Hatte, oder wollte sie ihn nicht verstehen? „Ich wiederhole mich nur ungern ...“.
Sie ließ ihn nicht ausreden. „Na ja, dann eben nicht.“ Sie warf ihm einen herablassenden Blick zu, legte die Hand über die Augen, wippte nervös mit dem Bein. Lilo war zerknirscht. Sie stand auf, griff nach ihrer dünnen Stola, die sie über einen Stuhl geworfen hatte und richtete sich kerzengerade auf, als ob diese Bewegung auch in ihrem Hirn etwas in Bewegung gesetzt hätte. Ihr Bein bewegte sich noch immer. Sie ließ ihren Blick zu Eddie wandern. Eine Weile sagte sie gar nichts. Lilo stand nur hoheitsvoll da, in ihr leichtes, pastellfarbene Etuikleid mit Spaghetti-Trägern gehüllt, tadellos gekleidet, wie immer, wie eine Priesterin in ihrer Robe und nestelte an ihrer Halskette. Dann wandte sie sich Eddie zu. Sie sah in ein ausdrucksloses Gesicht mit markanten Zügen und einem kühlen, distanzierten Schmunzeln. Lilo wusste, dass er sie im Stillen taxierte – und es missfiel ihr. Sie schaute ihn konsterniert an.
„Einen Versuch war es jedenfalls wert“, sagte sie abschied nehmend. Ein leises, hintergründiges Lächeln spielte um ihre gekräuselten Lippen. Sie zuckte mit den Schultern. „Sie haben mich nicht einmal nach dem Namen meines Mannes gefragt.“
„Nun, ich denke es ist alles gesagt.“ Eddie erhob sich, froh, zu einem Ende gekommen zu sein und machte keine Anstalten, ihr mit dem Tuch behilflich zu sein. Vielleicht verspürte er, dass sie nicht in der Stimmung war, sich verwöhnen zu lassen. Sie ging mit den Worten „Moser, Paddy Moser“ davon, aufrecht, fast steif.
Er dachte, ob man sie nun mochte oder nicht, sie war jedenfalls eine bemerkenswerte Frau, ein Knaller. Intelligent und attraktiv. Man musste vermutlich so sein wie sie, wenn man mit einem Mann wie Paddy Moser verheiratet war. Gefangene in einer freundlosen Ehe.
Und dann viel es ihm wieder ein. Das war doch eben Liese-Lotte mit Bindestrich Müller die ihm gegenüber saß. Einst Traum seiner schlaflosen Nächte.
Gewiss war er damals kein Adonis, ein vollschlanker Bube mit Pickeln und Brille, aber seine Augen besaßen einen humorvollen Schimmer und seiner Stimme hörte man an, dass er gern lachte. Sie hatte sich sehr rasch seinem Dunstkreis entzogen.
Wie war das nochmal?
Sie kannten sich von den Pfadfindern. Liese-Lotte, Theo und er. Paddy, um einiges älter, war der Rudelführer.
… schon in jungen Jahren litt sie an gnadenloser Selbstüberschätzung, nachdem sie die Wahl zur Miss Offenbach gewonnen hatte.
Eddie konnte nicht genau das Datum nennen, an dem ihre Beziehung zu Paddy anspruchsvoller wurde, die nun zu einer Belastung in ihrem Leben geworden war. Damals, als Paddy seine ganze Aufmerksamkeit immer mehr auf seine Karriere und seinen Ehrgeiz richtete. Sie war für ihn immer nur eine Trophäe. Ein Accessoire, wie ein Ring oder seinem zahllosen Lametta, dass er um den Hals trug. Er hatte sie nie wirklich geliebt. Sie war einfach da. Zur rechten Zeit am rechten Ort, aber eben nur die zweite Wahl. Hatte Lilo das alles nur verdrängt, oder tatsächlich vergessen? Liese-Lotte mit Bindestrich Müller. Nur noch eine hübsche Ruine! Nicht alltagstauglich.
Von Anfang an hatte Paddy in ihrer Ehe das Sagen. In den vielen Jahren ihres Zusammenseins bestimmte er allein ihre Unternehmungen, mit wem sie verkehrte und was sie unternahm. Vielleicht hatte sie jemanden gebraucht, der ihr alle Entscheidungen abnahm, sie umsorgte und verwöhnte. Vielleicht hatte sie die Möglichkeit gebraucht, selbst in einem anderen zu verschwinden. Anfangs hatte Lilo nichts dagegen gehabt, dass Paddy ihr Leben in die Hand nahm. Er wusste, was für sie am Besten war. Er meinte es nur gut. Wie hätte sie, die aus bescheidenen Verhältnissen stammte, ein arme Leute Kind, wo man jeden Pfennig zweimal umdrehte, ohne sein Geld, überleben können?
