Riath lebte für die Jagd, nicht für den Genuss.
Kacey sehnte sich nach beidem, denn ein Mann brauchte zum Leben sowohl Sauerstoff als auch Wasser, so war es bei ihm mit Liebe und mit Lust. Er brauchte beides in der gleichen großen, überragenden Menge.
»Ich… kann meinen Vater nicht einfach hintergehen«, hörte er sich sagen, sprach aus dem Verstand heraus, nicht aus dem Herzen. »Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, dass du und der Kaiser einander ein Bündnis schafft, um die Magier zu schützen.«
Riath senkte enttäuscht die Lider, schwieg für einen Moment. Kacey hätte gern sein Gesicht berührt, ihn um Verzeihung gebeten.
»Du entscheidest, wozu du bereit bist, Kacey«, sprach Riath dann mit überraschender Nachsicht. »Doch wir wissen beide, dass du dich viel mehr davor fürchtest, wieder ein Sklave zu sein, als davor, dass deine neue Familie dich vielleicht als Verräter sieht.«
Kacey hob den Blick zu ihm, runzelte die Stirn.
Riath bewegte sich rückwärts. »Und am Ende werden wir alle in die Leibeigenschaft gezwungen, wenn wir uns jetzt nicht wehren. Glaub mir, das wird dir schneller bewusst, als dir lieb sein wird.«
Nachdenklich musterte Kacey Riath, der sich geschmeidig Schritt für Schritt von ihm entfernte, als hätte er Augen im Hinterkopf. »Denk darüber nach, ich bin noch ein paar Tage hier, du findest mich in einem Lager südlich der Stadtmauer. Ich bin sicher, dein Herz führt dich. Komm, wenn dir danach ist. Zum Reden oder…« Sein Blick fiel auf das Bett, er grinste und sah dann zurück zu Kacey, »…oder falls du nach all dem Gerede nach Zerstreuung suchst.«
Kacey fühlte sich ertappt, ein verräterischer Stich fuhr durch seinen Leib, als hätte ihn jemand von hinten mit einer brennenden Klinge durchbohrt.
Ha, so ähnlich hatte es Riath nur wenige Stunden zuvor ja auch gemacht.
Riath schmunzelte ihn schief an. »Keine Sorge, ich sage es auch keinem.«
Und dann ließ er ihn allein mit seinen wirren Gedanken und zwiespältigen Gefühlen. Und das Alleinsein hatte sich noch nie so erdrückend und düster angefühlt wie nach seinem Auftauchen.
Wir sind nicht so verschieden.
Warum nur hatte er damals das Bedürfnis gehabt, Riath diese Zeilen zu schreiben?
Weil er ihm nahe sein wollte, musste er sich eingestehen, weil er derjenige sein wollte, der Riaths Herz erreichte. Weil er… weil er diesen tief sitzenden, nicht zu beschreibenden Drang und Wunsch verspürte, etwas Besonderes zu sein. Kacey wollte derjenige, dieser eine Mann sein, den Riath nicht wie das Gehäuse eines abgefressenen Apfels wegwerfen konnte, nachdem er seinen Hunger gestillt hatte. Nein, er wollte die Nadel sein, die unter Riaths Haut drang, das Gift, das an ihr klebte und sich brennend in seinen Venen ausbreitete, ihn mit Atemnot und Herzrasen quälte. Denn nur, wenn Riath den Boden anbetete, auf dem Kacey wandelte, würde er nicht mehr zu dem ›elitären‹ Kreis der dummen Dingelchen gehören, die allesamt auf Riaths Charisma hereingefallen waren.
Nein, er wollte nicht noch einmal von Desith hören, dass er naiv gewesen war und sich von Riath hatte einlullen lassen, nicht mehr für ihn war als jeder dahergelaufene Knecht oder Küchenmagd. Oh nein, das war Kacey bestimmt nicht! Er würde es sich und der Welt beweisen – und vor allem Riath –, dass er mehr als ein Aperitif für ihn gewesen war.
Er spielte mit dem Feuer.
Oder… hatte er diese Zeilen am Ende doch genauso gemeint, wie er sie geschrieben hatte?
War sein Wunsch, etwas Besonderes zu sein, nicht genau das, was auch Riaths sich wünschte?
In allen Lebenslagen?
Verdammt.
*~*~*
»Was, bei allen verdammten Göttern und ihren Bastarden, tust du hier?« Xaith stand auf und riss den Händlersohn aus Nohva am Arm auf die Beine. Er steckte den Dolch zurück in seinen Gürtel.
Fenjin schwankte kurz, seine Kapuze rutschte endgültig zurück und die Morgendämmerung fiel auf sein ahornrotes Haar, das wie ein geschliffener Edelstein schimmerte.
