Was für ein interessantes Buch könnte eine Miethkutsche schreiben, wenn sie so viel in ihrem Kopf zu führen vermöchte, als in ihrem Leibe! Die Selbstbiographie einer zu Grunde gegangenen Miethkutsche würde sicherlich eben so unterhaltend sein, als die eines zu Grunde gegangenen gemietheten Dramatikers; und ohne Zweifel könnte sie uns vielerlei Geschichten von den verschiedenen Leuten zum Besten geben, die sie in Geschäfts-, Profit-, Vergnügens- oder Trauerangelegenheiten geführt hat! Und wie manche traurige Geschichte über dieselben Personen in verschiedenen Perioden! Das Landmädchen – die prächtige, modisch gekleidete Dame – das betrunkene Freudenmädchen! – Der unerfahrene Lehrbursche – der verschwenderische Prasser – der Dieb!
Kommen wir auf die Cabriolets! – Cabriolets mögen sehr gut sein in Fällen, wo es rasche Beförderungen gilt, wenn es sich um den Hals oder um nichts – um Leben oder Tod – um zeitliche oder ewige Heimath handelt. Aber, abgesehen davon, daß ein Cabriolet des ehrwürdigen Ansehens, das eine Miethkutsche auszeichnet, gänzlich ermangelt, so darf man nie vergessen, daß ein Cabriolet eine Sache von gestern ist, welche nie vorher bessere Tage kannte. Ein Miethcabriolet ist von seinem Eintritt in's öffentliche Leben an stets nur ein Miethcabriolet gewesen, während eine Miethkutsche das Ueberbleibsel ehemaliger Gentilität – ein Opfer der Mode – ein Erbstück einer alt-englischen Familie ist, deren Wappen sie noch trägt. Sie wurde in bessern Tagen von Leuten begleitet, die Livreen trugen; jetzt aber ist sie ihrer Schönheit entkleidet, und in die Welt hinausgestoßen, gleich einem ehemals stattlichen Bedienten, wenn er für seinen Dienst nicht mehr jugendlich genug ist, und sinkt immer tiefer und tiefer in ihrer vierrädrigen Entwürdigung herab, bis sie endlich auf einen »Stand« kommt.
1 Zum Ausklopfen der Kleider.
Achtes Kapitel
Doctor's Commons.
Als wir vor einiger Zeit ohne einen bestimmten Zweck über den St. Pauls-Kirchhof gingen, lenkten wir zufälligerweise in eine Straße ein, welche den Namen »Paulskette« führt, und nachdem wir einige hundert Schritte geradeaus gegangen waren, befanden wir uns, durch eine natürliche Folge, bei Doctor's Commons. Nun ist aber Doctor's Commons dem Namen nach Jedermann als derjenige Ort bekannt, wo man liebekranken Pärchen Heirathslicenzen und untreuen Gatten Ehescheidungen bewilligt, die Testamente von Leuten zu Protokoll bringt, welche ein Eigenthum zu hinterlassen haben, und hitzige Herrn bestraft, welche den Damen unbeliebige Namen geben. Wir entdeckten nicht so bald, daß wir in ihren Umgebungen waren, als wir ein löbliches Verlangen in uns verspürten, näher mit ihnen bekannt zu werden; und da der Gerichtshof, dessen Beschlüsse sogar die Bande der Ehe auflösen können, der nächste Gegenstand unserer Neugierde war, so beschlossen wir hinzugehen und lenkten unsere Schritte unverweilt nach demselben.
Einen ruhigen, schattigen, gepflasterten Hofraum durchschreitend, welcher mit alten backsteinernen Häusern umschlossen war, an deren Thüren die Namen mehrerer ausgezeichneter Rechtsgelehrten standen, hielten wir vor einer kleinen mit grünem Flanell und messingnen Nagelköpfen beschlagenen Thüre, welche einem leichten Drucke nachgab und uns sogleich in ein altes seltsam aussehendes Gemach mit zurückstehenden Fenstern und schwarzem geschnitztem Täfelwerk führte, an dessen oberem Ende auf einer erhabenen, halbkreisförmigen Plattform sich ungefähr ein Dutzend feierlich aussehender Herrn in karmoisinrothen Mänteln und Perücken befanden.
