Das Zimmer zeigte sich seinem Blick. Weiche Rosatöne mit zarten Nuancen von Grün und Hellblau kombiniert, ein cremefarbener Läufer, ein Korbstuhl, über dem seine Sachen für den nächsten Tag hingen, eine Kommode, ein kleiner Spiegel.
Er versuchte in die harmlose Alltäglichkeit seines Lebens zurückzufinden, indem er sich auf die Maserung der hellen Holzdielen und der hohen weißen Zimmerdecke konzentrierte, auf der Schatten tanzten.
Das war das Schöne an diesem Schloss, versuchte er sich abzulenken, dass man Luft zum Atmen hatte.
Ticktack.
Die Strategie half nichts. Sein Herz raste weiter wie verrückt. Die Brust war ihm so eng, dass er kaum atmen konnte. Paddy drückte seine Hand auf sein Herz, als könne er so den Schmerz abfangen, der ihn wie eine dumpfe Klinge eines Messers durchbohrte.
Paddy kannte den wiederkehrenden Traum, begleitet von der Kurzatmigkeit, dem Zittern der Hände, der lähmenden, namenlosen Angst, die jede Faser seines Körpers ergriff.
Ticktack.
Er warf die Decke zurück, stemmte sich in die Höhe und rappelte sich mühsam auf. Aber kaum hatte er die Füße auf den Boden gesetzt, da spürte er, wie seine Beine unter ihm nachgaben.
Ticktack.
Sein altes Herz fing an zu zucken, wie ein im Netz gefangener Fisch. Paddy brach kurz neben seinem Bett zusammen, dann war die Attacke auch schon wieder vorbei.
Er bewegte sich auf einem schmalen Grad zwischen Angst und Erregung, zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Vernunft und Wahnsinn. Paddy mochte nicht darüber nachdenken, was in ihm vorging.
Sein Herz hatte sich beruhigt, sein Atem ging wieder normal, der Schweiß auf seinem Körper war getrocknet.
Was soeben geschehen war, ließ sich mit gesundem Menschenverstand nicht erklären.
Devot hatte er folgenden Geistesblitz: Er würde sich kasteien, sich zur Buße, was auch immer er verbotenerweise getan hatte, züchtigen.
Paddy band sich einen Ledergürtel um den rechten Oberschenkel und zog ihn zu. Natürlich nicht zu fest, aber dennoch fest genug, dass er nicht herunterrutschte. Dankbar und erleichtert ließ Paddy sich in seine Kissen zurücksinken und genoss das Gefühl neuen Wohlbefindens. Mit Staunen verspürte er ein Hungergefühl.
Waren das Einbildungen eines alten Mannes? Oder am Vorabend ein Gläschen zu viel Absinth?
Der Auftrag – Detektei Indiskret
Der Sommer lag seit Wochen über der Stadt.
Lilo Moser stand vor der Zukunft wie vor dem Eingang eines langen dunklen Tunnels, trat auf der Stelle und hatte Angst vor dem ersten Schritt.
Mutig betrat sie durch eine Drehtür den Wolkenkratzer der Detektei Indiskret. Die durch die Klimaanlage gekühlte Luft schlug ihr unangenehm kalt ins Gesicht.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hatte sich hier viel verändert.
Begonnen mit Vater und zwei Söhnen. Ständiger familiärer Wechsel der Geschäftsführung. Teils freiwillig, meist jedoch verbunden mit einem Skandal. Aus der einst kleinen Dynastie war ein Imperium entstanden.
Im Vorzimmer gab es zwei Schreibtische und zwei Sekretärinnen. Der Energiepegel im Raum war hoch.
Beide Schreibtische waren ungeheuer aufgeräumt. Beide Sekretärinnen telefonierten hektisch, drücken Knöpfe und hackten im Zweifingersystem auf der Tastatur herum, starrten in ihre PCs, hatten augenscheinlich keine Zeit für die Besucherin.
Lilo begrüßte die Empfangsdamen. Die hübsche Blonde sah sie missbilligend an und unterbrach für einen Augenblick ihr Telefonat, indem sie die Hand über die Sprechmuschel hielt. „Zu wem wollen Sie? Haben Sie einen Termin?“, fragte sie nach kurzem Zögern, einen schnellen Seitenblick zu ihrer Kollegin werfend.
Lilo war erstaunt, dass man sie hier, in Frankfurt, als einen Niemand behandelte. In Offenbach wäre ihr das nicht passiert. Schließlich war sie die Frau von …
Andererseits war es pure Absicht über den Main zu fahren und um in Frankfurt um Hilfe zu bitten.
