»Das wissen wir nicht sicher, aber er hat einige starke Verbrennungen erlitten, die ihm noch immer starke Schmerzen bereiten, er hat Fieber und … Parasiten. Ma, ich habe die letzten Tage jeden Abend Würmer aus ihm rausgeholt, er kotzt und scheißt uns alles voll, wie ein Neugeborenes.«
Ein leichtes Lächeln zuckte in ihren Mundwinkeln. »Scheint, als wüsstest du endlich, was es heißt, eine Mutter zu sein.«
Er bedachte sie mit einem genervten Blick.
Sie lachte lieblich in sich hinein und drückte aufmunternd seinen Arm. »Dann muss der kleine Prinz schleunigst Wasser eingeflößt bekommen. Lass uns gehen, ich werde sehen, was ich für ihn tun kann.«
*~*~*
Sein Kopf brummte so stark, wie damals nach seinem ersten Saufgelage. Er wollte nicht erwachen, krallte sich verzweifelt an den Schlaf, aber das Leben war unerbittlich mit ihm, und er spürte zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, wie ihn die Klarheit seines Bewusstseins zurück in die Wirklichkeit zwang. Er fürchtete sich beinahe davor, aus den vertrauten, wirren Träumen seines Fiebers emporzusteigen. Der Schmerz in seinen Gliedern, die Brüche und die Verbrennungen, waren nur noch ein dumpfer Hall in seinem Leib, die Erschöpfung schien er weggeschlafen zu haben, er fühlte sich beinahe wie erholt. Zumindest sein Geist schickte sich an, hellwach zu werden.
»Wacht unser Traumprinz endlich auf?«
Desith versuchte, zu blinzeln. Seine Augen fühlten sich nicht mehr so trocken an wie die letzten Male, als er sie aufgezwungen hatte, aber sie brannten noch, was vermutlich vom Fieber kam.
Er hatte noch ein dumpfes Gefühl im Kopf, aber sein Verstand war so klar wie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr.
»Wollt Ihr uns nicht Eure Lebensgeister zeigen, Prinz Desith?« Eine ruhige, warme Frauenstimme, die so wohltuend wie Wein mit Honig klang. Brummend drehte er den Kopf und hob vorsichtig die Lider. Das Zeltinnere war ein anderes als jenes, dass Vynsu immer für ihn aufgeschlagen hatte. Es war größer, es standen Tische und Stühle an den Wänden, Feuerschalen und viele Kerzen ließen das Innere heller leuchten als die bescheidene Unterkunft, die er in den letzten Nächten zur Verfügung gehabt hatte. Auch seine Unterlage fühlte sich anders an, keine Felle von Bären und Wölfen mehr, sondern Pferdefell und Kaninchenpelze. Sie waren so weich, dass er sich erst einmal stöhnend daran reiben musste.
»Wir befürchteten bereits, Ihr wolltet gar nicht mehr aufwachen.« Schlanke Finger kämmten durch sein Haar und kraulten seine Kopfhaut. Für einen Moment schloss er die Augen und stellte sich unwillkürlich vor, er wäre wieder ein junger Bursche, der von seiner Mutter umsorgt wurde. Wie sehr er sie doch vermisste, seine geliebte Mutter, er konnte es kaum erwarten, sie und seine Geschwister wiederzusehen, ja selbst auf seinen verstockten Vater freute er sich.
Nur für sie zwang er wieder die Augen auf und stellte sich dem Schmerz, der sich wie ein Frostwind über seinen bandagierten Arm ausbreitete.
»Habt Ihr noch große Schmerzen?«, fragte die Stimme und ließ von ihm ab.
Desith traute seiner Kehle noch nicht, wenn er schluckte fühlte es sich so an, als wäre sie aufgerissen, weshalb er lediglich bejahend nickte.
Er vernahm, wie sie sich entfernte, das leise Rascheln eines bodenlangen Kleides wehte durch das Zelt. Mühsam hob er den Kopf, um seine Heilerin sehen zu können. Als er sie jedoch erblickte, erstarrte er zu Stein.
Das konnte doch unmöglich wahr sein…
Vielleicht täuschte er sich, aber das glaubte er nicht. Er kannte nur eine Frau aus der Geschichte, die violettes Haar besaß und in einem Kleid aus Rabenfedern auftrat.
Sie werkelte mit einem leisen Summen an einem Tisch herum, zerstampfte Kräuter und goss sie mit rotem Wein aus einem dampfenden Krug auf. Der Duft bitterer Blüten stieg im Zelt auf, aber immerhin musste Desith nicht mehr den beißenden, grässlichen Rauch der Räucherwerke des Schamanen ertragen.
