Dann stirb doch selber. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746794990
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Scheiben. Das Prasseln des endlich einsetzenden Regens war wie eine Erlösung für meine wunde Seele. Waschtag! Ich holte mir ein Glas Wein, legte die Füße hoch und trank es schnell leer.

      Auf einmal sah ich Harry. Die Hände fest zum Gebet gefaltet, in einem mit weinrotem Samt ausgeschlagenen Sarg. Wie auf ein Zeichen hin versuchte er sich gegen den Deckel zu stemmen, frische Erde drang zu ihm herein und bedeckte seinen Körper. Zum Zuschauen verdammt war ich bei ihm, bis sein Kopf mit einem breiten Lachen im blassen Gesicht durch den frisch aufgeworfenen Grabhügel herausschaute. Gemeinsam beobachteten wir, wie hinter ihm eine tiefe, schwarze Grube entstand. Aus den hohen Bäumen drang Juttas Stimme zu mir: „Wenn das Grab einstürzt, stirbt bald wieder jemand aus der Familie, der Tote holt sich einen Kameraden, einen Kameraden, einen Kameraden...“ Ich hielt mir die Ohren zu. Harry würde so etwas nie tun, er liebt mich doch, oder vielleicht gerade aus diesem Grund?

      Jetzt hatte er mich erkannt, seine Züge hellten sich auf. Ich wusste, es war ein Traum, aber ich konnte ihn nicht beeinflussen, wiederholte immer wieder: „Harry, komm her, halt mich fest!“ Aber je mehr ich ihn mir herbei wünschte, um so weiter entfernte er sich.

      „Magdalena, das ist kein Ort für dich!“, mahnte er mich und löste sich langsam im Nebel auf. Zurück blieb ein offenes Grab, das auf mich zu warten schien.

      Als ich wieder zu mir kam, tat mir alles weh. Natürlich war das kein Ort für mich, aber auch nicht für ihn. Ich holte mir Sylvias Pillendöschen, doch bevor ich eine nahm, las ich auf dem Etikett:Trockenextrakt aus der Baldrianwurzel und alles mögliche. Von Diazepam keine Rede. Ich trank noch ein Glas Wein hinterher und legte mich ins Bett. An die Decke starrend, wartete ich auf den Schlaf, ahnungslos gegenüber dem, was in nächster Zeit auf mich einstürzen würde.

      Freitag 23.8.

      38. Szene

      Magdalena

      Am nächsten Morgen wollte ich ein ausgiebiges Bad nehmen, aber dann kamen Sylvia und Julia. Sie brachten einen selbstgebackenen Kuchen mit und einen Kaffee, der Tote zum Leben erwecken konnte, nur eben nicht Harry.

      „Du kannst nicht ewig Trübsal blasen, das Leben geht weiter, und Harry hat dich immerhin geliebt. So was erleben manche Menschen nie!“ Julia nahm ihren Teller in die Hand, lehnte sich zurück und erzählte von einsamen, ungeliebten Männern, die Tag für Tag und Nacht für Nacht zu ihr kamen.

      Julia war eine Zauberfee, und das hielt ich für die hübscheste Umschreibung ihres Berufes überhaupt. Bei ihr durften die Männer sich wünschen, was sie wollten, Dinge, die sie sonst nirgends bekamen. Dafür bezahlten sie gerne.

      Als ich zum ersten Mal davon erfuhr, war ich, wie wohl die meisten Menschen, erst einmal schockiert, versuchte mir ihr Leben auszumalen, ohne eine Ahnung davon zu haben. Ich musste einen Mann lieben oder wenigstens unheimlich anziehend finden, so wie Harry damals. Ohne Liebe war es für mich unmöglich, mit einem Mann zu schlafen. Julia konnte das, und verdiente dabei nicht schlecht. Trotzdem wurden wir Freundinnen. Wir respektierten einander.

      Bei einem festen Kundenstamm war Julias Risiko relativ gering. Die Herren waren verheiratet, scheuten jeglichen Skandal und suchten in der Regel Abwechslung von ihrer lustlosen Ehefrau oder den richtigen Kick.

      „Sag mal, Julia, vor ein paar Tagen stand so ein Typ mit Maske und langem schwarzen Mantel vor deiner Tür, wollte der was Bestimmtes?“, fragte Sylvia recht naiv.

      Julia lachte, „natürlich wollte der was Bestimmtes, sonst wäre er ja nicht zu mir gekommen.“

      „Mit einer Maske? Hast du so was öfters?“, wollte ich wissen.

      „Manche brauchen das, und bei ihm ging es sogar noch weiter.“

      „Ach!“ Sylvia legte ihre Gabel weg und beugte sich vor.