Aber dann hatte sie in zunehmendem Maß, vielleicht sogar ohne bewusste Absicht, versucht, sich selbst zu behaupten. Lilo fing an sich mit Paddy zu streiten. Sie trug Kleider und Farben, von denen sie wusste, dass er sie nicht mochte. Sie stopfte sich, kurz bevor er sie in sein Lieblingslokal ausführte, mit Süßigkeiten voll. Lilo weigerte sich seine Freunde zu kontaktieren, bis sie zuletzt aus dem Schloss auszog. Sie ließ sich nicht länger, als Anhängsel, auf die Ehefrau vom Moser reduzieren.
Theo war doch damals auch ganz verrückt nach ihr, viel es Eddie wieder ein, aber Paddy machte das Rennen, nachdem Salome verschwunden war.
Apropos Theo. Man könnte sich mal wieder auf ein Bier treffen und über die alten Zeiten reden.
Lilos Besuch würde ihn bestimmt interessieren.
Trotz der Absage beschloss Eddie, ein Auge auf Paddy zu werfen. Nur so. Aus Neugier.
Zum Aufgalopp, eine schöne Aufgabe für seinen Praktikanten.
In strahlendem Sonnenschein trat Lilo wieder auf die Straße. Ein durchdringender Geruch von Benzin und Abgasen lag in der vor Hitze stehenden Luft. Dunkle Wolken kündigten Regen für den späten Abend an.
In der Ferne erblickte sie Helen, die ihr freudig zuwinkte und näher kam.
„Wo steht Dein Wagen?“, fragte Helen Lilo, als sie frohgemut über den betonierten Fußweg zum Parkplatz ging.
Sie wandte sich ihr zu. „Ich bin mit dem Taxi gekommen.“ Ihr linker Mundwinkel zuckte.
Helen schaute Lilo verdutzt an und schloss ihr Auto auf. Kleine Fältchen zogen sich um ihre Augen. Zwei tiefe Furchen liefen zwischen Wangen und Nase. „Das klingt aber gar nicht gut. Steig ein. Ich habe Brot, Käse, Schinken und ein paar Tomaten im Kühlschrank.“ Helen zögerte, „das müsste reichen. Oder wollen wir uns etwas vom Italiener holen?“
„Quatsch. Ein Glas Wein reicht mir.“
„Mir auch. Um ehrlich zu sein, Käse und Schinken sind reichlich betragt.“
„Obwohl für Alkohol ist es noch zu früh ...“. Sie sah Helen kritisch an.
„Blödsinn. Irgendwo ist immer Abend! Wir lassen den Wolf vor der Tür und haben Spaß.“
Helen schloss die Wohnungstür auf, legte ihre Handtasche, die sie unter dem Arm trug, auf der Garderobe ab und stieg rückwärts aus ihren Sandalen, ging Barfuß in die Küche.
„Rot oder Weiß?“
„Rot. Rot beruhigt.“
„Du liebe Güte! Ist es so schlimm? Wie kommt es, dass Du mit dem Taxi gefahren bist? Hattest Du einen Unfall?“, fragte Helen und war selbst überrascht, als sie das Zittern in ihrer Stimme wahrnahm.
Lilo setzte sich, schlang die Arme um die angezogenen Beine, schluckte trocken und erzählte, unheilschwanger, wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch, Helen von ihrem Verdacht, dass Paddy eine Geliebte hatte. Sie berichtete geduldig von ihrem Treffen mit einem Privatermittler der Detektei Indiskret und das dieser den Auftrag aufgelehnt hatte. Lilo vergrub das Gesicht in den Händen. „Ich kann doch nicht einfach ins Schloss gehen und so tun, als sei alles in Ordnung! Wenn ich ihn fragen würde, würde er mir ausweichen oder alles abstreiten, dass weiß ich, so gut kenne ich ihn und zu einer Szene habe ich keine Lust. Das finde ich einfach unwürdig. Ich käme mir vor wie eine miese Schauspielerin in einer noch mieseren drittklassigen Schnulze“, ereiferte sich Lilo. „Würde ich ihm eine Szene machen, bekäme er sofort Oberwasser und würde, wie immer, die Schuld auf mich abwälzen.“
Helen schüttelte zustimmend mit dem Kopf. „Recht hast Du.“ Ihre Stimme gewann durch die Entrüstung wieder an Kraft.
So ging die Unterhaltung weiter bis in die frühen Abendstunden.
Inzwischen war es dunkel geworden. Helen stand auf, holte sich Zigaretten und ein Feuerzeug, öffnete die Balkontür, um die laue Nachtluft ins Zimmer zu lassen.
„Lass uns die Sache einmal ganz nüchtern betrachten. Du hast Paddy mit Loreley an einem Ort überrascht, wo er mit großer Wahrscheinlichkeit auch von anderen, ich meine von gemeinsamen Bekannten, gesehen wurde. Wenn er tatsächlich ein Verhältnis mit dieser Person hätte, würde er sich nicht mit ihr in der Öffentlichkeit blicken lassen. Zumindest kann ich mir das nicht vorstellen.“