In den ersten Tagen hatte das Auspeitschen nichts gebracht, die Peitsche konnte keine Stärke hervorlocken, wenn keine Stärke vorhanden war. Sie waren jedoch nicht skrupellos, diese Frauen, sie schleppten die müden und verletzten Sklaven zurück in ihre Unterkünfte, die Kranken bekamen sogar Heilung, wenn sie kurz vor dem Tod standen. Trotzdem starben auch Männer in den Zellen, oft an Altersschwäche oder Erschöpfung. Denn um zu verhindern, dass ein Sklave Schwäche nur vortäuschte, wurde er solange gepeitscht, bis deutlich wurde, ob noch ein Funken Leben in ihm steckte, oder ob er wirklich bis zur Schmerzgrenze erschöpft war und ausruhen musste.
Sarsar hatte geschuftet, bis seine Arme sich nicht mehr hatten heben lassen. Die gekrümmte Haltung schmerzte in seinem Rücken, als bestünden seine Knochen plötzlich aus erhitztem, brennendem Eisen, seine Muskeln waren weich und unbrauchbar wie nass gewordenes Pergament.
Sie hatten ihn oftmals bereits wieder in seine Zelle bringen lassen, als die Sonne noch nicht an ihrem höchsten Punkt am Himmel stand, lange vor Mittagstunde. Nicht, dass er die Sonne in den Minen gesehen hätte, aber sie wurden an jedem Morgen und an jedem Abend an die Oberfläche und durch eine Bergbaustadt aus spitzen Zelten von ihren Zellen zu ihrer Arbeitsstätte getrieben. Wenn er zurück zur Zelle geschleift wurde, konnte er gelegentlich die Sonne erspähen, doch dann war er so erschöpft und kurz vor einer Ohnmacht, dass er alles nur verschwommen wahrnehmen konnte.
Das Auspeitschen war jedoch nicht das Schlimmste. Schlimm waren die anderen Sklaven, wenn sie nach einem Tag harter Arbeit in die Zellen zurückgetrieben wurden, wo er seit Stunden lag und sich ausruhte.
Sie waren neidisch und wütend. Natürlich waren sie das, er konnte es ihnen nicht verübeln. Glücklicherweise waren sie durch ihre harte Arbeit derart erschöpft, dass ihre Tritte und Schläge zwar wehtaten, aber ihm nicht gefährlich wurden. Sie ließen nur ihre Wut an dem Fremdländer aus, der sich eine Sonderbehandlung erschlichen hatte. Chusei, der Halbpanthermensch, hatte ihm erklärt, dass sie glaubten, er würde nur so tun, als könnte er nicht mehr arbeiten.
Nun, und wer nicht arbeitete, der verdiene auch nicht das Brot und das Wasser, das ihnen am Abend gereicht wurde. Sie nahmen es Sarsar weg und verteilten es untereinander.
Sarsar bat nie darum, aber Chusei nahm sich seiner an. Vermutlich, weil er, bevor Sarsar da war, in der gleichen Lage gesteckt hatte. Sie waren anders, Missgeburten in den Augen der anderen. Ausländer. Und Chusei war jemand, der den Kontakt zu Fremden nicht zu scheuen schien, vermutlich steckte dahinter ein tiefer, verzweifelter Wunsch nach einem einzigen Freund in dieser Misere.
Chusei zog Sarsar jeden Abend, nach den Schlägen und Tritten, in eine Ecke, teilte das Brot mit ihm, flößte ihm Wasser ein, und tupfte seine Wunden sauber. Ungefragt, ungebeten. Schlicht, weil er ein freundliches Wesen besaß.
Er konnte nicht verhindern, dass Sarsar wehgetan wurde, sie hätten auch ihm Schmerz zugefügt, dann wäre keinem von ihnen geholfen gewesen, und Sarsar hätte nie von ihm verlangt oder erwartet, dass er sich Prügel einhandelte. Das änderte für ihn nichts.
Sarsar war ihm dankbar, auch wenn er es nicht richtig zeigen konnte. Chusei schien jedoch auch keinen großen Dank zu erwarten, zumindest beschwerte er sich nicht, dass er Sarsar noch immer alles aus der Nase ziehen musste und meist mit Schweigen gestraft wurde.
Dabei wollte Sarsar gern einen Freund, aber er war noch wie geschockt und äußerst verwirrt über das, wo er gelandet war. Oder besser gesagt, über die Frage, wie das alles hatte geschehen können.
Geschockt von der Erinnerung, wie sein eigener Bruder ihm dem Tod überlassen hatte. Und von der Frage, wohin ihn das Portal, das er geöffnet hatte, gebracht hatte, wie lange er dort in dieser Schwärze gefangen gewesen war. Die Frage, welches Zeitalter sie hatten.
