»Wer ist was?«, schnauzte Xaith, wobei er so ernst wie möglich den Jungen anstarrte, damit dieser bloß nichts Falsches sagte.
Siderius zeigte auf Jin, sprach aber zu Xaith. »Na er ist der, den du liebst. Aus deiner Heimat.«
Jin fuhr wieder zu Xaith herum. Was auch immer sein seltsamer Blick bedeuten sollte, Xaith nahm sich nicht die Zeit, ihn zu deuten.
»Ist er nicht«, sagte er scharf und ging an Jin vorbei, dessen ungläubige Miene ihm folgte.
»Aber…«, Siderius konnte nicht die große Klappe halten, betrachtete Jin verwirrt, »…er sieht aus wie der von den Zeichnungen aus deinem Buch.«
»Tut er nicht.«
»Doch, wie der eine...«
»Klappe!« Xaith legte ihm die Hand über den Mund. »Das ist er nicht«, knurrte er genervt, schob sich auch an Siderius vorbei und schritt auf einen Türrahmen zu, spähte in den anderen Raum, durch dessen Bretterwände noch mehr Licht fiel.
Sie waren hier nicht sicher vor dieser Kreatur, sie würde die Hütte mit einem Schnauben auseinanderreißen. Ein sanfter Schmetterlingsflügel könnte das.
Als er zurückkam, starrte Jin ihn an, als hätte er ihm ewige Liebe geschworen, zutiefst gerührt und gleichzeitig voller Bedauern. »Du hast mich gezeichnet?«
»Nein«, gab er zurück und beugte sich dabei drohend über ihn, bevor er weiter ging und auf Jins Sachen zusteuerte.
Es fehlte ihm gerade noch, dass ein weiterer Schönling dachte, er wäre ihm verfallen. Bei Kacey war er schwach geworden, das gab er zu, aber er hatte genug Männer begehrt, die sich nach anderen sehnten. Jin gehörte gewiss nicht dazu, das hatte er auch nie.
»Doch, hat er«, sagte Siderius. »Häufig sogar.«
»Der Junge hat Wahnvorstellungen.«
»He!«
»Xaith…«
Jins flehender, lieblicher Tonfall wurde von dem grellen Kreischen eines wahrlich wütenden Monsters unterbrochen.
Sie fuhren herum und starrten zur Tür. Offenbar ließ die Wirkung der Lichtexplosion nach und das Biest schüttelte die Verwirrung ab.
Wie aufs Stichwort greinte der Schreihals, als ob er auf den Ruf antworten wollte.
Er machte seinem Vater alle Ehre, brachte Xaith doch immer wieder in richtig beschissene Schwierigkeiten.
Xaith fluchte, er packte Jins Arm und drehte ihn zu sich um. »Gibt es hier irgendwo ein sicheres Versteck? Eine Höhle, ein Felsspalt? Irgendetwas, das nicht brennt?«
Jin blinzelte ihn als, als musste er die Fragen erst einmal im Kopf wiederholten und fachkundig inspizieren, eher er ihre Bedeutung begriff.
»Keller«, spuckte er dann aus, »es gibt einen Keller unter dem Haus.« Er zeigte an Xaith vorbei zu seinem Sack, daneben zeichnete sich auf dem Boden eine Eisenluke ab.
Der Wald krachte, als ob die Kreatur auf dem Boden durch die Bäume brach und direkt auf sie zuhielt.
»Besser als nichts«, beschloss Xaith, schob Jin an sich vorbei und griff dann nach Siderius, der mit dem Kind nur zu gerne auf die Luke zueilte.
Xaith überlegte ernsthaft, ob er sich freiwillig auslieferte, nur um nicht auf unbestimmte Zeit mit Jin in diesem dunklen Keller festzusitzen.
Jin. Warum denn ausgerechnet Jin?
Vermutlich wollte er Vaaks damit beeindrucken, so wie er es sein Leben lang getan hatte. Sicherlich malte er sich bereits aus, wie Vaaks‘ Liebe für ihn überfloss, wenn er ihm den verschollenen Bruder zurückbrächte.
Nein, er hatte wahrlich keinen Funken Freude daran, in dieses Loch zu steigen, aber am Ende tat er es doch, und keinen Augenblick zu früh, denn die Hütte brach über ihnen zusammen und sperrte sie unter polternden Trümmern ein.