»Trinkt das, es betäubt den Schmerz«, trug sie ihm sanft auf, als sie sich mit einem Hornbecher zu ihm umdrehte und langsam auf das Bett zukam.
Desith konnte sie nur anstarren, sein Mund glitt immer weiter auf. »Ihr … Ihr seid die Hexe Karrah.«
Sie lächelte milde und kniete sich vor sein Lager auf ein Wolfsfell, an dem noch der Kopf hing. »Die bin ich wohl. Trinkt, Prinz Desith, das tut Euch gut.«
Sie ließ keine Widerrede zu, legte ihm eine Hand in den Nacken und führte den Becher an seine Lippen. Desith schluckte das heiße Weingemisch, obwohl seine Kehle schmerzte. Dabei starrte er sie noch immer an, unschlüssig, ob er Ehrfurcht oder Angst empfand, wobei diese beiden Empfindungen nahe beieinander lagen.
»Ihr seid Vynsus Mutter«, flüsterte er noch immer perplex. »Ihr wurdet von König Desiderius großgezogen, der Unterweltfürst Bellzazar ist Euer Nennonkel! Ihr … Ihr wart dabei, als der Großkönig in einen spuckenden Feuerberg sprang, um das Ritual des Drachenzähmens zu vollenden. Ihr … Ihr seid… die Hexe aus Nohva. Ihr habt geholfen, das Tor der Unterwelt zu schließen, Ihr … wart beim Großen Krieg dabei…«
Sie lächelte nur milde über sein Gestotter, als wäre sie es gewohnt, dass Menschen in ihrer Nähe sprachlos wurden. »Einfach nur Karrah«, betonte sie bescheiden, stellte den Hornbecher ab und hob stattdessen einen Nachttopf an. »Müsst Ihr?«
Ihr strenger Blick hielt ihn nicht davon ab, zu lügen. Er schüttelte den Kopf und ignorierte den Druck auf seiner Blase. Er würde sich doch nicht vor der mächtigsten Hexe, von der er je gehört hatte, erleichtern.
Sie verengte wissend die Augen, drängte ihn aber nicht und stellte den Nachttopf wieder unter sein Lager. »Wie Ihr wünscht, sagt Bescheid.«
Das würde er niemals tun, lieber ließ er zu, dass ihm die Därme rissen. »J…ja…Mylady.«
Sie grinste belustigt. »Diese Anrede nutzen wir in Carapuhr nicht.«
»Nein, natürlich nicht, ich … ich …« Er senkte beschämt den Kopf, da er keinen vernünftigen Satz mehr Zustande bekam. »Vergebung.« Frustriert schlug er mit der Faust auf die Felle und bereute es sofort, sein Arm schmerzte noch immer bei der leisesten Bewegung, die Verbrennung spannte.
»Sehr höflich«, ihr Tonfall klang lobend, aber es schwang auch reichlich Belustigung darin. »Schlaft noch ein wenig, Prinz Desith. Die Nacht ist gerade erst hereingebrochen.« Sie stand auf und trug den Becher zu ihrem Tisch, wo sie stehen blieb und noch mehr Kräuter in einen Mörser gab.
Desith sah zum Zelteingang, konnte aber nicht erkennen, ob es draußen hell oder dunkel war. Zwar bestanden die Wände nun aus Stoff statt Leder, dennoch ließen sie kein Licht hindurch.
Der Trank zeigte langsam Wirkung, betäubte seinen Schmerz, aber ebenso seinen Verstand. Müdigkeit legte sich wie ein schwerer Mantel über ihn.
»Wo sind wir?«
»Dies ist das Lager des Großkönigs, wir sind in Elkanasai, kurz hinter der Grenze zu Zadest.«
Allein der Klang des Namens dieses abscheulichen Dschungels verursachte ihm ein Schaudern.
»Wie lange bin ich schon hier?«, wollte er wissen.
Sie drehte sich nicht um, ging gewissenhaft ihrer Arbeit nach. »Drei Tage.«
Drei Tage? So lange soll er geschlafen haben?
»Wurde mein Vater informiert? Ist er auf dem Weg?« Einerseits fürchtete er sich vor dessen Tadel und seiner Arroganz, andererseits hätte er ein so vertrautes Gesicht wie das seines Vaters gerade gut gebrauchen können.
»Darüber habe ich keine Kenntnis.«
Ein unbehagliches Gefühl machte ihm die Brust eng. »Wann kann ich nach Hause?«
Sie ließ sich unverschämt viel Zeit, um darauf zu antworten. »Bald gehen wir alle nach Hause«, sagte die Hexe schließlich irgendwann ausweichend.
Desith schüttelte den Kopf, war aber zu müde und musste sich hinlegen.