Abalanda war des Gespräches müde. Es hatte keinen Sinn, mit diesem Wahnsinnigen zu rechten. Er grüßte den Imperator mit edelm Anstande und bat um Urlaub.
»Ich darf meinen Gastfreund Valerius Messala nicht vernachlässigen,« entschuldigte er sich.
»Ein Mann, der wie du auf seine Ehrlichkeit pocht, sollte nicht so dreist lügen,« höhnte Caligula. »Nicht Valerius Messala lockt dich von mir, sondern seine schöne Tochter.«
Und als dem Germanen unter diesen Worten das Blut heiß in die Stirn wallte – vor Zorn und weil der Kaiser roh vor allen das tiefste Geheimnis seines Herzens besudelt hatte – lachte Caligula rachefreudig aus, zeigte auf den Prinzen mit dem langen, dünnen Zeigefinger und rief:
»Seht – seht – wie er errötet – der Heuchler! Aber ich warne dich, junger Freund. Die Aënobarbi haben nicht nur Eisenbärte und Eisenköpfe, sie haben auch Herzen von Erz. Etwas davon wird auch den Weibern dieses Geschlechtes anhangen.«
Dann aber, als der Nordländer sich schroff entfernt hatte, sprang die bis aufs letzte und äußerste beherrschte Wut des Imperators hervor – wie vorher die zu Henkern des stummen Volusius erkorenen Raubtiere aus ihren Käfigen gebrochen waren. In den Mundwinkeln Caligulas stand weißer Speichelschaum. Die grünlichen Augen mit den nadelspitzen Pupillen hasteten gierig durch die kaiserliche Umgebung hin. War da auf keinem Gesichte zu lesen, daß einer dem Kaiser die frechen Beleidigungen aus dem Munde des Barbaren gönnte?
Plötzlich schnellte Caligula von seinem Elfenbeinsessel empor. Dicht trat er vor einen Edeln hin. Sein Blick schillerte. Seine behaarten Hände zerrten an der klirrenden Geschmeidekette, in deren Edelsteinen die Sonne in fluoreszierenden Funken flirrte, als sprühe des Kaisers Wut sichtbar von seiner Gestalt.
»Ich hoffe, die Spiele gefallen dir besser als diesem Bärenhäuter, Menalippus?« zischte er den vornehmen, noch jungen Mann an. »Oder täusche ich mich, wenn ich meine, in deiner Miene strahle nicht übermäßiges Vergnügen?!«
Menalippus hätte nicht Römer sein, den Caligula nicht kennen und nicht Zeuge sein müssen der Unterredung mit Abalanda, um nicht sofort zu begreifen, um was es ging. Der ergrimmte Imperator suchte nach einem Opfer, an dem er seinen heißen Zorn kühlen konnte. Wie aller reichen Römer in der Umgebung des Kaisers spielte auch des Menalippus Dasein sich ab in einem Hinundherpendeln zwischen atemloser Jagd nach Lebensgenuß und dem Vorbereitetsein auf den plötzlichen Tod als Folge einer Laune des despotisch zürnenden oder vermögensgierigen Herrschers.
Menalippus wußte, seine Stunde hatte geschlagen, als Caligula ihn gerade jetzt anredete. Er war entschlossen, seinen Tod zu rächen, das Scheusal wenigstens in diesem letzten Augenblicke bis ins tiefste innere zu treffen.
»Du hast dich nicht getäuscht, Herr, wenn du Unfreude in meinen Mienen sahst,« sagte er nach einem starkem Atemzuge und verbarg weder seinen Ekel noch seine haßerfüllte Verachtung.
Caligula prallte förmlich zurück vor dieser Kühnheit.
»Willst du dem nordischen Sklaven nachahmen, diesem verlogenen Heuchler, dem ich in einer Anwandlung von Gnade die römische Toga zu tragen erlaubte?« stieß er hervor.
»Es ist keine Ehre mehr, unter deiner Regierung sich durch das Gewand des Römers zu kennzeichnen,« höhnte Menalippus. »Dieser Fürstensohn sprach wie ein Mann. Es ist besser, einem Manne nachzuahmen, als einem wahnwitzigen Schurken, der längst vergessen oder nie gewußt hat, was ein Mann ist. Und was die Gnade anlangt, die du dir zuschreibst: Gnade ist der Adel des Menschentums. Du aber stehst so tief, daß du kaum ahnen kannst, was Mensch und Menschenwürde ist.«
Dieser Mut hätte dem Frevler fast das Leben gerettet. Denn der Beherrscher der Welt war im Grunde seiner Seele ein jammervoller Feigling. Er wich weit zurück, in der Furcht, von Menalippus augenblicklich mit einem verborgen gehaltenen Dolche durchbohrt zu werden. Die Blässe seines Gesichtes hatte sich in ein fahles Grün verwandelt. Er zitterte mehr vor Angst als vor Empörung und war schon bereit zu einem Abbruch des Gespräches. Das Weitere würde sich später in aller Stille und Sicherheit finden.
