Durch diese Belehrung waren wir nicht viel klüger geworden, bis wir aus der Rede des vortragenden Anwalts, der nun das Wort nehmen durfte, erfuhren, daß nach einer verjährten Bestimmung eines der Eduarde der Gerichtshof ermächtigt war, eine Person, welche des Verbrechens des »Tumultuirens« oder »Stoßens« in einer Kirche oder der dazu gehörigen Sakristei überwiesen würde, mit der Strafe der Exkommunikation zu belegen; und es ergab sich aus etlichen achtundzwanzig eidlichen Aussagen, welche zu diesem Behufe aufgenommen wurden, daß an einem gewissen Abende bei Gelegenheit der Abhaltung einer Versammlung der Genossen eines gewissen Kirchenspiels in einer gewissen Sakristei der Beklagte Thomas Sludberry sich dieses Verbrechens schuldig gemacht und an den Kläger Michael Bumple die Worte gerichtet: »wartet, ich will Euch,« und daß auf die Gegenvorstellungen des besagten Michael Bumple's und anderer, welche den besagten Thomas Sludberry die Unschicklichkeit seines Benehmens verwiesen, besagter Thomas Sludberry den vorbesagten Ausdruck: »wartet, ich will Euch,« wiederholt und ferner noch zu wissen verlangt, ob der besagte Michael Bumple »etwas von ihm wolle;« mit dem Zusatz, »daß, wenn besagter Michael Bumple etwas von ihm wolle, er, besagter Thomas Sludberry, der Mann wäre es ihm zu geben;« zugleich noch andere sündliche und ruchlose Ausdrücke gebrauchend, worauf sich Bumple beschieden und auf Geist und Absicht der Akte bezogen, und er also, zur Wahrung des Seelenheiles und zur Bestrafung Sludberry's, um den Spruch der Exkommunikation gegen denselben gebeten.
Ueber diese Thatsachen wurde dann zur großen Erbauung einer Menge bei den Pfarrgemeindestreitigkeiten betheiligten Personen, welche den Gerichtssaal erfüllten, von beiden Seiten eine lange Verhandlung eröffnet; und nachdem einige sehr lange und eindringliche Reden pro und contra gehalten worden waren, reassumirte der Herr mit dem rothen Gesichte und der Schildkrotbrille den Fall, was länger als eine halbe Stunde dauerte, und sprach dann über Sludberry das furchtbare Urtheil eines vierzehntägigen Kirchenbanns, nebst Verfällung in die Proceßkosten aus. Auf dieses wendete sich Sludberry, das ein kleiner Ingwerbierverkäufer mit einem rothen Gesichte und schelmischen Augen war, mit den Worten an den Gerichtshof, »wenn Sie die Güte haben möchten, ihm die Proceßkosten zu erlassen und dagegen den lebenslänglichen Kirchenbann über ihn auszusprechen, so würde ihm dieß weit angenehmer sein, denn er ginge überhaupt nie in die Kirche.« Dieses Gesuch beantwortete der Herr mit der Brille nur durch einen Blick tugendhafter Entrüstung, und Sludberry zog sich mit seinen Freunden zurück. Da uns der Mann mit dem silbernen Stabe die Mittheilung machte, das Gericht sei im Begriff, auseinander zu gehen, so zogen wir uns ebenfalls zurück und überdachten unterwegs den guten Geist dieser alten Kirchengesetze, die liebevollen und nachbarlichen Gesinnungen, die sie zu erwecken berechnet waren, und das feste Anschließen an kirchliche Institutionen, das sie hervorzurufen nicht ermangeln konnten.
Wir waren so sehr in diese Betrachtungen vertieft, daß wir auf die Straße gekommen und wider einen Thürpfosten gerannt waren, ehe wir uns erinnerten, wohin wir eigentlich gehen wollten. Wir hoben unsere Augen empor, um zu sehen, auf welches Haus wir gestoßen waren: da fiel uns das Wort »Prärogativgericht«, mit großen Buchstaben geschrieben, in die Augen, und da wir nun einmal schaulustiger Laune waren und der Zutritt Jedermann offen stand, so gingen wir hinein.
Das Zimmer, in welches wir traten, war ein langer, geschäftsmäßig aussehender Saal, welcher auf beiden Seiten in eine Menge kleiner Verschläge abgetheilt war, worin einige Schreiber Urkunden durchstöberten oder abschrieben. In der Mitte des Zimmers standen mehrere Pulte von beinahe Brusthöhe, an deren jedem drei bis vier über großen Bänden brütende Personen standen. Da wir wußten, daß sie Testamente untersuchten, so zogen sie im Augenblick unsere Aufmerksamkeit auf sich.
Die träge Gleichgültigkeit der Anwaltschreiber, welche eine gerichtliche Sache untersuchten, stach sonderbar gegen den Ernst und das Interesse ab, womit die anwesenden Fremden auf das Testament eines hingeschiedenen Verwandten sahen: die Ersteren nur dann und wann ungeduldig gähnend, oder ihre Köpfe erhebend, um nach den Aus- und Eingehenden zu sehen, die Letzteren über das Buch hingebeugt und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit Namenreihen herablesend.
