm. »Wer um alles in der Welt war das? Von einer solchen Kreatur habe ich noch nie zuvor gehört.«
Veyron atmete tief durch. »Er war einmal ein Mensch, jetzt ist er der schrecklichste Dämon, den die Welt je gesehen hat. Er ist einer der Sieben Schatten, der engsten Vertrauten des Dunklen Meisters, absolut loyal und vollkommen gewissenlos«, erklärte er.
Tom schaute zu Jane, die am Boden lag und zitterte.
»Mir ist kalt. Das ist der Schock, schnell, deckt mich zu und sorgt dafür, dass ich nicht das Bewusstsein verliere«, befahl sie ihren beiden Freunden.
Veyron nahm von einem der Umstehenden eine Decke entgegen und breitete sie über Jane. Tom, der nichts weiter tun konnte, dachte über die Worte seines Paten nach. Der Dunkle Meister! Schon zweimal hatten sie es mit seinen Anhängern, einmal sogar mit seinem Geist zu tun bekommen, nun also auch noch mit seinen obersten Handlangern. »Wer ist er, dieser Dämon? Und woher kennen Sie ihn?«
Veyron prüfte Janes Puls, und der ernste Gesichtsausdruck, den er machte, gefiel Tom gar nicht.
»Er ist der Schattenkönig, die rechte Hand des Dunklen Meisters. Ich hatte schon einmal mit ihm zu tun«, sagte Veyron leise. Er beugte sich über Jane und redete auf sie ein, wach zu bleiben.
»Was ist passiert?«, hakte Tom nach.
Es verging ein Moment, ehe Veyron antwortete. »Ich habe verloren.«
3. Kapitel: Ganz neue Wege
Veyron sollte recht behalten: Zu weiteren Angriffen des Schattenkönigs und seiner Vampire kam es diese Nacht nicht mehr. Es verging eine halbe Stunde, ehe Rettungskräfte und die Polizei eintrafen. Jane wurde sofort in den Rettungswagen verfrachtet und mit Höchstgeschwindigkeit ins Saint Mary’s Hospital gefahren. Nach einer kurzen Befragung durch die Polizei verlangte Veyron, dass Tom, Danny, Agent Hunter und er selbst ebenfalls medizinisch erstversorgt wurden. Bevor die Beamten sich wieder auf sie stürzen konnten, um ihnen Fragen zu stellen, auf die Tom keine Antwort zu geben gewusst hätte, brausten auch sie mit Blaulicht davon Richtung Notaufnahme. Sollte die Polizei doch den versenkten Bus fotografieren und andere Zeugen befragen – es standen ja genügend Leute rum. Unterwegs kamen ihnen Einheiten der Feuerwehr und noch mehr Polizei und Rettungskräfte mit Sirenen und Blaulicht entgegen. Die Medien hatten ebenfalls nicht lange auf sich warten lassen. Als sie im Krankenhaus eintrafen, beugten sich die Patienten im Empfangsbereich über ihre Smartphones und unterhielten sich über das, was bereits auf YouTube die Runde machte: Videoaufnahmen der brennenden Fahrzeuge und des versenkten Busses im Paddington Branch. Es wurde gemutmaßt und spekuliert, was geschehen war. Von der Wahrheit, da war Tom sicher, waren jedoch alle Theorien meilenweit entfernt.
Im Behandlungsraum entfernten ein Arzt und eine Schwester