Er verzog das Gesicht. »Ich war Autor!«
Darüber hinaus war er bereits verlobt gewesen!
Nun … über dieses Detail hatte er nie ein Wort verloren.
Sie zeigte ihm die Zähne. »Aber das Buch hat keine richtigen Sexszenen.«
…
Allmählich wurde es lächerlich …
»Was hat das denn bitte schön mit mir zu tun?«
Sie kicherte. »Na, das macht dich noch unschuldiger als du sowieso schon aussiehst.«
Er zog eine Augenbraue nach unten. »Unschuldig?«
Nach all den sexuellen Erlebnissen der letzten Tage? Nachdem er einer fest in seinen Armen haltenden, zutiefst beschämten, seinen Namen wimmernden Liza selbstbewusst und fordernd einen Höhepunkt beschert hatte – im Vorhaus, vor dem großen Spiegel … splitterfasernackt?
»Leute, jetzt ist aber genug!« Elegant schwang Christof einen dieser gewaltigen aus Edelstahl bestehenden Suppenschöpfer durch die Luft. »Wir haben eine Menge zu tun! Heute treffen neue Gäste ein. Und wir sind erst ab morgen wieder vollzählig. Über kindischen Kleinkram könnt ihr euch in der Pause unterhalten. Jetzt wird gearbeitet.«
Wie ein Blitz schoss es Jan in den Kopf.
Er musste Liza anrufen!
»Ich muss schnell mein Handy holen«, meinte er mit Blick zum Küchenchef. »Ich habe gänzlich vergessen, Liza über meine Ankunft zu benachrichtigen. Kann ich noch für ein paar Minuten verschwinden?«
Tina warf ihm ein wissendes Lächeln zu. »Nicht einmal drei Tage zusammen – und schon verhaltet ihr euch wie ein altes Ehepärchen … Wann folgt die Hochzeit?«
Hochzeit?
Daran hatte er keine einzige Sekunde lang gedacht.
Wahrscheinlich aus dem einfachen Grund, weil er sich mit Liza dergestalt komplettiert fühlte, als wären sie mittlerweile zwanzig Jahre lang verheiratet – oder länger …
»Geh nur.« Christof nickte knapp. »Wenn wir diese Zeitspanne nicht ohne dich auskämen, dann muss ich wohl meinen Job an den Nagel hängen.« Eben wollte er sich wegdrehen, da hielt er schlagartig inne.
Jan fürchtete bereits eine weitere angedeutete Rüge.
»… Und vergiss nicht, Liza Grüße von uns auszurichten.«
Dankend und mit leichtem Herzen eilte er aus der Küche.
Seine Kollegen und Vorgesetzten waren neben Liza das wunderbarste, das ihm hatte passieren können.
Er hechtete die Stufen hoch, flitzte den Korridor entlang und hielt stolpernd an seiner Zimmertür. Hastig drückte er die Klinke nach unten, rutschte ab – und der goldfarbene Mechanismus schnellte gellend zurück. Der markerschütternde Lärm tat ihm sowohl in den Ohren als auch im Magen sowie in einem jeden einzelnen seiner Zähne weh.
Von dem Schock noch leicht benebelt, trat er ins Zimmer – und wurde von einem intensiven Vanilleduft begrüßt, welcher seinen Nerven sachte Beruhigung schenkte.
Sein Blick schweifte durch den mit gediegenen Holzmöbeln eingerichteten Raum.
Warme Sonnenstrahlen fielen durch zwei kleine mit altrosafarbenen Gardinen umrahmte Kastenfenster, strichen zärtlich über den quadratischen unter dem rechten Fenster befindlichen hellen Holztisch, wanderten weiter über den in Pastellfarben gehaltenen Teppichboden, auf welchem große Blumenmuster prangten, und malten aufgrund der groben Storespitze verschwommene Schattenbilder von Rosen und Veilchen auf die gegenüberliegende feinkörnig verputzte weiße Wand.
Vereinzelte durch die Luft tanzende Staubpartikel funkelten wie kleine Sterne in einer klaren Winternacht – oder wie Schneeflocken während ihres Spaziergangs damals im Schneegestöber …
Liza.
