Skizzen aus dem Londoner Alltag. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769909
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Herr Smuggins, will uns etwas zum Besten geben.« – »Bravo!« ruft die Gesellschaft. Und Smuggins hustet eine Symphonie und schnüffelt ein paar Mal auf eine höchst witzige Weise, was beides mit allgemeinem Beifall aufgenommen wird; dann singt er ein komisches Lied, mit einem »Vivallallerachor«, der weit länger ist, als der Vers selbst. Er erntet ein unmäßiges Beifallsgeschrei, und nachdem ein strebender Geist aus freien Stücken eine Recitation gegeben und erschreckliche Mißtöne hervorgebracht hat, schlägt der kleine, pompöse Mann abermals auf den Tisch und sagt, »meine Herren, ein Lustiges, wenn es Ihnen gefällig ist!« Diese Aufforderung ruft einen stürmischen Beifall hervor und die energischen Geister drücken ihre unbedingteste Zufriedenheit dadurch aus, daß sie ein oder zwei Biergläser auf ihren Beinen zerschlagen – ein humoristisches Sinnbild, das jedoch häufig zu einem kleinen Wortwechsel Anlaß gibt, wenn von Seiten des Kellners eine Anforderung wegen Entschädigung gestellt wird.

      Dergleichen Scenen dauern bis drei oder vier Uhr Morgens fort; und sogar, wenn sie ausgespielt sind, so eröffnen sich für den wißbegierigen Neuling wieder neue. Doch da eine Schilderung aller, wenn sie auch noch so skizzenartig gegeben würde, einen ganzen Band einnähme, dessen Inhalt, wenn auch noch so belehrend, doch keineswegs gefällig sein dürfte, so machen wir unsere Verbeugung und lassen den Vorhang nieder.

      1 Faßbinder: Küfer

      Drittes Kapitel

      Die Kramläden und ihre Miether.

      Welch unerschöpfliche Quellen bieten die Straßen London's dem Beobachter dar! Wir können nicht mit Sterne übereinstimmen, der den Mann beklagt, welcher vom Dan nach Beersheba wanderte und sagen konnte, Alles sei unfruchtbar; wir haben nicht das geringste Mitleid mit dem Manne, der seinen Hut aufsetzen, seinen Stock in die Hand nehmen und vom Covent-Garden bis zum St. Pauls-Kirchhof und wieder zurück auf den Marktplatz gehen kann, ohne auf dieser Wanderung sich irgend eine Unterhaltung – wir hätten fast gesagt Belehrung – verschafft zu haben. Und doch gibt es solche Geschöpfe – wir begegnen ihnen alle Tage. Hohe, schwarze Cravaten und helle Westen, etwa auch ein schwarzes spanisches Rohr, vor allem aber ein mißvergnügtes Aussehen – dieß gehört zu den charakteristischen Kennzeichen dieser Rasse. Andere Leute eilen rasch an Einem vorüber, stets eifrig in irgend einem Geschäfte begriffen, oder fröhlich dem Vergnügen nachlaufend; jene Menschen dagegen schleichen verdrossen einher und legen etwa dieselbe Fröhlichkeit und Lebhaftigkeit an den Tag, wie Polizeidiener, die in ihrem Dienste begriffen sind. Nichts scheint auch nur den geringsten Eindruck auf sie zu machen, und ihr Gleichmuth bleibt ungestört, selbst wenn sie von einem Lastträger niedergerannt oder von einem Kabriolet zu Boden gefahren werden sollten.

      Man trifft sie vornehmlich an schönen Tagen in irgend einer der Hauptdurchfahrten; sieht man des Abends durch das Fenster eines Cigarrenladens in West-End – wenn je zwischen den blauen Vorhängen, die dem neugierigen Auge wehren sollen, ein freies Plätzchen zu finden ist, um einen Blick hineinzuwerfen – so findet man sie in dem einzigen Genusse, den ihnen ihr Dasein bietet. Da lungern sie in den Rauchstübchen um einige runde Fässer herum, in all jener Würde, die ihnen mächtige Knebelbärte und große goldene Uhrketten verleihen können, wobei sie nichtssagende Worte leise der jungen Dame in dem Ambrakleide mit den großen Ohrringen zuflüstern, welche auf ihrem Sitze hinter dem Comptoir einen Strahlenglanz von Anbetung und Gasbeleuchtung um sich verbreitet, der die Bewunderung aller Mägde der Nachbarschaft und den Neid aller Handlungslehrlinge innerhalb zweier Meilen in der Runde erregt.

      Zu unsern Lieblingszeitvertreiben gehörte bisher, die allmäligen Fortschritte einzelner solcher Kramläden – sei es nun zum Emporkommen oder zum Falle – zu beobachten. Wir haben uns von dem Zustande mehrerer, in verschiedenen Theilen der Stadt gelegener unterrichtet und sind mit ihrer ganzen Geschichte auf's Genaueste bekannt. Wir könnten zum wenigsten zwanzig öffentlich nennen, von denen wir bestimmt überzeugt sind, daß sie während der letzten sechs Jahre keine Steuern bezahlt haben. Sie sind nie länger als ein paar Monate von denselben Miethern bewohnt und haben deßhalb ohne Zweifel schon allen Arten von Kleinhandel zum Tummelplatze gedient.