Doch da fuhr Menalippus zu seinem Unheile fort:
»Du willst ein Gott sein! Du! Ein Narr bist du! Ein lächerlicher, aufgeblasener Narr, über den alle lachen, sobald er den Rücken wendet. Ich aber lache dir in dein fratzenhaftes, widerliches Tölpelgesicht. Denn lachte man nicht über dich, hätte man in deiner Umgebung das Lachen verlernt.«
Während des erzwungenen, aber schallenden Gelächters des dem Tode Geweihten gelang es dem Imperator, sich zu fassen. Er nahm beruhigt seinen Thronsessel wieder ein. Dieser Tor war ungefährlich – er dachte nicht an Meuchelmord.
»Mein Menalippus, du hörtest gewiß von dem Athener Dädalus?« begann Caligula ruhig mit erheuchelter Freundlichkeit.
»Er lebte in einer glücklicheren Zeit als der unsrigen,« antwortete Menalippus, dessen Züge nun erschlafften. Er hatte seinen Haß in Worten von der Seele geschleudert. Jetzt war er leer und fertig.
»Sprich endlich dein Urteil, Mörder!« rief er barsch. »Nur die Feigheit eines zahnlosen Katers ergötzt sich am erbärmlichen Katz- und Mausspiele.«
Caligula ließ sich nicht mehr beirren.
»Des Dädalus Sohn Ikarus flog der Sonne zu nah, die das Wachs seines künstlichen Gefieders schmolz,« fuhr er lehrhaft fort. »Nun wohl, mein Menalippus, auch du warst allzu kühn und kamst in deiner Verwegenheit der Sonne Caligula zu nahe. Wir wollen sehen, ob der Flug dir trotzdem besser glückt als dem Sohne des Dädalus. Begib dich in die Arena. Dort wird man dir Flügel verleihen. Man ist auf meine Wünsche vorbereitet. Fraglich war nur, wem dieser mythologische Flug vergönnt sein würde. Du hast dich wacker um diese Gunst beworben.«
Menalippus verabschiedete sich schweigend von seinen schweigenden Freunden. Dann trat er dicht an den Elfenbeinstuhl des Kaisers.
»Ein Verdammter mehr grüßt dich, Cäsar,« sprach er so laut, daß alle auf dem Podium ihn vernehmen konnten. »Der Gruß der Verdammten aber, die dir vor ihrem Tode fluchten – wird dir Verdammnis bringen. Vale!«
Menalippus verhüllte sein Haupt mit der Toga, denn er war ein Sterbender. So verließ er die Tribüne. Caligula lachte auf. Daß die kommende Vergeltung zum erstenmal offen ihr Haupt erhob, bemerkte Caligula nicht.
Unfern saßen die Tribunen Cornelius Sabinus und Cassius Chärea auf ihren gepolsterten Sitzen. Der alte Cassius flüsterte seinem Verbündeten Cornelius zu: »Die Stunde der Bestie ist abermals nähergerückt.«
»Schweig!« murmelte Cornelius mit kaum bewegten Lippen zurück.
Bald darauf sah das Volk, wie man einen geflügelten Menschen zu der schwindelnd hohen Säule führte. An dem Seile zogen die Knechte den Menalippus so hastig empor, daß es aussah, als flöge er gen Himmel. Toller Jubel der Menge durchbrauste den Zirkus. Man applaudierte dem Cäsar für diesen hübschen Einfall.
Ein Sonnenstreif umspielte das goldgleißende Kapitäl der Säule, auf dem der Verurteilte nun aufrecht stand. Er schloß die Augen, nicht schwindlig zu werden, und lehnte sich an den Galgen, der die Rolle trug.
Das Volk hatte den Zweck der gewaltigen, aus den Schwungfedern von Gänsen gefertigten Schwingen begriffen. Lachend, lärmend, mit schlechten Witzen und Anspornungen forderten die Schreier den Mann auf zum Sprung in die Tiefe. Und da Menalippus zögerte, wirbelten schmutzigste Schimpfreden zu ihm hinauf.
In einem langen Blicke trank der Unselige noch einmal den Sonnenzauber dieses Tages in sich hinein, die Farbenfreude des menschenwimmelnden Zirkus, alle Buntheit des Lebens, die ihn zum letztenmal grüßte vor der grauen Ode des Todes. Und Menalippus grüßte zurück. Dann aber – vielleicht in einer heimlichen Hoffnung, daß die Schwingen ihn doch tragen könnten – breitete er die mit den gewaltigen und gewaltig schweren Fittichen beschnallten Arme. Kopfüber sprang er von der Säule. Das Gewicht der Flügel riß ihn abwärts. An hörbarem, dumpfem