Er hatte sich kaum verändert. Acht Jahre war es her, als sie sich zuletzt gesehen hatten, am Tage als der Leichnam von Xaiths Vater verbrannte, als Jin die Hand von … Vaaks gehalten hatte.
Jin. Der Rotschopf, der immer zwischen ihm und seinem Ziehbruder gestanden hatte. Jin mit den warmen Augen, dem strahlenden Lächeln, den vielen Sommersprossen auf Nase und Wangen. Sie waren mehr geworden, bedeckten sein halbes Gesicht und den wahnsinnig dünnen Hals, karamellfarbene Sprenkel auf elfenbeinfarbener Haut. Ein Makel für viele Menschen, doch Jin schmückten sie wie Blüten ein Gesteck. Acht Jahre und der Bursche war noch genauso makellos schön – auch wenn einige böse Zungen behaupten, die Sommersprossen würden seine Schönheit mildern – wie eh und je, vielleicht sogar durch den Hauch der erwachsenen Züge noch schöner.
Der allbekannte Neid stieg Xaith bitter in die Kehle, als sie sich Angesicht zu Angesicht in der dunklen, staubigen Hütte gegenüberstanden. Wie ungerecht das Leben doch war, dass Jin vom Scheitel bis in die Fußspitzen genauso perfekt war wie von seinem sanften, freundlichen und unkomplizierten Wesen.
Das wurde ihm wieder deutlich bewusst, als Jin ihn mit einem Lächeln ansah, als wären sie zwei alte Freunde, die sich nach Jahren in einer Kneipe wiedersahen.
Sie waren nur nie Freunde gewesen, doch das interessierte den anderen offensichtlich nicht.
»Ich habe dich gefunden!« Jins Lächeln wirkte erleichtert, sein schlanker Leib sackte ein Stück in sich zusammen. Er trug ein feines Seidenhemd mit verschlungenen Stickereien, bronzene Ranken auf dunkelrotem Grund, dazu feine Hosen in Schwarz und einen Gürtel ohne Schwert, seine Schuhe und sein Umhang wiesen Reisespuren auf, waren rissig und matschig.
»Ich bin so froh, dass ich dich endlich gefunden habe!« Ohne Vorwarnung sprang Jin ihn an. Xaith zuckte zusammen, doch es war zu spät, er war zu benommen von der unerwarteten Begegnung, um ihn aufhalten zu können. Schon lagen seine Arme um Xaiths Nacken und drückten ihn an sich. »Ich habe soooo lange nach dir gesucht! Ich bin durch die halbe Welt gereist, immer Riaths Meute nach, ich wusste, sie würden mich irgendwann zu dir führen!«
Jin sprach aufgebracht, hektisch, und seine Stimme brach, klang nasal, als stünde er kurz vor einem Ausbruch gerührter Freudentränen. Dabei rieb er die Wange an ihm, als könnte er erst glauben, dass Xaith echt war, wenn seine Bartstoppeln die zarte Haut in seinem Gesicht aufgerissen hatten.
Xaith war wie erstarrt, erwiderte die Umarmung nicht. Roch es plötzlich nach warmen Apfelkuchen?
Er vermisste Nohva mit einem Schlag, als ob man ihm das Herz aus der Brust gerissen hätte.
Neugierig spähte Siderius um ihn herum, musterte Jin. Das Kind in seinem Arm greinte.
Und da war noch etwas, das Xaith wahrnahm, schleichend aber unaufhaltsam. Es kitzelte in seiner Nase, stieg langsam wie Nebel in seinen Verstand und breitete sich kribbelnd über Kopf und Nacken aus.
Blut.
Jin blutete. Xaith hatte ihn verletzt. Nur leicht, aber genug, um seinen Durst zu wecken. Ihm wurde heiß und seine Kehle wurde mit einem Mal staubtrocken.
Grob packte er Jin an den Oberarmen und drückte ihn von sich weg. Er sah noch dessen überraschtes Gesicht, die wässrigen, riesigen Iriden, eher er die Augen zusammenpetzte und die Luft anhielt.
»Xaith…« Siderius` Stimme klang, als hätte Xaith Wasser in den Ohren. Gedämpft, weit weg, unverständlich. Doch die Besorgnis war ihm anzuhören.
»Jin…«, Xaith knurrte, »… Blut.«
Er spürte die Bewegung, als der Rotschopf sich an die Kehle fasste und ein trockenes »Oh« ausstieß.
»Ich … ich kann… ich hab ein Tuch!« Jin wollte zurücktreten, fischte in seiner Tasche nach dem besagten