Wir sahen einen kleinen Mann mit einem schmutzigen Gesicht und einer blauen Schürze, welcher den ganzen Morgen lang ein auf etliche und fünfzig Jahre zurückgehendes Register durchsucht und eben das Testament, welches er wollte, gefunden hatte. Einer von den Schreibern las es ihm mit leiser, hastiger Stimme aus einem dicken in Pergament gebundenen Buche mit großen Klampen vor. Es war augenscheinlich, daß, je mehr der Schreiber las, destoweniger der Mann mit der blauen Schürze von der Sache verstand. Als der Band zuerst herabgenommen wurde, nahm er seinen Hut ab, strich sich die Haare nieder, lächelte äußerst vergnügt und sah in des Schreibers Gesicht mit der Miene eines Mannes, welcher sich vorgenommen hat, kein Wort von dem zu verlieren, was er hört. Die zwei oder drei ersten Linien waren vernehmlich genug; aber dann begannen die Verwicklungen und der kleine Mann nahm einen etwas zweifelhaften Blick an. Dann kam eine ganze Reihe verworrener Pfandverschreibungen und jetzt war er ganz im Blauen. Als der Leser fortfuhr, war es augenfällig, daß es ein hoffnungsloser Fall war, und der kleine Mann mit seinem offenen Munde, die Augen auf das Gesicht des Schreibers geheftet, sah mit einem Ausdrucke der Verwirrung und des Geistesbankerotts darein, der unwiderstehlich zum Lachen reizte.
Ein anderer kleiner Mann, ein Greis mit harten Zügen und tiefen Furchen im Gesicht durchlas aufmerksam ein langes Testament mit Hülfe einer in Horn gefaßten Brille: von Zeit zu Zeit seine Untersuchung unterbrechend und irgend eine kurze Notize aus den darin enthaltenen Vermächtnissen zu Papier bringend. Jede Runzel um seinen zahnlosen Mund und seine scharfen, durchdringenden Augen zeugte von Geiz und Verschlagenheit. Seine Kleider waren fadenscheinig, aber es war leicht zu sehen, daß er sie aus freier Wahl und nicht aus Noth trug; alle seine Blicke und Geberden bei den äußerst kleinen Prisen, welche er dann und wann aus einer kleinen zinnernen Dose nahm, erzählten von Wohlstand, Entbehrung und Habsucht.
Als er langsam den Band verschloß, seine Brille zurückschob und seine Papierschnipsel in eine große lederne Brieftasche legte, dachten wir an den hübschen Handel, den der Wucherer mit armen Vermächtnißerben trieb, welche, des jahrelangen Wartens auf das Fälligwerden einer Rente müde, vom Mangel niedergedrückt, ihre Ansprüche, gerade als sie am meisten im Werthe stiegen, um den zwölften Theil desselben verkauften. Es war eine gute Spekulation – eine sehr sichere. Der Alte steckte sein Schreibbuch in die Brusttasche seines Ueberrocks und humpelte mit triumphirendem Blicke davon. Das Testament hatte ihn zum Wenigsten um zehn Jahre jünger gemacht.
Nachdem wir unsere Beobachtungen einmal begonnen, würden wir sie gewiß auf wenigstens noch ein Halbdutzend Personen angewendet haben, hätte uns nicht das plötzliche Aufräumen und Einschließen der wurmstichigen alten Bücher darauf aufmerksam gemacht, daß es jetzt Zeit sei, die Schreibstube zu schließen. Unserer Schaulust wurde dadurch ein Ziel gesteckt – vielleicht im Interesse unseres Lesers, indem wir ihn jetzt nicht länger mit unseren Beobachtungen langweilen können.
Auf unserem Heimwege stieg unwillkürlich eine Reihe von Betrachtungen über die seltsamen alten Zeugnisse des Wohlwollens und des Uebelwollens, der Mißgunst und der Rachsucht, der den Tod überlebenden Liebe und des das Grab überschreitenden Hasses in uns auf, welche hier niedergelegt sind; stumme, aber augenfällige Beweise von Herzensgüte und Seelenadel auf der einen, und traurige Beispiele der verwerflichsten Leidenschaften der menschlichen Natur auf der andern Seite. Wie Mancher würde auf dem Sterbebette, auf dem er sprach- und hülflos ausgestreckt liegt, Welten dafür gegeben haben, hätte er die stumme Urkunde seiner Rachsucht und seines Verfolgungsgeistes vertilgen können, die jetzt wider ihn zeugt in den Registraturen von Doctors' Commons.
Neuntes Kapitel
London's Erholungsörter.
Nicht selten gibt das Streben gewisser Personen der niedern Stände, die Sitten und Gewohnheiten Solcher nachzuäffen, welche das Glück über sie gestellt hat, zu allerlei Bemerkungen und nicht selten sogar zu Klagen Anlaß.
Man darf ziemlich sicher annehmen, daß eine Neigung der Art unter den sich Aristokraten dünkenden Mitgliedern der Mittelstände fast durchgängig verbreitet ist. Krämer und Schreiber mit Familien, die fashionable Novellen lesen, und Töchtern, welche auf Leihbibliotheken abonnirt sind, besuchen kleine, den