Eddies Praktikant tauchte wie aus dem Nichts vor ihr auf.
Bei dem sehr fotogenen Gesicht des Praktikanten, schön wie ein gefallener Gott, dachte man sofort an einen Tänzer. Ernst und schmal. Er hatte den durchtrainierten Körperbau und die Zartheit einer Gazelle. Nur der leichte Anflug von Bartstoppeln auf Kinn und Wange beeinträchtigten sein adrettes und gepflegtes Erscheinungsbild ein wenig.
Der Praktikant, so um die zwanzig, sah in Wahrheit zeitlos aus.
„Herr Fischer wird gleich Zeit für Sie haben“, sagte Kevin mit einer schönen tiefen Stimme. Er hatte einen frechen, irgendwie jugendlichen Zug um den Mund.
Lilo quittierte seine Worte mit einem höhnischen Lächeln.
„Hören Sie, Herr …, Termine sind meine Sache“, protestierte Sekretärin Nummer eins. Der Praktikanten reagierte nicht auf ihren Einwand und nichts in seinem Gesicht veränderte sich, abgesehen von einer sehr sparsamen Erregung um seine Augen. „Kommen Sie mit“, sagte er zu Lilo und machte eine kleine Kunstpause, hakte sie unter und tätschelte ihre Hand. „Sie werden bereits erwartet“, log er.
Kommentarlos drehte er den Empfangsdamen den Rücken zu, zog Frau Moser mit sich fort und führte sie zu einem Paternoster um die oberen Stockwerke zu erreichen.
Kevin hatte keine Ahnung wer diese reizende Dame war und Eddie wusste ebenso wenig Bescheid. Er wollte den beiden möchtegern Sekretärinnen lediglich wieder einmal eins auswischen.
„Können Sie meinen Mann überwachen? Ich glaube, er hat ein Verhältnis. Ihr Name ist Loreley, sie lebt mit ihm zusammen im Schloss“, seufzte sie und nahm Eddie gegenüber platz, knallte ihre Handtasche auf seinen Schreibtisch. Mit diesen Worten fiel sie, total überspannt mit der Tür ins Haus. < Dieses Äffchen klebt wie ein Stück Scheiße an seinem Absatz >, hätte sie am Liebsten gesagt. Ihr Puls raste, sie kochte vor Eifersucht. Um Fassung bemüht, blickte Lilo an ihm vorbei, starrte aus dem Fenster.
Eddie Fischer war ein ruhiger höflicher Mensch, der auf seine Umgebung ausgesprochen beruhigend wirkte, vielleicht weil er über seinem Ehrgeiz nie seine gute Erziehung vergaß. Alle mochten ihn. Einer der Gründe, weshalb sie ihn heute aufsuchte.
Der Ermittler der Detektei Indiskret überlegte, wie er aus dieser Nummer wieder rauskam. Kleinkram, wie stutenbissige, eifersüchtige Ehefrauen, lehnte er prinzipiell ab. Es war immer das gleiche mit nur geringfügigen Variationen. Er war doch kein Mülleimer, in den man seine Sorgen hineinwarf. Er konnte sie nicht ernsthaft beraten. Sie wollte reden und er sollte zuhören. Verständnisvoll, selbstlos, gerührt und sie vielleicht einmal auf die humorvolle Seite der Sache hinzuweisen.
Sein Blick streifte ihr Gesicht. Ihre Augen gefielen ihm gar nicht. Er sah Niedertracht darin, wie das Blitzen in den Augen einer zusammengerollten Schlange, die jeden Moment zuschnappen konnte.
Doch halt. Da war noch etwas. Er kannte sie. Diese exzentrische eigensinnige Person. Von wo bloß?
„Tut mir leid, da müssen Sie sich an einen Kollegen wenden.“ Er stützte einen Ellbogen auf die Stuhllehne und lehnte das Kinn in die Hand. „Das ist nicht mein Ressort. Meine Abteilung hat den Schwerpunkt: Wirtschaftskriminalität“, log er.
Die Zeit, wo er mit Kamera, Block und Stift sich die Nächte um die Ohren schlug, waren Gott sei dank schon lange vorbei. Es schauderte ihn, als er daran dachte, wie er mit Haarspray und Zahnbürste bewaffnet vor Fußabdrücken kniete um einen Gipsabdruck abzunehmen, mit einem Pinsel aus Marabu-Federn Fingerabdrücke sicherte, die Post aus dem Briefkasten fischte, den Müll durchsuchte ...
„Nur keine falsche Bescheidenheit. Sie sind ein erfahrener Detektiv.“
Eddie wollte sie unterbrechen,