Mayer nickte ihr wohlwollend zu und lächelte freundlich, bevor er dazu überging, den nächsten neuen Kollegen vorzustellen. Rebecca putzte sich ein weiteres Mal die schweißnassen Hände an ihrem Rock ab. Ihr Herz schlug noch immer bis zum Anschlag und eine heiße Anspannung durchflutete sie.
Nach drei anstrengenden Stunden endete die erste Lehrerkonferenz an der neuen Schule und Rebecca konnte nicht schnell genug aus dem lauten Raum flüchten. Ihre Schultasche hing bereits über der Schulter, als sich ihr der Kollege näherte, der ihr in den Morgenstunden in der Aula mehrfach sein Lächeln geschenkt hatte. Bisher war sie jeglicher Kommunikation aus dem Weg gegangen und hatte nicht vor, heute und hier Anschluss zu finden. Dafür war schließlich das gesamte Schuljahr Zeit.
»Warten Sie kurz!«, rief er ihr nach und holte mit großen Schritten auf, vorbei an den Kollegen, die ebenfalls nach draußen stürmten. Rebecca wartete, um nicht unhöflich zu erscheinen, hatte aber keine Lust auf Smalltalk.
»Ich bin Robert Kanter, der Mittutor in Klasse 12.« Er entblößte seine Zähne und streckte ihr seine Hand entgegen, die sich verschwitzt anfühlte.
»Rebecca Peters. Schön, Sie kennenzulernen.«
»Wir duzen uns hier.«
Sie nickte.
»Und wer ist noch Tutor bei den Zwölfern? Nur wir beide?«, wollte Rebecca wissen.
»Nein, Sabrina. Aber sie war heute nicht da, sonst hätte ich sie dir vorgestellt.«
Da er nichts sagte, entstand eine unangenehme Pause. Verlegen strich sich Robert durch sein volles braunes Haar.
»Und du unterrichtest Deutsch für Katharina?«
»Frau Fritsche? Ja. Aber nur wenige Stunden. Bin ja bloß die Vertretung«, lachte Rebecca, peinlich berührt von ihren dümmlichen Worten.
»Was unterrichten Sie? Äh du.«
»Mathe und Physik.« Irgendwie passte diese Fächerkombination zu seinem Aussehen, das leicht abgedreht wirkte. Inzwischen standen sie nahezu allein vor der Tür zum Konferenzzimmer. Nur Mayer und ein paar Mitglieder der Schulleitung waren noch drin, um die Technik abzubauen.
»Warst du schon im Lehrerzimmer?«, fragte Robert und Rebecca nickte abermals.
Sie war dort, hatte sich vor der Lehrerkonferenz sämtliche Unterlagen geschnappt und sie in ihre Tasche gestopft. Einzig der Stundenplan interessierte sie. Mit den fremden Namen auf den Kurslisten konnte sie nichts anfangen.
»Gehst du jetzt essen?«, fragte Robert.
»Ich koche zu Hause.« Auf ausufernde Gespräche hatte Rebecca keine Lust. Der Schädel brummte nach dem langen Sitzen, Zuhören und Mitschreiben. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, weil sie nur noch eins wollte: schleunigst heim.
»Ich gehe zum Chinesen nebenan. Komm mit, wenn du magst. Dann können wir über die Schüler in deinem Kurs sprechen.« Sollte sie sein Angebot einfach ausschlagen? War es unhöflich, jetzt »Nein« zu sagen?
»Okay«, gab sie knapp zur Antwort.
Rebecca hängte ihre Tasche um und folgte Robert. Er humpelte ein wenig. Ihr war auch nicht entgangen, dass sein Gesicht nicht ganz ebenmäßig war. Beim Sprechen hing ein Mundwinkel von ihm leicht nach unten. Beinah so, als wäre eine Körperpartie gelähmt. Der verschrobene Gesichtsausdruck machte ihr ein wenig Angst.
Das Chinarestaurant lag nur ein paar Meter von der Schule entfernt. Obwohl Robert nicht sicher lief, besaß er einen schnellen Gang. Rebecca hatte Mühe, seinen raschen Schritten zu folgen.
»Wohnst du schon lange hier?«, griff er das Gespräch auf, als sie sich dem Lokal näherten.
»Seit drei Jahren.«
»Hört man.« Robert stierte permanent beim Gehen auf seine Füße, als befürchtete er, hinzufallen.
»Wieso?«
»Dein Dialekt klingt nicht unbedingt so, als würdest du schon immer hier leben.«
Er musste ja nicht gleich am ersten Tag erfahren, dass man ihre Heimat erst nach etlichen Autostunden erreichte.
Inzwischen waren sie am Restaurant angekommen. Robert hielt ihr gentlemanlike die Tür auf. Ein schwerer Bratengeruch durchsetzte die Luft. Die Fenster ließen nur wenig Sonnenlicht in die Gaststätte, sodass sie stickig, dumpf und beklemmend wirkte – wie eine heruntergekommene Spelunke.
»Guten Tag«, sagte eine kleine, asiatisch aussehende Kellnerin, die Rebecca und Robert am Eingang der Gaststätte empfing. Auf dem Arm trug sie zwei, in roten Samt eingebundene Speisekarten. Die Bedienung entsprach genau dem Klischee einer Asiatin mit ihren pechschwarzen, kurzen Haaren und dem auffallend rundlichen Gesicht.
»Einen Tisch für zwei Personen«, orderte Robert.
»Möchten Sie drinnen oder draußen essen?«, fragte die Kellnerin mit fast melodischem Klang.
»Wollen wir draußen sitzen?«, wandte sich Robert an Rebecca, die mit einem Kopfnicken bejahte.
Die Bedienung vollführte eine einladende Handbewegung und geleitete sie hinaus ins Freie. Im Hinterhof des Restaurants waren Tische aus Metall aufgestellt. Die Stühle besaßen einen einheitlichen Grauton, der wenig gefällig wirkte. Immerhin sorgten grüne Sonnenschirme und asiatische Dekoration für den nötigen Charme. Irgendwo mussten sich Bambushölzer befinden, die gegeneinander schlugen und einen hohlen Klang verbreiteten, der harmonisch ins Ohr ging.
Rebecca und Robert erhielten einen schattigen Platz neben einer mittelgroßen Buddhastatue zugewiesen. Das breite Lächeln zeigte exakt auf Rebecca.
»Du musst über seinen dicken Bauch streicheln. Das bringt Glück«, flötete Robert, der ähnlich breit grinste wie die Skulptur.
Rebecca zog beide Augenbrauen nach oben. »Wer weiß, wer den schon alles angefasst hat.«
»Dann eben kein Glück«, sagte Robert. Seine strahlenden Zähne bildeten einen auffallenden Kontrast du seinem schiefen Mund. Rebecca verkniff sich, ihn auf seine Lähmungserscheinungen anzusprechen. So etwas gehörte sich ihrer Meinung