      „Ihn törnen gut platzierte Schläge an, die Maske ist nur Teil seines Spieles. Aber sonst ist er total nett und unheimlich großzügig.“

      „Und hast du es ihm ordentlich gegeben?“ Ich sah Sylvia mit schwarzen Lackstiefeln und Peitsche über einem armen wimmernden Mann stehen und auf ihn eindreschen. Das war wirklich zu komisch.

      „Er ist verheiratet, da muss man sehr vorsichtig vorgehen, damit keine Andenken zurückbleiben, sonst kriegt er daheim Ärger.“

      Sylvia ereiferte sich: „Aber das will er doch, oder?“ Sie sah mich fragend an.

      Unwissend zuckte ich die Schultern. „Keine Ahnung!“ gab ich zu, denn Harry hatte so etwas nicht begeistert.

      „Falls du es mal ausprobieren willst, nimm auf jeden Fall etwas Flaches, einen Tischtennisschläger zum Beispiel oder die Rückseite einer Haarbürste“, empfahl Julia und aß ihren Kuchen weiter, als hätte sie gerade irgendwelche Tipps über das Rühren von Knetteig gegeben.

      „Das ist gar keine so schlechte Idee, wenn ich mir vorstelle, dass ich im Krankenhaus Tag für Tag schufte und es doch nie so weit bringen werde wie du, dann könnte ich mir wirklich vorstellen, in Zukunft für Geld Männer zu verhauen!“ Bei dieser Vorstellung verschluckte ich mich beinahe und außerdem bahnte sich bei mir ein Lachkrampf an.

      „Du brauchst gar nicht zu lachen, Magdalena, ich trage mich schon lange mit dem Gedanken, dem Krankenhaus den Rücken zu kehren. Öffentlicher Dienst hin oder her, was hilft es mir, wenn sie jetzt öffentlich auf unserem Rücken sparen?“

      „Was willst du denn sonst machen?“, fragte ich, und Sylvia zuckte unwissend die Schultern: „Weißt du, das ist im Moment nicht so einfach.“

      Das Telefon klingelte, und Julia fragte: „Warum?“ Ich nahm den Hörer ab, lauschte und sah, wie Sylvia rot wurde und Julia ungläubig den Kopf schüttelte. Dann musste ich mich auf das Gespräch konzentrieren, es war sehr leise.

      „Hallo, Magdalena, ich muss dir unbedingt was erzählen!“

      „Wer ist denn da?“, fragte ich, weil ich die Stimme nicht zuordnen konnte.

      „Jutta“, antwortete das Flüstern. „Magdalena, das komische Verhalten hängt doch mit der Firma zusammen. Der Chef ist völlig fertig und verlangt dauernd nach dir. Hast du irgendetwas angestellt?“

      Ich schüttelte den Kopf: „Nein“, hauchte ich.

      „Er sagt nichts, aber diese verfluchte Stella hat...“

      Im Hintergrund wurde eine Tür geschlagen und dann erlebte ich das Donnerwetter: „Jutta!!!“, schrie er, und Jutta flüsterte: „Ich muss jetzt Schluss machen, ich ruf dich wieder an!“

      Was war das denn, so hatte ich meinen Chef noch nie erlebt! Ich setzte mich an den Tisch zurück und nahm einen Schluck Kaffee. Die beiden waren noch immer beim selben Thema.

      „Na, ich weiß nicht, Abfindung hin, Sicherheiten her, ich bin lieber meine eigene Chefin, da kann ich machen, was ich will!“

      „Du? Du musst doch machen, was die Männer wollen!“, schnaubte Sylvia verächtlich. Aber Julia nahm es gelassen, sie kannte diesen Standpunkt. Er rührte daher, dass Sylvia von Annas Vater verlassen worden war, als Ausgleich für ihre Erziehung diese Wohnung bekommen hatte und seither eigentlich kein großes Glück mehr mit Männern hatte, außer kleineren Spielereien.

      „Ach Sylvie, du siehst das völlig falsch, ich mache es, weil ich Spaß am Sex habe, und wenn es mir mal keinen Spaß macht, dann bekomme ich wenigstens gutes Geld dafür. Außerdem entlaste ich so manche Ehefrau. Im Prinzip ist es nicht anders als bei dir. Ich erbringe eine Dienstleistung. Du pflegst deine Männer so und ich pflege sie so, beides tut ihnen gut!“

      Sylvia schien nicht wirklich überzeugt zu sein und auch ich überlegte mir, ob ich mich jeden Abend vor einem anderen Mann ausziehen und seine Wünsche erfüllen wollte. So lustig, wie Julia das manchmal schilderte, konnte ich es mir nicht vorstellen.

      „Lass uns nicht streiten, in deinem Zustand ist das nicht gut“, lenkte Julia versöhnlich ein, und ich merkte, dass mir vorhin