An einem höher stehenden Pult in der Mitte saß ein sehr fetter Mann mit einem rothen Gesichte und einer mit Schildkrot eingefaßten Brille, dessen würdevolles Aeußere den Oberrichter ankündigte; und an einer langen mit grünem Tuch überzogenen unten stehenden Tafel, die gewissermaßen einem Billardtische ohne Bande und Beutel glich, befand sich eine Anzahl höchstwichtig aussehender Personen in steifen Halsbinden und schwarzen Mänteln mit weißen Pelzkrägen, die wir sogleich als Anwälte bezeichneten. Einen am untern Ende des Billards stehenden Armstuhl nahm ein Individuum mit einer Perücke ein, in welchem wir nachher den Registrator entdeckten; und hinter einem kleinen Pult neben der Thüre saß ein achtbar aussehender, schwarz gekleideter Mann, der ungefähr drei Centner im Gewicht halten mochte, und eine schmunzelnde, höflich aussehende Person mit feistem Gesicht in einem schwarzen Mantel, schwarzen bockledernen Handschuhen, kurzen Hosen und seidenen Strümpfen, mit einer Hemdkrause am Busen, Locken auf dem Kopfe und einem silbernen Stab in der Hand, in welcher wir ohne Schwierigkeit den Kanzleidiener erkannten. Wirklich setzte uns der Letztere auch alsbald über diesen Punkt außer Zweifel, denn unserem Ellbogen nahe kommend und sogleich eine Unterhaltung eröffnend, hat er uns in weniger als fünf Minuten mitgetheilt, daß er der Gerichtsdiener und der andere der Kanzleiaufwärter; daß dieß das Obergericht ist und deßwegen die Räthe rothe Mäntel und die Anwälte Pelzkrägen tragen, und daß, wenn die andern Gerichtshöfe hier ihre Sitzungen halten, weder jene mit rothen Mänteln noch diese mit Pelzkrägen erscheinen; Mittheilungen, die er noch mit manchen andern nicht minder interessanten vermehrte. Außer diesen beiden dienstbaren Geistern sahen wir noch ein altes, hageres Männchen mit langem, grauem Haar, das sich in eine entfernte Ecke drückte und, wie uns unser mittheilsamer Freund zu wissen that, die Obliegenheit hatte, wenn der Gerichtshof des Morgens die Sitzung eröffnete, mit einer großen Handglocke zu läuten, und das, wenn auch sein Aussehen der Vermuthung widersprach, wenigstens bereits zwei Jahrhunderte lang zu ähnlichen Verrichtungen verwendet worden war.
Der Herr mit dem rothen Gesichte und der Schildkrotbrille hatte gerade die ganze Unterhaltung an sich gerissen, die er auch sehr gut führte, nur sprach er sehr laut, aber das machte die Gewohnheit, und nahm den Mund etwas voll, aber das machte das gute Leben. So hatten wir also Zeit genug uns umzusehen. Es war ein Individuum, das uns höchlich ergötzte: eines von jenen Perückenhäuptern in den rothen Gerichtsmänteln, welches im Mittelpunkte des Saals in der Attitude des Coloß von Rhodus vor dem Feuer stand, von dem er dadurch jeden andern ausschloß. Er hatte, um die volle Wärme des Feuers zu empfinden, seine Robe hinten etwas hinaufgeschlagen, etwa wie es eine schlumpige Weibsperson bei schlechtem Wetter mit ihrem Unterrocke machen würde. Seine Perücke war ganz verschoben; und sein Zopf zog sich um seinen Nacken; seine knappen, grauen Hosen und kurzen schwarzen Gamaschen, welche die möglich schlechteste Façon hatten, vollendeten die Geschmacklosigkeit seiner Person und sein langer, schlecht gestärkter Vatermörder diente seinen Augen zu einer Art von Scheuleder. Wir wollen durchaus keinen Anspruch auf Physiognomik machen, aber nach einer sorgfältigen Prüfung seines Gesichts waren wir auf den Schluß gekommen, daß er nur dünkelvollen Unsinn schwatzte, als uns unser Freund mit dem silbernen Stab in's Ohr flüsterte, »er sei nicht weniger als Doktor des römischen Rechts und der Himmel weiß, was noch weiter.« Wir hatten also natürlich fehlgeschossen; es mußte ein sehr talentvoller Mann sein. Indessen verbarg er dieß so gut – vielleicht in der menschenfreundlichen Absicht, um gewöhnliche Leute nicht zu sehr in Erstaunen zu setzen – daß man ihn für einen der größten Dummköpfe, welche existiren, hätte halten können.
Nachdem der Herr mit der Brille seinen richterlichen Spruch von sich gegeben und einige Minuten hatte verfließen lassen, um dem Geflüster, das im Gerichtssaale herrsche, Zeit zu gönnen, sich zu legen, rief der Registrator den nächsten Rechtsstreit aus: »Klagsache Bumple's gegen Sludberry.« Bei diesem Aufruf bemerkte