»Was für eine Scheiße.« Das letzte Wort gebührte Siderius.
~8~
Die Hauptstadt Solitude erblühte in der Mittagshitze. In den weißen Einkaufsstraßen tummelten sich Menschen mit spitzen Ohren, dunklen, geflochtenen Haaren und heller Haut. Knappe Kleider, bunte Stoffe, die Sonne schimmerte auf dem weißen Marmor der Villen, die über den Geschäfts- und Marktvierteln auf ummauerten Hügeln thronten. Auf den runden Mosaiken der Märkte war die Menge dicht gedrängt, es roch nach süßem Honig, gebratenem Fleisch und Kuchen. Fisch gab es am Hafen, wo die Dekadenz des Kaiserreichs aus allen Poren tropfte und sich hinter den Buntglasfenstern der Bordelle einladende Silhouetten abzeichneten.
Gedankenverloren saß Kacey in seiner Kutsche, Ardor schwieg ihm gegenüber, doch er blickte Kacey immer mal wieder besorgt an.
Alles schien so normal, die Bürger auf den Straßen, der weiße Marmor der Stadt, die vielen Gerüche, die lächelnden Gesichter und das Stimmengewirr, Schnauben der Pferde, Klackern der Hufe und das Rattern der Räder auf den gepflasterten Straßen. Und doch brodelte es unter der Oberfläche.
Es genügte ein genauerer Blick in die Seitengassen, auf die Türen der Schenken. »Keine Magier erlaubt«, als handelte sich um Hunde oder menschliches Vieh. Kacey sprangen diese mit roter Farbe bemalten Schilder nun häufiger auf. Natürlich hatte es solche Ablehnung schon immer gegeben, irgendwer hegte immer einen tiefsitzenden Groll, den er an irgendeiner Personengruppe auslassen musste.
Nicht nur unflätige Sprüche gegenüber Magier waren an die Mauern geschmiert, hie und dort konnte man auch Hass gegenüber Ausländern – Luzianern, Menschen mit runden Ohren, Tiervölker – herauslesen. Doch es hatte eine Zeit gegeben, da sich die Räte und die Politiker darum bemüht hatten, diese Hetze von ihren Mauern und Wänden abwaschen zu lassen.
Der Hass auf die Magier nahm zu, ohne genau bestimmen zu können, woher er kam und was die Bürger der Stadt am meisten fürchteten. Immerhin hatten die Magier dem Reich seit Jahrhunderten gedient.
Nun, da sie den Schutz der Völker des Reichs benötigt hätten, wendeten diese sich gegen sie. Vermutlich steckte schlichter Frust auf das eigene, öde Leben dahinter. Und viele schlossen sich wohl auch eher denen an, die wie sie waren. Normalsterbliche hielten zu Normalsterblichen. Warum sollte eine Person, die der Magie nicht mächtig, zu den Magiern halten?
Und doch hatte Riath genau das geschafft, ihm folgten nicht nur Magier.
Es gab Demonstrationen seit der Versammlung, kleine Gruppen hatten sich zusammengefunden, hoben an den Straßenecken die Fäuste in die Luft, riefen Parolen, vor dem Ratsgebäude und dem Gericht gab es einen regelrechten Auflauf. Angst und Wut waberten durch die Straßen.
Es war absolut surreal.
»Die Magie ist eine Gefahr! Die Magie ist unser Untergang. Die Magie will uns beherrschen! Macht die Augen auf, sie übernehmen uns!«, riefen sie im Chor.
»Magier dürfen nicht frei zaubern!«, mischte sich darunter.
»Sperrt die Magier ein!«
Als wären sie tollwütige Raubtiere.
»Magie gehört dem Volk, Magie muss uns dienen, nicht uns unterjochen.«
Kacey bemerkte es nicht, aber seine Hände ballten sich zu Fäusten, drückten bei jeder Parole fester zu, bis seine Nägel in seine Handinnenflächen schnitten. Er biss sich fast die Zähne aus.
Muss hart sein, immer den gütigen Hirten zu spielen, wenn man das Temperament eines Drachen in sich trägt.
»Sperrt die Magier in die Akademie, wir gehören der Magie nie.«
Oh ja, es brodelte unter der Oberfläche, Kacey spürte regelrecht, wie ihn das Feuer in seinem Magen verbrannte.
Eine Berührung am Arm ließ ihn herumfahren, seine Augen waren wild und