Er stürmte zum Holztisch. Auf dessen linker Seite stand sein Buch – mit dem weiß-goldenen Einband und den goldenen Lettern. Rechts befanden sich aufeinandergestapelte Reise- und Naturzeitschriften. In der Mitte lagen ein Dutzend alte Zettel beschrieben mit törichten Ideen, die zu vermeintlichen neuen Romanen hätten führen sollen. Dazu gesellten sich verpackte Schokoriegel, verstreute Toffees, zwei weiße Plastikkugelschreiber, sein zugeklapptes Elf-Zoll-Notebook, drei noch nicht vollständig ausgefüllte Lohnsteuerjahressausgleiche, Hermann Hesses Briefe- und Gedichtsammlung »Mit der Reife wird man immer jünger« sowie sein schwarzes Portemonnaie, eine Packung Taschentücher und die letzte von ehemals eintausend Visitenkarten, welche er einzig aufgrund seines Autorendaseins hatte drucken lassen.
In anderen Worten: Es wurde allmählich Zeit, ein wenig aufzuräumen.
Er verjagte die unwichtigen Gedanken und richtete den Blick auf den lackierten hellen Holzsessel mit elfenbeinfarbener Stoffpolsterung.
Da lag es – wie er es Donnerstag Abend hingelegt hatte: sein weißes Samsung Galaxy S.
…
Donnerstag … keine vier Tage waren seitdem vergangen. Dennoch schien es wie eine Ewigkeit … wie ein anderes Leben.
Jan aktivierte das Display – nichts geschah.
Akku leer!
Natürlich!
Mit klopfendem Herzen fasste er nach dem Ladekabel, steckte es in die Steckdose und verband es mit dem Smartphone. Quälend langsam vergingen die Sekunden bis das Display zum Leben erwachte und ihm einen ansteigenden Ladebalken zeigte.
Endlich.
Er schaltete das Gerät ein, wartete ungeduldig, bis die charakteristische Samsung-Melodie erklang und er den PIN-Code eintippen durfte. Alsbald das Hintergrundbild erschien – ein NASA-Foto der Milchstraße – rief er die Mailapp auf und wartete auf den Eingang neuer Nachrichten. Keine zehn Sekunden später trudelte Lizas Mail ein, bestückt mit Fotos und ihrer Telefonnummer, welche er sofort zu den Kontakten hinzufügte und daraufhin anwählte.
Drei Freizeichen musste er warten, bis Lizas vertraute Stimme erklang. In dem Augenblick wünsche er sich nichts sehnlicher, denn für immer mit ihr zusammen zu sein.
Würde dieser Wunsch in Erfüllung gehen? Würden sie bald eine Wohnung teilen dürfen? Gemeinsam aufwachen, gemeinsam schlafen gehen, gemeinsam essen, gemeinsam fern sehen?
Damals hatte er nicht im Geringsten geahnt, wie bald und welch schreckliche Ereignisse zu diesem Umstand führen sollten. Ganz zu schweigen von den Strapazen, welche sie beide danach zu bewältigen hatten.
Hätte er zu jener Zeit davon gewusst, er hätte seinen Wunsch expliziter formuliert.
Kapitel 32 – Neuigkeiten
Nach einem anstrengenden Arbeitstag ließ ich mich erschöpft ins Bett fallen.
Anna hatte mir selbstredend einige Fehler unter die Nase gerieben. Glücklicherweise konnte sie mir damit nicht mehr dermaßen wehtun, wie noch eine Woche zuvor. Lediglich ein Gedanke an Jan – und unangenehme Emotionen verpufften. Seine Liebe wirkte wie ein Schild, welcher mich vor sämtlichen Angriffen schützte.
Meine Seele sich leicht wie eine Daune anfühlend kuschelte ich mich tief ins Kissen.
Sollte ich mein neu erstandenes Trailermusic-Album Kaleidoscope von Jo Blankenburg anhören, oder doch lieber nur an Jan denken?
Ich brauchte nicht lange darüber nachzugrübeln, denn mein Herz nahm mir die Entscheidung gerne ab.
…
Wie würde der Samstag verlaufen? Was würde Jan mit mir anstellen?
…
Jäh zog mein Magen sich krampfhaft zusammen.
Das