Er fing an, darüber zu grübeln, ob er überhaupt in seiner richtigen Welt, oder ob er in der Zeit vor- oder zurückgereist war. Chusei wusste nichts über Zeitalter, er war ein Sklave, fast schon sein Leben lang, und Sklaven kannten keine Zeitalter, nur die Stunden für Arbeit und die Stunden für den Schlaf. Andere bestimmten ihren Tag, ihr Leben. Zeit lag in den Händen der Wärterinnen. Zeit hatte keine Bedeutung, wenn man keinen freien Willen besaß.
Und Sarsar konnte immer mehr verstehen, warum das so war. Die Tristesse des Sklavenlebens war wie ein Leben als Vieh. Man lebte auf den Tag hin, an dem der Tod einen befreite. Etwas anderes kannten diese Männer nicht. Sie hatten sich damit abgefunden, niedere Kreaturen zu sein. Nur so viel wert, wie es ein Schwein im Stall eines Bauern war.
Nicht unnütz, aber eben auch nicht frei.
Doch die Tage wurden besser und die Arbeit hatte auch etwas Gutes. Während Sarsar in der ersten Zeit noch geglaubt hatte, das Abtragen des Erzes würde ihn bald umbringen, wurde er eines Besseren belehrt. Die Arbeit brachte ihn nicht um, sie machte ihn stärker. Seine Arme konnten jeden Tag ein wenig länger durchhalten, ehe sie ihm den Dienst entsagten. Die Muskulatur seines Rückens wurde kräftiger, konnte mehr ertragen. Und sein Wille wurde eiserner.
Er würde hier nicht verrecken, er würde ausbrechen. Er war Desiderius M`Shiers Sohn, verdammt noch mal! Er brauchte nur einen Plan, und um diesen zu schmieden, ließ er sich Zeit. Irgendwann, da war er sich sicher, würde ihm irgendein Geistesblitz einfallen. Irgendwann. Als Sklave hatte Zeit schließlich keine Bedeutung.
Er war geduldig.
Denn dem Geduldigen lief nichts davon.
Und aus irgendeinem Grund heilte sein Körper schneller als es möglich sein dürfte. Sie konnten ihn auspeitschen, sie konnten ihn verprügeln, am nächsten Tag war er fast wie neu, bis auf die Narben, die ihm erhalten blieben.
Und mit jedem weiteren Tag kehrte seine Magie in seine Fingerspitzen zurück.
Er musste nur geduldig sein.
Kapitel 13
Am Tisch herrschte Schweigen, das nur von dem Schlurfen und Schlucken der Speisen durchbrochen wurde. Es war noch früh und sie aßen gemeinsam mit dem Großkönig unter Ausschluss des Pöbels. Nicht einmal Melecays persönliche Leibwachen durften ihn zu solch früher Stunde stören.
Es gab Hammel und Met. Vynsu hatte seine Waffen neben sich in Griffweite wie üblich auf dem Tisch abgelegt, weil ihn die Scheiden des Schwertes und des Dolches sonst bei einer bequemen Sitzposition behindert hätten.
Der Großkönig nahm sein Frühstück schweigend am Kopfende der Tafel ein, und weder Vynsu noch Desith, die sich gegenübersaßen, wagten die Stille zu durchbrechen. Vynsus Mutter war damit beschäftigt, Derricks Geist und Körper zu erforschen, das wusste Vynsu, da er sie bereits kurz besucht hatte, bevor er Desith zu Melecay gefolgt war.
Er hatte auch Derrick gesehen, in dessen bodenlosen Echsenaugen nicht der geringste Funke des Erkennens gesteckt hatte. Aber das trat er vor seinem Onkel natürlich nicht breit.
Melecay war entschlossen, seinen Ziehsohn zurückzuholen, niemals würde er eine andere Denkweise oder Einmischung dulden. Aber wer konnte es ihm verübeln, das winzige bisschen Herz, das der Großkönig besaß, gehörte seinem Sohn. Jeder in Carapuhr wusste das.
Das hieß nicht, dass Derrick verwöhnt gewesen wäre, wie jeder Bursche in Carapuhr hatte er sich beweisen müssen, hatte kämpfen und töten und seinen Mann stehen müssen. Aber für Melecays Verhältnisse war Derrick geliebt aufgewachsen. Vynsu wusste nicht, ob Derrick irgendetwas tun könnte, um Melecay zu enttäuschen. Immerhin hatte Derrick die Krone einfach abgelehnt, hatte sich geweigert, darum zu streiten, er hatte sich Desith, ohne zu fragen, genommen, er war wegen Sarsar in Zadest geblieben und hatte seine