      Ich führe beispielsweise einen derselben auf, an dessen Schicksal wir besondern Antheil genommen, da wir denselben fast von jeher als Laden zu kennen die Ehre haben; und so mag er denn als der Repräsentant für alle übrigen gelten. Er liegt auf der Surreyseite der Themse, nur in geringer Entfernung von dem Marsh-Thore. Das Haus war ursprünglich eine wohleingerichtete Privatwohnung, die hübsch genug aussah; der Hausbesitzer kam in Verlegenheiten, das Haus in die Hände der Gerichte, der Besitzer mußte es verlassen und so kam es in Verfall. Zu dieser Zeit beginnt unsere Bekanntschaft mit dem Hause. Der Verwurf war völlig abgefallen, die Fenster waren zerbrochen, die Area durch Vernachlässigung und das Ueberlaufen des Wassertrogs mit Priestleyscher Materie überwachsen, der Wassertrog selbst ohne Deckel und die Hausthüre das leibhaftige Bild des Elends. Die Kinder der ganzen Nachbarschaft wußten sich keinen besseren Zeitvertreib zu machen, als sich in Massen auf der Treppe vor dem Hause zu versammeln und den Thürklopfer mit kräftigen Doppelschlägen zu handhaben – zum großen Aerger der ganzen Nachbarschaft im Allgemeinen, und einer alten nervenschwachen Dame im zweitnächsten Hause in's Besondere. Zahlreiche Klagen kamen dagegen ein, und verschiedene Gefäße mit Flüssigkeiten wurden über die Tobenden herabgegossen, aber alles ohne Wirkung. In diesem Zustande der Dinge brachte der Pfänderverleiher an der Straßenecke das unglückliche Haus endlich in Aufstreich, und als es nun verkauft war, sah es erst mehr als je einer Baracke ähnlich.

      Wenige Wochen vorher hatten wir diesen unsern Freund ganz seinem Schicksale überlassen; wie groß war daher unser Erstaunen, als wir bei unserm Wiederzusammentreffen keine Spur von seinem frühern Dasein mehr antrafen! An seiner Stelle stand ein hübscher Laden, der sich fast dem Stande der Vollkommenheit näherte, und an den Fensterläden waren große Anschläge angeklebt, die dem Publikum kund thaten, daß der Laden in Kurzem mit einer großen Auswahl von »Leinenzeugen und kurzen Waaren« eröffnet werden sollte. Er wurde auch, wie die Ankündigung besagte, eröffnet, und der Name des Inhabers »und Comp.« war in großen goldenen, fast zu glänzenden Buchstaben über dem Eingange zu lesen. Aber was für Bänder und Shawls! – was für elegante junge Männer hinter dem Ladentische, – jeder mit einem zierlichen Vatermörder und weißer Halsbinde, gleich dem ersten Liebhaber in einem Lustspiele. Was den Prinzipal anbelangt, so schien er weiter nichts zu thun zu haben, als im Laden auf und ab gehen, den Damen Sitze anzubieten und mit dem geputztesten der anwesenden jungen Männer, der von den Nachbarn pfiffigerweise für die »Comp.« gehalten wurde, unbedeutende Gespräche zu führen.

      Mit Besorgniß sahen wir all' dieses mit an; ein finsteres Vorgefühl, daß auch dieser Laden zu den verurtheilten gehöre, drängte sich uns auf – und so war es auch. Sein Verfall kam nach und nach, aber desto sicherer. Nachgerade erschienen Zettel an den Fenstern, dann wurden Flannelballen mit angehefteten Preisbezeichnungen an der Thüre ausgestellt, welche sich zuletzt auch zu einem Träger für eine Ankündigung hergeben mußte, daß der erste Stock unmöblirt zu vergeben wäre. Dann verschwand einer der jungen Männer, der andere vertauschte seine weiße Halsbinde mit einer schwarzen und der Eigenthümer legte sich auf den Trunk. Der Laden wurde unreinlich, zerbrochene Fensterscheiben blieben unausgebessert, und die Vorräthe verschwanden Stück für Stück. Endlich kam der Brunnenmeister des Viertels, um wegen Nichtbezahlung der Wassertaxe die Brunnenröhre zu vernageln, und der Leinwandhändler machte sich unsichtbar, dem Hausbesitzer seine Empfehlungen und den Schlüssel zurücklassend.

      Der nächste Miether war ein Schreibmaterialienhändler; der Laden wurde bescheidener ausgemalt als vorhin, aber er war wenigstens säuberlich. Doch, wie es nun immer kommen mochte, so oft wir vorbeigingen, drängte sich uns unwillkürlich der Gedanke auf, daß er aussähe, wie ein mit Armuth und Elend Kämpfender. Wir wünschten dem Manne alles Gute, aber wir befürchteten einen schlechten Ausgang. Augenscheinlich war er ein Wittwer und mußte irgendwo eine Beschäftigung haben, denn er verließ jeden Morgen sein Haus, um in die Stadt zu gehen. Das Geschäft zu Hause wurde durch seine älteste Tochter geführt. Das arme Mädchen! Sie hatte keinen Beistand. Wir bemerkten im Vorübergehen gelegenheitlich noch zwei oder drei andere Kinder, die, gleich ihr selbst, in Trauer gekleidet waren und in dem Zimmer hinter dem Laden saßen. Nie gingen wir des Nachts vorüber, ohne die älteste Tochter